Der nationale Bourgeois

bourgeois
capitalist in the style of a drawing of George Grosz –s 750

„Der Bourgeois hat, so sehr der einzelne Bourgeois gegen die anderen kämpft, als Klasse ein gemeinschaftliches Interesse, und diese Gemeinschaftlichkeit, wie sie nach innen gegen das Proletariat gekehrt ist, ist nach außen hin gegen die Bourgeoisie anderer Nationen gerichtet. Das nennt der Bourgeois seine Nationalität.“ (Karl Marx: Über Friedrich Lists Buch „Das nationale System der politischen Ökonomie“, 1845, MEGA I/4))

bourgeois
capitalist in the style of a drawing of George Grosz –s 750

image_pdfimage_print

Welt, Leib und Cyber

tiefwerder

Heute haben wir das Weltgeschehen und die Leibesübungen gemischt, weil weder von dem einen noch dem anderen genug vorhanden, um entweder Texte opulent zu bebildern oder umgekehrt oder was auch immer.

Die Ostfront: Die Qualitätshauptstadtmedien bestätigen meine Verschwörungstheorie Meinung: Doch Schoigu schlug zurück, indem er am 10. Juni den Befehl erließ, alle russischen Söldnergruppen in der Ukraine hätten sich dem Verteidigungsministerium zu unterstellen. Unterwerfung war für Prigoschin unannehmbar. Dieser Befehl öffnete den Weg zur alles entscheidenden Schlacht zwischen beiden. Schoigu setzte sich durch.

Eine noch hübschere Theorie kommt von Hinter-der-Paywall-Militärs: Ex-General Roland Kather hat im Interview mit WELT geäußert, dass er den Putschversuch in Russland für eine Inszenierung hält. Er vermutet dahinter einen verdeckten Aufmarsch. Auch der britische Ex-General Richard Dannatt warnt vor Wagner-Angriffen aus Belarus.

Nee, Leute, so raffiniert wie in House of Cards sind die nicht. Der Plot ist mir zu kompliziert für Leute wie Gerasimov oder Prigoshin. Dazu bedarf es einer anderen, weniger holzschnittartigen und mehr römisch-italienischen Kultur der herrschenden Klasse. Die Italiener haben schon finstere Ränke geschmiedet, als die Russen noch gar nicht wussten, was Russen sind. (Höre dazu passende Bala Bala Musik)

großer Jürgengraben

Leibesübungen Ich bin heute erst einmal eine kleine Strecke gepaddelt, um zu sehen, ob das Boot nicht sänke ob ich das Leck auch richtig epoxidiert hatte. Und siehe, es war so, was ich mit einem kleinen und fast gesungenem „Halleluja“ auf den geschürzten Lippen quittierte. Mit einem Wermutstropfen: Offenbar war das Leck im Heck schon länger da und daher das Hinterteil nach kurzer Zeit Paddelns zu tief im Wasser, sodass der Bug wiederum, was der dialektischen Logik entspricht, zu hoch aufragte dergestalt, dass das winzige Loch dort, welchselbiges schon begierig war, Wasser aufzusaugen und ins Bootsinnere zu spülen, nur Luft schnappte, jetzt aber, da das Kajak wieder in der Waagrechten, tröpfchenweise schlubberte und schlurpte, was ich misstrauisch beäugte, aber es geschehen ließ, da die Menge der Rede nicht wert und nur dann nach einer Tat gerufen hätte, wenn man einen Tag lang durchs Wasser gefurcht wäre, ohne mit einem Tuch das Rinnsal ab und zu aufzuwischen und dieses dann jenseits der Reling auswränge. (Weder meine ehemaligen Studenten – allesamt! – noch ChatGPT kriegten jemals so einen Satz hin, obwohl man an meinen Konjugationen herumkritteln könnte.)

großer Jürgengrabengroßer Jürgengraben
Großer Jürgengraben

Die Tour ging also vom Hauptgraben über den Großen Jürgengraben in den nördlichen Seitenarm des Spandauer Südhafens, dann nach Süden bis zum recht versteckten Grimnitzgraben zum Grimnitzsee. Den hatte ich wie immer für mich allein. Dann dieselbe Strecke zurück, aber über den Kleinen Jürgengraben zum Bootshaus.

grimnitzseegrimnitzsee
Panoramafoto!

Cyberfront O je, ich bin bei der Barmer. Fefe hat das Nötige dazu gesagt. Das werde ich denen copyundpasten.

tiefwerder

Leibesübungen Nachdem ich geprüft hatte, ob die hintere Kammer noch trocken war (ich habe jetzt einen Antriebskörper hineingefummelt und aufgeblasen), paddelte ich zum Stößensee, umrundete das Begegnungsverbot und lenkte das Boot wieder gen Norden, wo mir, als gäbe es dort ein Nest, zahllose Paddler entgegenpaddelten, sowohl der profihaften als auch der laienhaften Sorte, denen man also aktiv ausweichen muss, weil sie einen sonst umfahren, weil sie nicht wissen, wo Backbord und Steuerbord sind, wie man das Boot lenkt und ich außerdem recht schnell auf dem Wasser unterwegs bin.

havel

Innere Front „Im thüringischen Sonneberg ist erstmals in Deutschland ein Politiker des Rechtspartei AfD zum Landrat gewählt worden. Am Sonntag erhielt der AfD-Kandidat Robert Sesselmann, ein AfD-Landtagsabgeordneter, in der Stichwahl nach Auszählung aller 69 Stimmbezirke 52,8 Prozent der Stimmen. Der CDU-Gegenkandidat Jürgen Köpper kam auf 47,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben des Statistischen Landesamtes bei 58,2 Prozent.“ Das berichten die Qualitätshauptstadtmedien und nicht nur die. „Bereits in der ersten Runde der Wahl hatte Sesselmann fast 47 Prozent der Stimmen erzielt. Danach riefen auch SPD, Grünen und Linken zur Wahl des CDU-Kandidaten Köpper auf.“

Oh. Eine Einheitsfront! Das ich das noch mal erleben darf! Wenn sich alle einig sind, bin ich sowieso dagegen. So gefährlich ist die Gurkentruppe von der AfD nicht. Immerhin haben die niemanden, der aus dem internationalen Recht kommt, sondern Opportunisten und Karrieristen, was sie also von anderen Parteien nicht unterscheidbar macht. Ich glaube, dass diese Einheitsfront aller anderen der AfD noch mehr Stimmen gebracht hat. Just saying.

klein Venedig

Medienfront „Die Öffentlich-Rechtlichen befinden sich im Würgegriff der Parteien. Das zeigt auch die Neubesetzung des RBB-Intendantenpostens: Gewählt wurde passgenau eine Frau, die auf SPD-Ticket eine der Regierungssprecherinnen Merkels war. Alternativlosigkeit scheint ein heißer Modetrend zu sein.“ (Harald Martenstein)

Innere Cyberfront Haben wir alles? Spiggel.de und alle Links auf das alte phpBB-Forum ergaben jüngst einen critical error bzw. meldete einen error creating new session, was vom besten aller Hoster sofort repariert wurde, als ich es merkte. „Ich habe die sessions gelöscht, die in phpbb_sessions gespeichert worden sind. Davor waren es 65535 Einträge. Offenbar räumt phpBB die Sessions nicht ordentlich auf.“ Früher habe ich so etwas persönlich repariert; ich hatte nur vergessen, wie das ging.

image_pdfimage_print

Was erlauben Prigoshin?

diadochenkämpfe
Wars of the Diadochi –chaos 100 –s 750

Meine erste Idee war: Vermutlich hat Erdogan Putin den Rat gegeben, so einen dilettantischen „Putsch“ zu inszenieren, damit er seine innenpolitischen Gegner los wird. Genialer Schachzug.

Und so hat es sich bestätigt, obwohl ich nicht glaube, dass Putin das geplant abgezogen hat. Dazu wird er zu selektiv informiert. Putin ist nicht Viktor Petrov.

Prigoschin kennt die Regeln des Spiels, sonst wäre ein kein Oligarch geworden. Deswegen muss man sich fragen, ob er sich über die Konsequenzen klar war. Er wurde von niemandem unterstützt, und selbst mit 20.000 Soldaten kann man nicht in Moskau putschen, und schon gar nicht, wenn die Gegenseite darauf vorbereitet ist.

shoigu gerasimov

Es war also von Anfang an ein Bluff. Ich glaube, dass alle Seiten das wussten. Aber natürlich ist Putin auf Nummer Sicher gegangen. Und führe uns nicht in Versuchung. Er hat eine schwülstige Rede gehalten, in der „verbrecherischem Abenteuer“ und „schwerem Verbrechen“ gegeißelt wurden. Aber ich gehe davon aus, dass nichts so ist wie es scheint.

