Immer schön sauber bleiben oder: Abgegrenzt gegen Unglauben und Fremdheit

washing hands
Eine Politikerin der „Linken“, die sich einer Demonstration, auf der auch Wagenknecht zu sehen war, auf weniger als 100 Meter genähert hatte (Symbolbild).

Im kanonischen Verständnis der Ethnologie ist Religion eine Unterkategorie der Kultur. In der globalistischen Perspektive auf Panmixie lösen sich beide Begriffe auf. Gleichsam als vorsichtige Rechtfertigung der zugegebenermaßen unpräzisen Kategorien Religion und Kultur möchte ich ihren gemeinsamen Grund beleuchten, der zwischen Disziplinierung und Lebenshilfe verortet werden kann. Rückbindung an ein Urgeschehen vereint alle Religionen, das Streben nach Reinheit alle Kulturen. Wie dort das Wissen und Erinnern durch Ritus und Mythos am Leben erhalten werden muss, beharren Kulturen ungeachtet ihres synthetischen Aufbaus auf Alter und Authentizität. Die unverzichtbare, d. h. für ein Zusammenleben notwendige Gemeinsamkeit beider Sinnsetzungen liegt in der Disziplinierungsleistung. Religion wie Kultur schaffen Verbindlichkeit, reduzieren Unsicherheit im zwischenmenschlichen Verkehr, sanktionieren Abweichungen und erlauben, ja erzwingen Abgrenzungen gegen Unglauben oder Fremdheit – Qualitäten, die die einmal gestiftete Vertrauenslandschaft bedrohen. (Bernhard Streck: „Bindung und Reinheit – Zum gemeinsamen Grund von Religion und Kultur“)

Meine These ist, dass die Purifikationsrituale der Gefühlslinken in Deutschland nicht politisch, sondern massenpsychologisch erklärt werden können. Man kann mit den Sektierern, die schon beim Erscheinen von Wagenknecht „Querfront“ murmeln, natürlich nicht diskutieren. Ein ethnologischer Blick auf Rituale setzt aber voraus, dass man von sich selbst eine Art Metatheorie hat, was aber gleichzeitig alle festgefügten Weltbilder ins Wanken bringt.

Beispiel: Ich bin als Kind in einer christlichen Sekte großgeworden. Als Student war ich in einer maoistischen Politsekte. Hat das Zweite mich vom Ersten geheilt? Mitnichten. Die Sektiererei hatte sich nur anders kostümiert.

Die Masse der Gläubigen versammelt sich in einem Saal. (Version religiös, Version politisch) Draußen ist der Feind (Version religiös, Version politisch). Die Gemeinde singt ein Lied (Version religiös, Version politisch). Die Prediger schreiten durch die Mitte der wartenden Masse nach vorn. Die Prediger haben die heiligen Bücher (Version religiös, Version politisch). Nur sie können sie richtig interpretieren. (Version religiös, Version politisch) Der Masse wird erklärt, wie sie „rein“ bleiben kann und das Böse außen vor lässt (Version religiös, Version politisch).

Will man aber einem Sektierer erklären, dass es in ähnlichen Gruppen wie der seinen vergleichbare Rituale gebe, die auch einen ähnlichen Zweck erfüllen, wird er das weit von sich weisen, da ja die seine eigene Lehre die einig Wahre ist (und sein muss) und alles andere das Gegenteil, also