Verschwörungstheorie 1: Putin und Prigoshin haben sich informell abgesprochen. Plot: Wenn Wagner nicht putschen kann, kann es niemand. Das demonstrieren wir ihnen. Ist eine gute Warnung. Alle Vorteile bei Putin.

Verschwörungstheorie 2: Wie oben. Putin wusste, dass Wagner nicht hätte putschen können. Der wollte nur ein bisschen auf seiner Brust herumtrommeln wie ein Schimpanse. Also hat er ihn machen lassen. Als Ergebnis werden viele der Söldner in die russische Armee eintreten, und Wagner ist erst einmal außer Reichweite und keine Gefahr. Alle Vorteile bei Putin.

Verschwörungstheorie 2: Wie oben. Putin wird jetzt die wegsäubern, die nicht in der Lage waren, die „Rebellion“ schon vorher zu verhindern. Was machen die beim Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije eigentlich beruflich? Das wird Putin Shoigun and Gerasimov fragen. Ich würde das. Und dann muss man sehen, ob die in Pension gehen oder versehentlich aus dem Fenster stürzen. Alle Vorteile bei Putin.

rostow am don

Der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, hat am Samstagabend bestätigt, dass es zu einer durch Alexander Lukaschenko vermittelten Vereinbarung mit der meuternden Wagner-Gruppe gekommen ist. Inhalt der Vereinbarung ist unter anderem, dass der Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin nach Weißrussland umzieht und das gegen ihn in Russland wegen Organisation einer bewaffneten Meuterei und Landesverrats eingeleitete Strafverfahren eingestellt wird.

Peskow sagte weiter, dass diejenigen Wagner-Söldner, die sich an der Meuterei nicht beteiligt oder ihre Beteiligung freiwillig abgebrochen haben, Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium unterzeichnen werden. (Russische Propaganda, also automatisch voll gelogen.)

image_pdfimage_print

Bauer Harms, revisited

kasseler

Bevor ich jetzt etwas über Prigoschin schreibe, worauf alle warten, muss ich erst einmal essen: Bauer Harms‘ Kasselerbraten im Römertopf mit Honig, Senf und Tomatensauce, modifiziert von mir höchstderoselbst.

image_pdfimage_print

Lakamha’ 

palenque

Meine damalige Freundin und ich in Palenque, Mexiko. Das Gebäude im Hintergrund ist vermutlich der Sonnentempel.

Aus meinem Reisetagebuch, 03.11.1981:
Wir sind in Chetumal. Von Cristóbal [de las Casas in Chiapas] fährt nur ein 2.-Klasse-Bus, aber natürlich unpünktlich, weil er schon voll ankommt und noch 30 andere warten. Wir zahlen schließlich ungefähr 85 [mexikanische Pesos], Die erste Zeit müssen wir stehen. Am schlechtesten sind die letzten 15 km vor Ocosingo.

Die Gegend erinnert sehr an europäische Mittelgebirge oder Almen. Man sieht sehr viele Indios in ihren Trachten, noch archaischer als in der Stadt. In Palenque nimmt uns ein Österreich-Kanadier bis zum Trailer-Park mit. Es stehe einige Palm-Leaf-Huts herum. Wir erwischen die letzte [Hütte] mit einigermaßen festem Fußboden,

Am nächsten Tag probiere ich den Kocher aus und koche „Nudeln europäisch“ mit Käse und Eiern, nachdem wir wegen der Sonntagsruhe keine Kartoffeln auftreiben konnten. Jede Nacht gießt es, aber die Hütte ist dicht.

palenque

Der Weg hinunter [zu den Ruinen] ist voller Matsch, aber es herrscht eine eigene Atmosphäre, wenn sich morgens die Nebel lichten.

Der aufgehängte Wasserkanister [aus Plastik] bewährt sich. In dem sehr teuren Restaurant quatschen wir ein bisschen, aber die anderen Deutschen reden nur über Pilze etc.. Außerdem ist die Musik wieder unerträglich lauf, obwohl ohne corazon [ohne Schnulzen]. Der Ort Palenque verbreitet eine feindliche, stickige Atmosphäre. Die Leute sehen wohl aus ihren Erfahrungen heraus Touristen nicht allzu gern.

Palenque: Alles ist kleiner, als ich mir das gedacht hatte. Wenig beeindruckend der Tempel der Inschriften. Als man die Treppe hinunter zum Grab vom Schutt befreite, stieß man auf die Skelette von sechs Leuten (vielleicht die eingemauerten Arbeiter?). Unglaublich, wie dick die Stüzen der Decke sind.

Der Palast beeindruckt durch seine mehrgeschossige Anlage. Sie [die Maya] hatten Dampfbäder mit direkter Verbindung zum Aquädukt und einer Art Klimaanlage (die Fenster in T-From als Zeichen des Gottes der Winde funktionieren so). Rätselhaft die Ähnlichkeit mit dem Motiven aus Angkor Wat.

Tempel des Grafen, Bad der Königin und Spinne, die wir ins Wasser werfen, wo sie ein paar Meter weiter ertrinkt. Halb so groß wie ein Schuh.

Am nächsten Tag klettern wir unter unsäglichen Mühen und mit ständig beschlagender Brille den Berg hinauf, finden den mirador aber nicht und steigen auf der falschen Seite wieder hinunter, mehr rutschend als aufrecht. Schließlich wird mir doch mulmig, weil am Fuß des Berges auch wieder nur Dschungel ist. Ich schwitze fürchterlich, stolpere über tausend Lianen und bin ganz nass. Der Kompass hilft, die ungefähre Richtung zu bestimmen. Endlich kommen wir doch wieder zu den Ruinen, haben aber die Uhr verloren und den Hut vorher im Camp…

palenque

image_pdfimage_print

Alien Ingwer

ingwer

Die kürzeste Entfernung zwischen Berlin und Peking beträgt 7.356,99 km Luftlinie. Die kürzeste Entfernung zwischen Peru und Berlin beträgt 10.798,38 km Luftlinie. Wie macht man mit Ingwer noch Profit, wenn der um die halbe Welt reisen muss und auch die Zwischenhändler etwas verdienen wollen? Kann mir das ein hier mitlesender Kapitalismus-Experte erklären?

image_pdfimage_print

wässrig

regen

In Rixdorf scheint es gestern geregnet zu haben.

image_pdfimage_print

Absurdes Theater, Kräfte und Sankt DG

absurdes theater
absurd theater diabolic::1, people on the stage gesturing, people shouting, applause, laughing, RGB::1 –ar 1:1 –v 4 –quality 2 –chaos 100 –s 750

Absurdes Theater I

Fachkräfteeinwanderungsgesetzdurchführungsbestimmungsverordnung – da weiß man, was man bekommt. Ich frage mich immer wieder, was dieses „Fach“ bei den Kräften bedeuten könnte? Reicht „Kräfte“ allein nicht aus? Wir brauchen doch auch ungelernte Arbeiter – für den Straßenbau zum Beispiel, oder um festgeklebte Klimaten Klimaidioten von der Straße zu reißen. Vermutlich ist der Unterschied ähnlich wie der bei den Seminaren und Fachseminaren – jene sind für Bullshit und diese für hochqualifiziertes Brimborium.

So ein Gesetz ist selbstredend heiße Luft und wird auch nichts ändern. Wer einwandert, verheddert sich sehr schnell im Bürokratie-Dschungel, wo jeder nichts verantwortet und auch am besten gar nichts tut, um Fehler zu vermeiden. Das ist eine Mentalitätsfrage, die sich nicht in einer Generation ändern wird. Es erinnert mich an Venezuela, wo mir die Einheimischen sagten: Wenn du hier jemand arbeiten siehst, ist das jemand aus Kolumbien. Du wussten schon, warum sie so etwas sagten. Und nicht zufällig stammt die protestantische Arbeitsethik nicht aus einem arabischen Land. Das wirkt bis heute.

Die Fähigkeit der Konzentration der Gedanken sowohl als die absolut zentrale Fähigkeit, sich der Arbeit gegenüber verpflichtet zu fühlen, finden sich hier besonders oft vereinigt mit strenger Wirtschaftlichkeit, die mit dem Verdienst und seiner Höhe überhaupt rechnet und mit einer nüchternen Selbstbeherrschung und Mäßigkeit, welche die Leistungsfähigkeit ungemein steigert. Der Boden für jene Auffassung der Arbeit als Selbstzweck, als Beruf, wie sie der Kapitalismus fordert, ist hier am günstigsten. (Max Weber, 1904)

Das müssen wir jetzt nur noch den Arabisch sprechenden Mitbürgern in den Shisha-Bars in Neukölln und den ukrainischen Einwanderern erklären.

absurdes theater

Absurdes Theater II

Viele Positionen, die von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen werden, sind in weiten Teilen der linken Politblase und der sie hofierenden Journalisten verpönt. (Claudia Pechstein hinter der Paywall der „Welt“)

Mit Nazis reden – ein schönes Thema! Hatten wir lange nicht mehr. Den Qualitätsmedien entnehme ich: „Der Auftritt von AfD-Politiker Tino Chrupalla in der öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshow „Maischberger“ sorgte für viel Aufsehen. Der Satiriker Jan Böhmermann missbilligte diese Einladung und ging seine Kollegin in den sozialen Medien scharf an.“

Warum sollte man denn die braun gebrannten Kameraden und deren Imitatoren nicht interviewen oder zu Wort kommen lassen? Dann hätte ich meine acht Bücher über Neonazis gar nicht schreiben können. Entweder reden sie sich um Kopf und Kragen oder sind so dumm, dass sich der Rezipient schaudernd abwendet, oder sie haben Argumente, die ich dann widerlegen könnte. Der Böhmermann jedoch scheint Angst zu haben und möchte sich vor Themen drücken, bei denen er schlecht aussähe. Und natürlich möchte er bestimmen, was ein Nazi ist. Wenn ich zustimmend zitieren würde, was Bezael Smotrich über „Palästinenser“ sagte, wäre ich ein Nazi – und Smotrich auch. Ist natürlich schwierig, im deutschen Fernsehen einen Juden als Nazi zu beschimpfen. Deswegen würden Pappnasen wie Böhmermann erst gar nicht mit ihm reden.

Als Maischberger den AfD-Politiker fragte, ob die Ukraine kapitulieren sollte, geriet dieser aus dem Konzept. Zunächst antwortete der AfD-Fraktionschef: „Es geht nicht um Kapitulation. Ich denke, eine Gesprächsbereitschaft, gesichtswahrend für beide Seiten, sollte das Ziel sein.“ Dem wiederum widersprach er gleich darauf und sagte, dass jeder Tag, den der Krieg früher beendet werde, auch mit Gebietsabgabe, ein guter Tag sei. Daraufhin reagierte FDP-Fraktionschef Christian Dürr vorwurfsvoll: „Das ist geradezu absurd. Ich meine, das würde er wahrscheinlich auch für Deutschland empfehlen, wenn wir diese Bedrohung in der Realität hätten. Kapitulation, das kann es natürlich nicht sein.“

Nein, natürlich nicht. Wir kämpfen wie immer bis zum Endsieg und wollen, dass das andere auch tun, ganz gleich, wie viele Menschen dabei draufgehen. Was, Herr Dürr, ist daran absurd? Das sagt auch Henry Kissinger. Wozu braucht die Ukraine die Krim und den Donbass? Da spricht man Russisch. Ich meine, dass Dürr knalltütisch redet.

absurdes theater

Absurdes Theater III

Wir haben da noch ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz bzw. gleich mehrere davon – vermutlich zur Sicherheit oder als Backup. Sankt DG! Das ist doch mal eine schöne Abkürzung!

Das geht so: In China schaffen sie das Bargeld ab, und die Bürger zahlen mit Alipay und WeChat Pay. Also wollen wir das auch und schaffen das Bargeld auf lange Sicht ab. Halt! Stopp! Nicht?

Durch die Nutzung digitaler Zahlungsmethoden hinterlassen die Bürger eine breite und dauerhafte digitale Spur, die es den Behörden ermöglicht, ihre finanziellen Aktivitäten zu überwachen. Gekoppelt mit Chinas „sozialem Kreditsystem“ bei dem das Verhalten und die getätigten finanziellen Transaktionen eine Rolle spielen, ist der „gläserne Bürger“ dort bereits Realität.

Huch! Aber unsere Bundesinnenministerin fordert doch eine „Bargeldobergrenze“ von „deutlich unter 10.000 Euro!?! Also was denn nun? Überwachen und Strafen oder nicht?

Ich habe keine Meinung dazu. Wenn man die Bürger gläsern macht, dann werden die trickreich, beschäftigen sich damit, wie die Obrigkeit sie überwacht, und unternehmen was dagegen (ausgenommen deutsche Journalisten). Ich würde auch mit Alipay in Renminbi bezahlen. Wäre nur schade um die schönen Scheine, wenn man die nirgendwo mehr bekäme.

absurdes theater

image_pdfimage_print

Mujeres de Mexico

mercado

Marktszene in Mexiko, Oktober 1981. Ich weiß nicht mehr, wo genau das war, aber es war derselbe Markt in der Stadt, in der ich den Huichol und die Vögel fotografiert hatte.

image_pdfimage_print

Unter Elfen

duolingo

Das finde ich echt übertrieben…

image_pdfimage_print

Truppe muss den weltanschaulichen Kampf mit durchfechten bei Ostfeldzug

landscape

Reminder: Am 22. Juni 1941 marschierte die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion ein.

image_pdfimage_print

Apokalyptische KI


apokalypse
apokalypse
apokalypse
apokalypse

Ich habe mich an der Apokalypse versucht. Die erste beiden Bilder finde ich ganz gelungen. Die beiden anderen könnten aus einem Fantasy-Groschenroman stammen.

image_pdfimage_print

KI und die SächsCoronaSchVO


plague
Plague::3 german law against assembly ban is invalid photorealistic::1 strobe::1 brown color::1 –v 4 –stylize 1000 –chaos 100 –s 750 –s 750

Formuliere in einfachem Deutsch: „Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 (SächsCoronaSchVO) über die Zulässigkeit von Versammlungen waren mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.“

ChatGPT. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die Regeln in der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 über Versammlungen nicht gerecht waren. Diese Regeln waren nicht angemessen, um die Corona-Situation zu bewältigen.

Blödsinn, ChatGPT. Es geht weder um Gerechtigkeit noch darum, um das Gesetz „angemessen“ war:

„Die Untersagung aller Versammlungen durch § 3 Abs. 1 SächsCoronaSchVO war ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG), die für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend ist. Der Ausnahmevorbehalt in § 3 Abs. 3 SächsCoronaSchVO minderte das Gewicht des Eingriffs nur unwesentlich. Die Vorschrift ließ nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein könnten, und selbst für infektiologisch vertretbare Versammlungen stellte sie die Erteilung der Genehmigung in das Ermessen der Behörde. (…) In dieser Situation wurde ein generelles Versammlungsverbot, das lediglich durch einen nicht konkretisierten Ausnahmevorbehalt geöffnet war, der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für ein freiheitliches Staatswesen nicht gerecht.“

Gute Entscheidung. Aber mit Ansage. Nur dass so ein Urteil erst nach drei Jahren Klarheit schafft, ist ein Armutszeugnis.

image_pdfimage_print

Tagesschau, voll empathisch


tagesschau

Arye Sharuz Shalicar twittert dazu: Stellt euch vor, Israels Öffentlich-rechtlicher Fernsehkanal hätte den blutigen Terroranschlag eines radikalen Islamisten am Breitscheidplatz 2016 wie folgt erklärt: „Deutschland meldet Tote und Verletzte am Breitscheidplatz in Berlin“. Würde euch das nicht wütend machen?

Man kann sich in deutschen Medien nicht mehr über Israel informieren. Ich empfehle die Jerusalem Post (Englisch).

image_pdfimage_print

Drogen gegen Drogen


drugs
opiates on prescription from a doctor technological::1 strobe::1 DSLR::1 defocus::-0.5 –v 4 –quality 2 –chaos 100 –s 750

– aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Das englische Modell – Heroin auf Krankenschein

In England verschreiben Ärzte ihren drogenabhängigen Patienten Heroin auf Krankenschein. In Deutschland ist das zur Zeit ein Ding der Unmöglichkeit. Das Betäubungsmittelgesetz nämlich ordnet Heroin unter die «nicht verkehrsfähigen Substanzen» ein. Auf deutsch: Der Stoff ist absolut verboten, er darf auch nicht als Medikament eingesetzt werden.

Ein vergleichbares Gesetz gibt es jenseits des Ärmelkanals nicht. Zwar hat England sich schon vor langer Zeit in einem internationalen Übereinkommen verpflichtet, die Versorgung mit Psychopharmaka «zu regeln», man überließ es aber den Medizinern, wie mit dieser Bestimmung umzugehen sei. Eine Kommission von neun Ärzten – benannt nach ihrem Vorsitzenden Humphrey Rolleston – definierte schon 1926 die Opiat-Abhängigkeit als Krankheit, zu deren Behandlung auch die zeitweilige Versorgung der Patienten mit ihrer Droge durch den Arzt gehörte — mit dem Ziel, sie entweder, nach einer gewissen Zeit, abstinent zu machen, oder, wenn die Entzüge scheiterten, langfristig zu substituieren.

Im Gegensatz zu Deutschland hielten sich die staatlichen Behörden zurück: Sie schrieben – und schreiben – den Ärzten nicht vor, wie sie in einem bestimmten Fall zu praktizieren hätten. Schon 1858 hatte ein Ärztegesetz bestimmt, dass sich «keine Orthodoxie» bilden dürfe. Das heißt: Keine Institution darf den Medizinern eine einzige, «alleinseligmachende» Behandlungsmethode für eine Krankheit auf zwingen. Über die Einhaltung des Gesetzes wacht eine Gruppe von Ärzten, die von ihren Kollegen gewählt wird. Die englische ÄrzteLobby vereitelte auch den Versuch des Innenministeriums im Jahre 1955, der pharmazeutischen Industrie die Herstellung von Heroin zu untersagen.

Lange Zeit lag die Zahl der Opiat-Süchtigen in England relativ konstant bei rund 500. Diese «Junkies» waren vorwiegend Angehörige der Mittelschicht, die aus gesundheitlichen Gründen mit Morphium oder Heroin versorgt wurden oder die – wie nach dem Krieg in Deutschland das medizinische Personal – aus beruflichen Gründen leicht an die Droge herankamen. Das änderte sich erst in den sechziger Jahren. Zwischen 1964 und 1968 stieg die Zahl der Heroin-Konsumenten rapide an, allein in zwei Jahren – 1968/69 verdoppelte sie sich.

Die Gründe dafür lagen allerdings weder in einer wachsenden Zahl von «Suchtpersönlichkeiten» noch im «ideologischen Hintergrund der Hippie-Kultur», wie es einige Theoretiker gern sähen. Schuld war vielmehr ein halbes Dutzend Ärzte, vor allem in London, die gegen Bezahlung Privatrezepte über große Mengen ausstellten und damit indirekt auch die Nachfrage nordamerikanischer Touristen befriedigten. So hatte ein einziger Arzt 1962 sechs Kilogramm (!) Heroin ausgegeben – mehr als die Hälfte der Menge, die seine Kollegen insgesamt verordnet hatten. (1)

Vergleichbar ist diese Entwicklung mit der heutigen Situation in Deutschland, wo die Medikamentenabhängigkeit, vor allem von Benzodiazepinen, durch die unverantwortliche Verschreibungspraxis vieler Ärzte gefördert wird.

Aufgrund dieses Missstands änderte die englische Regierung das System: Den Hausärzten wurde in der Regel verboten, Heroin zu verschreiben. An ihre Stelle traten die «Drug Dependence Clinics» (Drogenpolikliniken), die die Substitution Drogenabhängiger übernahmen. Diese mussten sich registrieren lassen, um Mehrfachverschreibungen zu verhindern. Nur einige, speziell ausgebildete Allgemeinmediziner behielten die Lizenz, um Kokain, Cannabinol, Morphin, Methadon und andere Rauschstoffe abzugeben. Für die ausschließlich medizinische Indikation, etwa bei Herzanfällen, durften und dürfen aber alle englischen Ärzte nach wie vor auch Heroin verschreiben. (2)

Eine Tradition des «englischen Modells» blieb erhalten: Jedes Ärzte-Team in den Drogenpolikliniken — unter Leitung eines verantwortlichen Psychiaters – wählte die Behandlungsmethode, die es für richtig hielt. Deshalb gibt es kein allgemeinverbindliches Modell. Die «englische Methode» besteht darin, dass jeder seine eigene wählt: entweder die stationäre Entgiftung, Heroin-Erhaltungsprogramme mit oder ohne Betreuung oder die Substitution mit Methadon. Ein Parlamentarier hatte 1971, während der Beratungen zu der veränderten Gesetzgebung, den bemerkenswerten Satz geprägt: «Wir wissen zwar nicht, was wir mit den Süchtigen anfangen sollen, aber die Ärzte sollten etwas darüber wissen.» (3) In Deutschland ist es genau umgekehrt: Die Ärzte haben keine Ahnung und verlassen sich auf die Vorgaben der nicht besser informierten Politiker.

Das Resultat der geänderten Praxis war zunächst enttäuschend. Ein Jahr nach Gründung der Drogenpolikliniken waren die meisten derjenigen, die mit Heroin substituiert wurden, ihrem Leben in der illegalen Szene treu geblieben. Nur der Beschaffungsdruck hatte abgenommen. Nach zehn Jahren allerdings sah die Situation anders aus: Ein Drittel der Kontrollgruppe lebte mittlerweile drogenfrei, knapp 40 Prozent waren noch in Behandlung – entweder mit Heroin oder mit Methadon -, und 15 Prozent waren gestorben. Die Drogenpolikliniken gingen immer mehr dazu über, statt Heroin die «Ersatzdroge» Methadon zu verschreiben. Diese hat den Vorteil, nicht so stark zu euphorisieren und länger im Körper zu bleiben – die Abhängigen müssen also nicht mehr so häufig zum Arzt.


drugs

Die Kritiker des englischen Modells – vor allem aus Deutschland – bemängeln, dass die Verschreibung von Heroin und Methadon nicht zum Entzug und zur Abstinenz motiviere und in der Regel «suchtverlängernd» wirke. Die «süchtige Fehlhaltung» ändere sich nicht. (4)

Offenbar sind diese Kritiker nicht bereit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich zeigte die Zehnjahresuntersuchung, dass drei Viertel aller Patienten entweder noch in Obhut der Ärzte waren oder drogenfrei lebten. Die letztere Gruppe – immerhin ein Drittel -, das können selbst die Abstinenz-Verfechter nicht leugnen, «zeigte in ihrem Verhalten keinen Unterschied mehr zur Normalbevölkerung».5 Was nicht erreicht wurde ist, dass die überwiegende Anzahl der Süchtigen «genesen» war. Wenn man dieses Ergebnis jedoch mit der Erfolgsquote der Drogentherapie in Deutschland vergleicht, die selbst wohlmeinende Fachleute unter der Zehn-Prozent-Marke ansiedeln, wird die ideologische Verbohrtheit der Kritiker deutlich.

Schadensverhütung scheint für die orthodoxen Vertreter der Drogenpolitik in Deutschland irrelevant zu sein. Vielmehr kommt es auf die richtige Weltanschauung an: Der Mensch hat einen Bogen um die Drogen zu machen, egal, um welchen Preis. Wer Drogen konsumiert, auch wenn er in sozial stabilen Verhältnissen lebt, einer Arbeit nachgeht und seinen Mitmenschen nicht über Gebühr schadet, macht sich des «süchtigen Fehlverhaltens» schuldig. Dieses kann nur dadurch bekämpft werden, «dass die Konsequenzen der Sucht negativ erlebt und bewusst wahrgenommen werden». (5)

Damit nehmen die Abstinenz-Philosophen in Kauf, dass Drogenabhängige für Jahre ins Gefängnis wandern oder sich aus Verzweiflung selbst töten – ein beispielloser Zynismus, der aber so tief in irrationalen Ängsten verwurzelt ist, dass Argumente nichts fruchten.

Bezeichnend ist auch das Fazit, das ein Hardliner der deutschen Drogenpolitik – der Leiter einer Münchener Drogenberatung – zieht: «Trotzdem bleibt die Frage offen, was mit chronischen, depravierten Opiatabhängigen geschehen sollte.» (6) In der Tat, diese Frage können die Verfechter einer «drogenfreien» Gesellschaft nicht beantworten. Unterderhand suggeriert ihre eingestandene Hilflosigkeit, dass bei den «Unwilligen» ohnehin alle Bemühungen vergeblich seien und man diese der Justiz oder ärztlichen Zwangsmaßnahmen überlassen könne.


drugs

_________________________________________

(1) Vgl. S. Kappel: Aspekte der Entwicklung des «Britischen Systems» der Behandlung Opiatabhängiger. In: In:Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 1980, S. 33ff
(2) Dr. John Marks aus Widnes bei Liverpool schätzt, daß ca. 10% der Psychiater «schon immer» Heroin verschrieben hätten, jetzt seien es «wahrscheinlich über 25 % » (briefliche Mitteilung), vgl. J. Marks: Das englische System in Widnes, Merseyside (fotokop. Manuskript o.J.), S.3
(3) So R. Wille in: D. Kleiner (1987), S. 206

image_pdfimage_print

Durch KI ersetzt werden

aiart
Unfortunately, we also have to part with colleagues who have tasks that are replaced by artificial intelligence and processes in the digital world or who do not find themselves in this new lineup with their current skills –chaos 100 –s 750 –s 750

„Wir müssen uns damit leider auch von Kollegen trennen, die Aufgaben haben, die in der digitalen Welt durch KI und/oder Prozesse ersetzt werden oder sich in dieser neuen Aufstellung mit ihren derzeitigen Fähigkeiten nicht wiederfinden“, zitiert die Berliner Zeitung eine E-Mail aus dem Axel-Springer-Verlag. „Der Axel-Springer-Verlag plant, die Zahl der Bild-Regionalausgaben zu verringern. Wie der Konzern am Montag in Berlin ankündigte, soll es künftig statt 18 nur noch 12 Regionalausgaben geben. Kleinere Standorte sollen komplett geschlossen werden.“

Es interessiert mich brennend, welche Arbeitsplätze bei Boulevard-Medien man durch künstliche Intelligenz ersetzen kann? Werden die Artikel dann besser oder schlechter, oder wird man keinen Unterschied merken?

aiart

image_pdfimage_print

Rio Beni, revisited


rio Beni

Sonnenaufgang mit Nebel am Rio Beni, fotografiert im Mai 1984. Ich war auf dem Weg von Santa Ana de Alto Beni nach Rurrenabaque im Departamento Beni, Bolivien.

Vgl. „Santa Ana de Alto Beni“ (28.11.2020), „Burning the Rainforest“ (09.09.2019) und „Unter Drogenschmugglern“ (15.07.2012),

image_pdfimage_print

Der Arzt der Geächteten


drugs
diacetylmorphine –chaos 100 –s 750 –s 750

– aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Selbst der friedfertigste Mensch wird, wenn er die Praxis des Dr. med. Gorm Grimm in Kiel verlässt, sein Bedürfnis nach Harmonie und seine Abneigung gegen Streit überdenken. Ein Gespräch mit dem bundesweit bekannten «Drogenarzt» provoziert eine klare Stellungnahme, für oder gegen, schwarz oder weiß, ja oder nein. Entweder ist dieser schmächtige, weißhaarige Mann mit zarten Händen und leiser Stimme ein Scharlatan, dem sofort das Handwerk gelegt werden muss, oder die Verfechter der traditionellen deutschen Drogenpolitik sind allesamt inkompetent oder nicht ganz bei Trost.

Die Gegner des Gorm Grimm – Ärztekammern, eine Heerschar von hochqualifizierten «Suchtexperten», Politiker, Richter, Staatsanwälte, Krankenkassen, Drogenberater und Kollegen der medizinischen Zunft – verzichten auf vornehme Zurückhaltung, wenn sie auf das Thema angesprochen werden. Von «Monsterpraxis» ist die Rede, oder: «Das ist ein Psychopath.» Seine Anhänger, die Patienten, sind anderer Meinung. Auch ihre Stellungnahmen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: «Der einzige, der mir geholfen hat», «Er hat mich vor dem Selbstmord bewahrt», oder: «Ich liebe diesen Mann.» Gorm Grimm dürfte der einzige deutsche Arzt sein, dessen Patienten für ihn auf die Straße gegangen sind: Im Frühjahr 1992 formierten sich rund hundert Drogenabhängige zu einem Demonstrationszug durch die Kieler Innenstadt, um ihren Doktor zu unterstützen.

Was macht Gorm Grimm, dass die Krankenkassen eine Lawine von Prozessen gegen ihn losgetreten haben, dass er wegen «fahrlässiger Tötung» und «Körperverletzung» angezeigt und dass seine Praxis von Kriminalbeamten durchsucht wurde, daß ihm mehrfach die Zulassung entzogen werden sollte? Gorm Grimm lächelt auf diese Frage nur schwach, als sei er müde, gewisse Dinge immer und immer wiederholen zu müssen. «Ich nehme den hippokratischen Eid ernst.» Dort sei davon die Rede, der Arzt müsse «die Gesundheit schützen und wiederherstellen, Leid verhindern und lindern». Aber dagegen könne doch niemand etwas sagen? «Da täuschen Sie sich. Ich praktiziere unter kriegsähnlichen Bedingungen.»

Das scheint ein wenig übertrieben, aber dennoch: Die Vehemenz und Hartnäckigkeit, mit der seine Gegner ihn mit juristischen Mitteln bekämpfen, lässt sich mit rationalen Argumenten kaum erklären. Gorm Grimm substituiert mehrere hundert HeroinAbhängige zum Teil seit über zehn Jahren mit Codein-Präparaten, die nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen und die in jeder Apotheke verkauft werden: Mit Remedacen, einem Hustenmittel, mit Codein-Kompretten (Markenname: Codeinum phosphoricum [forte] Compretten) oder Dihydrocodein-Saft. Dihydrocodein ist ein chemisch verändertes Derivat des Codein, das in geringen Mengen in Opium enthalten ist. Codein wird im menschlichen Körper, wie Heroin, zu Morphium umgewandelt und hat auch dessen Wirkung.

Drogen gegen Drogen? Codein ist ein Opioid und macht abhängig – genauso wie Methadon bzw. Polamidon. Eine Abhängigkeit werde durch eine andere ersetzt, die «Sucht» also verlängert, meinen die, die jegliche Ersatzdrogen ablehnen. Die erste Behauptung der Substitutions-Gegner ist richtig, die zweite nicht unbedingt.


drugs
make a scientific representation of the chemical structure diacetylmorphine and Codeine symbolic:: molecular::1 quantum dot display::1 macro lens::1 –v 4 –chaos 50 –s 750

Die Substitution hat nicht das Ziel – wie irrigerweise immer wieder behauptet wird -, eine illegale Droge nur durch eine legale zu ersetzen. Ganz im Gegenteil. Langfristig sollen die Drogensüchtigen «clean» werden. Nur, um diesen Schritt wagen zu können, müssen die psychischen und sozialen Voraussetzungen stimmen. Daher geht die «maintenance-to abstinence»-Therapie (von der Erhaltung zur Abstinenz) schrittweise vor. Die extrem euphorisierende Droge Heroin wird durch ein schwächeres Opiat ersetzt – wie Codein. Der Effekt: Abhängige, die substituiert werden, beginnen nach einer Eingewöhnungsphase, sozial unauffällig und «normal» zu leben, ihr Umfeld stabilisiert sich in der Regel, sie können einem Beruf nachgehen. Erst dann kann der Schritt zur Abstinenz mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden.

Dagegen ließe sich kaum etwas sagen. Und die positiven Erfahrungen etwa in den USA seit 1982, wo 85.000 Drogensüchtige Methadon erhalten[1993], sollten eigentlich für sich sprechen. Die Verfechter der klassischen Abstinenz-Therapie, des «Alles oder Nichts», können nur deshalb von ihrem völligen Scheitern ablenken, weil die Öffentlichkeit so gut wie nichts über Substitution weiß – und ebensowenig über Opiate.

«Drogenabhängige gelten als psychisch krank», sagt Gorm Grimm, «als hemmungslos, gefühllos, bindungslos, verwahrlost, asozial, kriminell und gefährlich, sogar als antisozial und staatsfeindlich. Ihre psychische Krankheit mache sie unzurechnungsfähig, was sich z. B. in ihrer Uneinsichtigkeit in die Behandlungsbedürftigkeit äußere. Von ihnen gehe eine Art Ansteckungsgefahr aus, ihre Sucht sei eine der schwersten bekannten Krankheiten, deren Ausbreitung mit allen Mitteln verhindert werden müsste.» (1)

So sieht das ideologische Fundament aus, auf das die Abstinenz-Philosophen bauen können. Ihre Antwort auf «Verwahrlosung» und «Suchtcharakter» ist immer noch dieselbe, die der deutsche Ärztetag in Danzig schon 1928 formuliert hat: Die «einzig richtige Behandlung eines Süchtigen», hieß es schon damals, sei «die sofortige Entziehung und anschließende langfristige Entwöhnung», in der eine «Persönlichkeitsveränderung» erreicht werden müsse. Die Behandlung sei «nur stationär» durchführbar.

Immerhin hat einer der Väter der «Suchtbekämpfung» durch Abstinenz, Prof. Wolfram Keup, zugegeben, dass die Praxis dieser Art der «Entwöhnung» ein Desaster ist: «In der Bundesrepublik Deutschland mögen derzeit etwa fünf Prozent der Abhängigen motiviert sein. Von ihnen scheinen nur etwa 30 Prozent, also 1,5 Prozent aller Fixer, ein Entwöhnungsprogramm erfolgreich zu durchlaufen.» (2) Keup spricht von einer «katastrophalen Situation in der Motivation Heroinabhängiger zur Therapie». Doch woran liegt das? Ist der Käufer schuld, wenn ihm das Produkt nicht gefällt? Oder sollte man über eine Verbesserung des Angebots nachdenken? Gorm Grimm kommentiert Keups Äußerung mit dem schlichten Fazit: «Also: 98,5 Prozent aller Drogensüchtigen verbleiben in der kriminellen Drogenszene oder zeitweise im Gefängnis.» (3)

Das weiß auch die Abstinenz-Lobby, und deshalb wagt es auch niemand, dem Kieler «Drogenarzt» Misserfolge oder das Scheitern seiner Therapie vorzuwerfen. Schließlich sprechen die Fakten für ihn: Ein großer Teil seiner heroinabhängigen Patienten, die mit schweren Verwahrlosungserscheinungen zu ihm kamen, war nach einer gewissen Zeit psychisch und sozial stabilisiert, trotz ihrer Abhängigkeit von Ersatzdrogen. Das gilt sogar für Alkoholiker und Medikamentenabhängige, die auch zu Grimms Klientel gehören.

Die Vorwürfe, die gegen Gorm Grimm erhoben werden, sind heute eher Rückzugsgefechte, mit denen man wenigstens das Gesicht wahren will. Grimm verschreibe «indikationswidrige Mengen» und kontrolliere nicht die Einnahme durch die Patienten.

In einem Verfahren, das die Ärztekammer Schleswig-Holstein gegen ihn anstrengte – mit dem Ziel der «Feststellung, dass der Beschuldigte zeitweilig oder dauernd berufsunwürdig ist» – wurden Vorfälle aus fünf Jahren penibel aufgelistet. Das Berufsgericht, bestehend aus drei hochrangigen Medizinern, sprach ihn frei und erlegte der Ärztekammer die Kosten auf. In der Begründung hieß es — ein sarkastischer Unterton ist unüberhörbar: Es sei bewusst auf die Befragung von Experten verzichtet worden, «weil der wissenschaftliche Streit um die Ersatzdrogentherapie Heroinsüchtiger weithin einem Glaubenskrieg gleicht und von Sachverständigen über das in bisherigen Veröffentlichungen und Anhörungen hinaus Gesagte nichts Neues mehr zu erwarten war».


drugs

Aus der «Fülle der bisherigen Meinungsäußerungen» ergäbe sich nur zweierlei, so das Gericht, «nämlich dass es weder einen eindeutig festmachbaren Grund für das Entstehen der Sucht beim einzelnen Abhängigen gibt, noch eine einzelne Behandlungsmethode, die den Erfolg auch nur andeutungsweise garantiert». Die Bekämpfung der Drogenabhängigkeit sei «ein derzeit noch ungelöstes medizinisches Problem». Deshalb, so folgerten die Richter erstaunlich konsequent, gebe es auch bei der Behandlung von Heroinabhängigen «keine anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft, von denen abzuweichen einen ärztlichen Kunstfehler bedeutet».

Doch halt: Wenn das so ist, warum verschreiben nur ein paar Dutzend Ärzte in Deutschland Codein? Warum ist diese Methode der Substitution bisher nur in Hamburg offiziell anerkannt? Warum informieren die meisten Drogenberatungsstellen nicht über diese Möglichkeit, obwohl der Kieler Arzt eine erstaunliche Erfolgsquote vorweisen kann? Warum weigern sich die Therapie-Einrichtungen und die Drogenexperten standhaft, das Thema auch nur zu diskutieren?

Ganz einfach: Wir sind in Deutschland, und da geht es ums Prinzip. Und das heißt: Abstinenz. Dazu kommt, dass sich die Ärzte auf staatliche Stellen, Polizei, Justiz, Gesundheits- und Sozialbehörden und die Berufsgruppen verlassen können, die vom Abstinenz-Dogma profitieren. Die Junkies werden der Abstinenz-Therapie mit allen Mitteln «zugeführt». Für Gorm Grimm fußt der ärztliche Umgang mit Drogenabhängigen in Deutschland auf der «gelungenen Einschüchterung (fast) aller Mediziner», er ist «das Ergebnis» einer «im internationalen Vergleich beispiellosen deutschen Ärzte-Disziplinierung».

In dem Bescheid eines Gerichtes, das am 30.10.1985 ein Verfahren gegen Gorm Grimm einstellte, heißt es: «Auch der Hinweis des Beschuldigten, dass die ‘Substitutionstherapie’ in der internationalen Literatur positiv beurteilt werde, kann nicht dazu führen, die Behandlungsmethode des Dr. Grimm nicht als Verstoß gegen die ärztliche Heilkunst anzusehen.» (4) Und: Es könne den Beschuldigten nicht entlasten, wenn in der internationalen Literatur Reduktionsprogramme und Erhaltungsprogramme diskutiert würden. Mit anderen Worten: Wenn in anderen Ländern gute Erfahrungen mit der Substitution gemacht werden, heißt das noch lange nicht, dass deutsche Ärzte und Juristen deshalb auf ausländische Experten hören müssten.

Trotz dieser seltsamen Logik: Das Verfahren wurde eingestellt. Juristisch haben sich die Gegner Gorm Grimms bisher nicht ein einziges Mal durchsetzen können. Er gewinnt alle Prozesse.

Die offenen Anfeindungen, deren er sich seit Jahren erwehren muss, haben ihre Spuren hinterlassen. Der «Drogenarzt» teilt so kräftig und grob aus, wie er einstecken musste. Er schätzt auch das «Suchtpotential» des christlichen Glaubens relativ hoch ein: Die durch ekstatische religiöse Erlebnisse bewirkte Euphorie sei «nicht empfehlenswert» und der Droge Crack gleichzusetzen. «Wenig empfehlenswert» sei auch die «Droge Macht». Auf nur knapp zwanzig Seiten eines seiner Bücher kreiert er eine «Theorie der Drogensucht», die beinahe alle Fragen meint klären zu können, um deren Beantwortung sich Generationen von Wissenschaftlern seit Jahrzehnten bemühen. So schafft man sich nicht viele Freunde.

Zur Zeit wollen die Krankenkassen dem Drogendoktor an den Kragen. Sie wollen die Substitution mit Codein nicht bezahlen. Den Apotheken ersetzen sie zwar die Kosten für die «Remmis», die Kompretten und den Saft, fordern aber von Grimm mehrere Millionen Mark zurück. Die Angelegenheit ist zunächst – bis zu einem Musterprozess -aufgeschoben. «Ich habe mir Narrenfreiheit erkämpft», sagt Gorm Grimm grimmig.


drugs

Der Kieler Arzt hat einige Briefe, die er erhielt, in einem Buch veröffentlicht. Sie sagen mehr aus als alle Reportagen und theoretischen Erörterungen über das «Drogenproblem». So schreibt eine Mutter, deren Sohn seit fünfzehn Jahren heroinabhängig war: «Ich habe mit ihm alle Stadien durchlebt und durchlitten, die in der Bundesrepublik im Lebenslauf eines Süchtigen fast unausweichlich vorgegeben sind: eineinhalb Jahre Jugendstrafanstalt wegen Besitz von einem halben Gramm Heroin, elf Langzeit-Therapien, zwei davon bis zum Ende durchgestanden, sechzehnmal Unterbringung in psychiatrischen Anstalten, davon mehrmals über längere Zeiträume hinweg, zwei Pflegschaften, etwa dreißig kalte Entzüge und immer wieder auch ambulante Therapie und Beratung. Ich weiß nicht, wie mein Sohn das ertragen konnte, ich weiß nicht, wie ich es ertragen habe. Mein Mann ist darüber gestorben.

Auch ich habe mich offenbar vor dem Gesetz schuldig gemacht, indem ich meinen Sohn mit Geld unterstützte (was das Gesetz andererseits von mir verlangt). Es wurde deswegen eine Geldstrafe von eintausendfünf-hundert DM über mich verhängt…
Aber ein solcher Bericht wird Sie, die Sie zumeist mit Süchtigen arbeiten, nicht überraschen, stellt er doch absolut kein Einzelschicksal dar. Das Besondere daran ist, dass sich für meinen Sohn wirksame Hilfe abzeichnete, zum erstenmal nach vierzehn Jahren: Er wurde in eine Methadon-Behandlung aufgenommen. Die Erleichterung war unvorstellbar. Von Straffälligwerden konnte keine Rede mehr sein, der Gesundheitszustand verbesserte sich erstaunlich, er hatte wieder Hoffnungen und Pläne, machte die ersten Schritte, um eine Ausbildung nachzuholen und was eben sonst zu einem normalen Leben gehört…

Dann, nach einer für meinen Sohn und mich recht kurzen Zeit des hoffnungsvollen Neubeginns, kam die Katastrophe: Der Arzt wurde verhaftet, (5) die Praxis geschlossen und einige hundert Patienten zurückgestoßen in Elend, Not und Verzweiflung. Nun sah mein Sohn keinen anderen Ausweg mehr, er strangulierte sich mit einem Kabel. Ich fand ihn, baumelnd, und konnte ihn noch rechtzeitig abschneiden. Erneut Einweisung in die Psychiatrie, wiederum Pflegschaft und Androhung einer Unterbringung auf Dauer. Davongekommen nur durch die Bereitschaftserklärung für eine neuerliche Langzeittherapie…

Ich klage an – im Namen Tausender von Süchtigen und ihren Angehörigen wegen Körperverletzung durch unterlassene Hilfeleistung und wegen der Verweigerung einer Behandlungsmöglichkeit. Ich klage an -wegen Duldung und Erzeugung unsagbaren Elends und Schädigungen an Körper und Seele bei Tausenden von Süchtigen, ihren Angehörigen und den ihrer Verantwortung folgenden Ärzten. Ich zögere nicht, dies alles als inhuman zu bezeichnen. Heute, am 2.6.1988, will ich diesen meinen ‘Bericht einer Mutten endgültig zum Abschluss bringen. Mein Sohn, seit 15 Jahren gehetzt und gejagt, sah keinen anderen Ausweg mehr und machte seinem verzweiflungsvollen Leben ein Ende.»


drugs

Das alles kann einen gestandenen deutschen Drogenexperten nicht erschüttern. Nehmen wir zum Beispiel den Leiter einer Kieler Drogenberatungsstelle, ehemals Kampfschwimmer der Bundeswehr, seit 20 Jahren im Geschäft. Bei meinem Besuch ist die Beratungsstelle gähnend leer: Es werden ausschließlich Therapie-Plätze angeboten, die auf Abstinenz setzen. «Wir kriegen unser Geld», sagt der Mann, «egal, ob wir das oder das machen.» Man müsse sich eben entscheiden, welche Möglichkeit der «Behandlung» der Junkies man wähle. In einem Leserbrief an ein Nachrichtenmagazin hat er eine Reportage über Gorm Grimm als «Lore-Roman» abgetan. Die Substitution sei die «Endlösung des Drogenproblems» und tauge «nicht zur ernsthaften Diskussion».

Nur wenige hundert Meter weiter, in der Praxis von Gorm Grimm, drängeln sich die Patienten. Ein Soldat der Bundeswehr – er kommt mit Marschbefehl des Truppenarztes – holt sich seine Codein-Dosis für mehrere Wochen. Sein Vorgesetzter, der ihn vor kurzem belobigt hat, weiß nicht von der «Sucht» des Untergebenen, der Truppenarzt hält auf seine Schweigepflicht.

Ein Leiter eines Heimes für Behinderte schluckt täglich achtzig Remedacen. «Wenn das jemand in meinem Heimatort erfahren würde, wäre ich unten durch», sagt der Patient. Er war noch vor zehn Jahren heroinabhängig. Durch die Codein-Substitution hat er den Absprung geschafft, kann aber von der Ersatzdroge nicht lassen. «Ohne Codein würde ich wahrscheinlich wieder rückfällig.» Er hat sich seinen Camping-Bus umgebaut. Wenn er in den Urlaub fährt, stopft er sich mehrere tausend Remedacen-Jabletten unters Dach. Der Vorrat hält mehrere Wochen.

Ein Tischlermeister, er ist Innungsmeister in Norddeutschland und war bis vor vier Jahren noch heroinabhängig, substituiert sich mit Codein-Kompretten. Ein Werftarbeiter aus Hamburg kommt in die Praxis. Die Kollegen ahnen nichts von seiner «Sucht». Der Chef weiß Bescheid: Sein Arbeiter beichtete ihm das «Suchtproblem» erst, als er mehrere Monate unter härtesten Bedingungen geschuftet hatte. Der Boss entgegnete lapidar: «Wenn du drei Monate mit dem Sandstrahl gearbeitet hast, kann ich ja wohl nichts dagegen haben, dass du drogenabhängig bist.» Der Patient süffelt jeden Tag vier Flaschen des Schmerzmittels Valoron IV auf ex. Das Medikament enthält das Opiat Tilidin. Die Herstellerfirma hat Valoren seit einigen Jahren mit einem Opiat-Antagonisten versetzt. Deshalb fällt es nicht unter das Betäubungsmittelgesetz und heißt jetzt «N» wie «neu». Der Wirkstoff ist der alte, man muss nur wissen, wie man es einnimmt, damit der Brechreiz und der «Turkey» — als Folge des Antagonisten – nicht zu spüren sind.

Eine junge Türkin, ehemals heroinabhängige Prostituierte, kommt mit ihrer Mutter zu Gorm Grimm. Sie ist HIV-positiv und hat nur noch kurze Zeit zu leben. Sie wird — wahrscheinlich zum letzten Mal – in ihre Heimat reisen und braucht dazu mehrere hundert Remedacen. Beim Abschied bricht sie in Tränen aus und fällt ihrem Doktor um den Hals. «Ich liebe Sie», ruft die schwer gezeichnete junge Frau immer wieder.

Beispiele dieser Art gibt es genug. Die Gegner der CodeinSubstitution können den Effekt der «medikamentengestützten Therapie der Drogensucht» (MTD), wie sie Gorm Grimm nennt, kaum bestreiten: Die Mehrzahl der Patienten hat sich von der kriminellen Drogensubkultur distanziert, geht einem Beruf oder einer Ausbildung nach und hat sich ein neues soziales Umfeld geschaffen. So bezieht sich die stark emotional gefärbte Kritik eher auf die Vergabepraxis der «Ersatzdroge». Codein hat für die Abhängigen den Vorteil, dass es nicht unter Aufsicht des Arztes eingenommen werden muss – wie etwa Methadon. Ein Arztbesuch ist nur einmal pro Woche oder noch seltener nötig.

Patienten, die längere Zeit in Behandlung sind, kommen nur alle paar Monate.
Damit hat sich Grimm den Vorwurf eingehandelt, er verzichte auf die obligatorische psychosoziale Betreuung. Der Ärger der orthodoxen Drogenexperten ist verständlich, würde doch die Methode des Dr. Grimm in erheblichem Maße Arbeitsplätze überflüssig machen – in den Drogenberatungsstellen, die in der Regel die psychosoziale Betreuung übernehmen, und in therapeutischen Einrichtungen.

Deshalb pflegt man die Fälle in der Öffentlichkeit zu zitieren, in denen Patienten des Kieler Arztes an den Folgen des Drogenmissbrauchs gestorben sind. Prof. Dr. Wolfram Keup, ein Gegner der Substitution à la Grimm, wies als Sachverständiger in einem Prozeß darauf hin, dass der Arzt kontrollieren müsse, dass und wie das Ersatzmittel eingenommen werde. Es bestünde die Gefahr, dass der Süchtige die Substitution nur als bequeme Möglichkeit ansehe, zu seinem Stoff zu kommen. «Der Süchtige» sei außerstande, das Suchtmittel selbst zu dosieren.


drugs

Die Gerichte sehen das anders: In einem Prozess wegen «fahrlässiger Tötung» gegen Gorm Grimm – einer seiner Patienten war an Tabletten gestorben, die ihm der Arzt verschrieben hatte stellte das Gericht fest: Eine «Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit» sei «bei einem Süchtigen nicht generell gegeben». Merkmal der Sucht sei zwar ein Kontrollverlust, diese «suchtbedingte Einengung der Willensfreiheit» reiche jedoch nicht generell so weit, dass ein Süchtiger «nicht oder nur erheblich eingeschränkt in der Lage ist, das Risiko einer Überdosis zu verstehen, zu erkennen und diesem Risiko Widerstand entgegenzusetzen». Gorm Grimm habe den Patienten über die tödlichen Risiken eines Medikamentenmissbrauchs aufgeklärt. Außerdem, so folgerte das Gericht, werde ja auch die «strafrechtliche Verantwortlichkeit Süchtiger bei Beschaffungsdelikten in der Regel ohne Einschränkung bejaht».

Da die Justiz immer noch davon ausgeht, dass Drogenabhängige zu bestrafen seien, also den freien Willen zu kriminellen Delikten voraussetzt und nicht etwa verminderte Zurechnungsfähigkeit — wie häufig bei Alkoholikern -, kann man schwerlich argumentieren, dass ein Süchtiger nicht weiß, was er tut. Gorm Grimm wurde freigesprochen. Schließlich ist bisher auch niemand auf die Idee gekommen, einen Arzt zu verklagen, der seinem Patienten Barbiturate verschrieben hat, mit denen man sich ebensogut umbringen kann.

Natürlich hat die Methode des Doktor Grimm, seinen langjährigen Patienten zu vertrauen und ihnen die Mengen zu verschreiben, die sie vorgeben zu brauchen, einen Nebeneffekt: In Hamburg und Schleswig-Holstein gibt es einen ausgedehnten Schwarzmarkt für Codein. Nur hinter vorgehaltener Hand munkeln die Junkies, dieses Codein stamme aus der Praxis des Kieler Arztes. Es geht sogar das Gerücht, dass ehemalige Heroinabhängige, die mittlerweile mit Polamidon substituiert würden, sich weiterhin ihr Codein in Kiel abholten und das dann an Junkies verkauften, die sonst keine Möglichkeit hätten, sich zu substituieren. Zu beweisen ist das nicht.

Es ist kaum anzunehmen, dass sich Gorm Grimm über dieses Problem nicht seine Gedanken gemacht hat. Er kann den Überblick darüber behalten, ob seine Patienten plötzlich nach mehr verlangen. Diesen Wunsch wird er ablehnen. Er kann jedoch nicht kontrollieren, ob sich einer der Drogenabhängigen herunterdosiert und das überschüssige Codein an andere Bedürftige abgibt. Aber was wäre dagegen einzuwenden? Jeder Abstinenz-Theoretiker müsste doch erfreut sein, wenn ein Süchtiger plötzlich weniger Suchtmittel konsumiert. Und wenn Fixer, die nicht ärztlich betreut werden, Codein statt Heroin bevorzugen, was das Risiko einer letalen Dosis verringert, ist das ebensowenig zu verurteilen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilt zum Problem des Schwarzmarktes: «Gesundheitliche Schäden durch Einverleibung von
Betäubungsmitteln, die sich Patienten auf dem schwarzen Markt besorgen, sind dem behandelnden Arzt ebensowenig anzulasten wie den Personen, die Langzeittherapien durchführen. Derartige Schädigungen sind nicht vermeidbar.» (6)


drugs

Aber sollte ein Arzt nicht darauf dringen, dass ein drogensüchtiger Patient möglichst bald versucht, sich aus seiner Abhängigkeit zu befreien? «Niemand sollte den Vormund spielen», antwortet Gorm Grimm. Man müsse realistisch denken. Immerhin lebe ein Drittel seiner Patienten nach sieben Jahren SubstitutionsTherapie völlig opiatfrei. Und auch den meisten anderen habe kontrollierte Abhängigkeit ein besseres Leben ermöglicht. «Besser ist es», sagt der «Drogenarzt», «sie holen sich regelmäßig ihren Suchtstoff bei mir ab, als wenn sie als Junkie verelenden.»

Vielleicht brauchen manche Menschen aus unterschiedlichen Gründen künstlich erzeugte Lustgefühle, um ihr Leben meistern zu können. Sie nehmen dafür die Abhängigkeit und Nebenwirkungen in Kauf. Was allein zählen sollte, ist der gesellschaftliche Schaden, den sie anrichten. Und der ist bei den Opiat-Abhängigen, die sich in die Behandlung des Kieler Arztes begeben, ohne Bedeutung. Der Zwang im Gefolge ihrer Abhängigkeit, jeden Tag Drogen zu konsumieren, ist vergleichbar mit dem von Zuckerkranken, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Insulin spritzen zu müssen. Mehr Unheil richten ganz andere Dinge an. «Alles, was Euphorie auslösen kann, ist eine Droge», sagt Gorm Grimm. «Die Nebenwirkung extremer Formen der christlichen Religion ist Paranoia.»
_________________________________________

(1) G. Grimm (1992), S. 196
(2) W. Keup (1983), S. 26
(3) G. Grimm (1992), S. 198
(4) G. Grimm (1992), S. 349
(5) Der Arzt Dr. Johannes Kapuste wurde ein Jahr in Untersuchungshaft gehalten, zwangsweise einer psychiatrischen Behandlung zugeführt, für unzurechnungsfähig erklärt und mit einem Berufsverbot für die Behandlung Drogensüchtiger belegt.
(6) zit. nach G. Grimm (1992), S. 238

image_pdfimage_print

Praktisch unbemerkt


surveillance
surveillance blacklight::1 grayscale color::1 –v 4 –chaos 100 –s 750

Netzpolitik.org und Heise berichten synchron: EU-Länder wollen Blankoscheck zum Ausspionieren von Journalisten.

Das finde ich super. Dann lernt die Journaille endlich auf die harte Tour, sich mit Überwachung zu beschäftigen und sich davor zu schützen. Oder glaubt jemand ernsthaft, die herrschende Klasse hielte sich an die eigenen Gesetze? Warum dieses Gejammer und Apellieren an den Staat, das Gute zu tun und das Böse zu lassen? Seriously?

So sollen solche Überwachungsprogramme „im Einzelfall aus Gründen der nationalen Sicherheit“ verwendet werden dürfen oder „im Rahmen von Ermittlungen zu schweren Straftaten“. Was haben wir gelacht. Was genau ist die „nationale Sicherheit“ und wer bestimmt das? Und sind wir nicht alle irgendwie Einzelfälle?

Jeder kann sich übrigens Journalist nennen. Das ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Um wen geht es dann? Auch um Blogger oder „Influencer“?

Stefan Krempl, der schon zur so genannten Online-Durchsuchung viel Unsinn von sich gab, schreibt auch hier wieder vom „Staatstrojaner“. Netzpolitik.org macht mit dem Bullshit-Bingo weiter: Das Mittel der Wahl bei den Überwachungsaktionen: Staatstrojaner. Berüchtigt ist insbesondere Pegasus, ein Trojaner der israelischen Firma NSO Group, der Handys praktisch unbemerkt infiltrieren kann. Dadurch kann selbst verschlüsselte Kommunikation über Dienste wie WhatsApp oder Signal ausgelesen werden. Journalisten, die mit Pegasus oder anderen Trojanern gehackt wurden, müssen die Preisgabe ihrer Quellen fürchten.

Falsch. Auf meine Rechner kommt nichts, was ich nicht erlaubt habe. Pegasus kommt auch nicht auf mein Android-Smartphone, weil ich alle „Infektionswege“ kenne und vermeide. Der Angriff erfolgt grundsätzlich über iMessage in Form einer Nachricht mit einem Link zum Anklicken. Warum zum Teufel sollte ich in einer „iMessage“ (was soll den das sein?) auf einen Link klicken, wenn ich nicht weiß, wohin der führt, zumal der Absender ohnehin unter Spam-Verdacht steht, wenn ich ihn nicht kenne? Wenn ich lese „der Handys praktisch unbemerkt infiltrieren kann“, schwillt mir der Kamm. Und theoretisch unbemerkt? Das ist genau dieses vage Gefasel wie bei der „Online-Durchsuchung“, das die Fakten haarscharf umgeht oder nicht erwähnt.

„Das Hacken von Geräten ist somit nur in Ausnahmefällen erlaubt, nämlich wenn eine konkrete Gefahr besteht, schreibt Wikipedia. Und wie wollen die mich hacken? Nur zu! Ich brauche keine Gesetze, „solchen Übergriffen einen Riegel vorzuschieben“.

Vielleicht sollt ich die NSO Group mal interviewen und sie fragen, ob sie ein Staatstrojaner-Konzern sind oder nicht vielmehr ein Staatsgriechen-Konzern? Die würden sich totlachen. Und wie die sich das mit Linux, PGP, Veracrypt usw. vorstellen? Und vor allem mit Gar-Nicht-Irgendwo-Draufklicken? Und was ist mit Mutt und Clawsmail, die das Klicken bei Strafe des In-einen-virtuellen-See-geworfen-Werdens sowieso nicht wollen?

Diese hyperventilierende Berichte verschweigen die beiden wichtigsten Fakten: 1. Überwacht wird nur der, der es fahrlässig erlaubt. 2. Wer glaubt, der Ausschuss, der die Geschäfte der Bourgeoisie organisiert, hielte sich, wenn es darauf ankommt, an Gesetze, ist naiv und entsetzlich dumm.

Schön, dass wir darüber geredet haben.


surveillance

User: Warum nennen manche Leute eine Überwachungssoftware „Staatstrojaner“, obwohl die Griechen im Trojanischen Pferd saßen und die Trojaner draußen waren?

ChatGPT: Es ist wichtig, metaphorische Ausdrücke nicht wörtlich zu nehmen, sondern ihre symbolische Bedeutung zu verstehen. Der Begriff „Staatstrojaner“ soll verdeutlichen, dass die Überwachungssoftware heimlich in die Geräte eindringt, ähnlich wie die versteckten Krieger im Trojanischen Pferd. Es ist nicht beabsichtigt, dass die Überwachungssoftware tatsächlich „Staatsgriechen“ genannt wird.

User: Die versteckten Krieger waren aber Griechen. Ist die Metapher von einem „Staatstrojaner“ nicht irreführend, weil die Trojaner gar nicht versteckt waren?

ChatGPT: Du hast recht, die Metapher des „Staatstrojaners“ kann in Bezug auf die Geschichte des Trojanischen Krieges etwas irreführend sein. Im Mythos des Trojanischen Pferdes waren es tatsächlich die Griechen, die sich im Inneren des hölzernen Pferdes versteckten, während die Trojaner unwissentlich das Pferd in ihre Stadt brachten.


surveillance

image_pdfimage_print

Unter Harzern


Wassersportheim Stössensee
Wassersportheim Stössensee
Wassersportheim Stössensee

Heute habe ich das Leck in meinem Kajak ausgebessert. Als ich genau hinsah, fand noch ein zweites. Dazu benutzte ich mit großem Vergnügen total unnachhaltiges unökologisches ultragiftiges Epoxidharz, in dessen Nähe man ohne Gummihandschuhe nicht kommen sollte, ähnlich wie bei manchen meiner ehemaligen Kunden in der Notaufnahme.

Ich chillte danach ein paar Stunden vor dem Bootshaus, bis das Gemisch einigermaßen hart war und ich das Boot wieder in der Halle verstauen konnte.

image_pdfimage_print
image_pdfimage_print

← Next entriesOlder entries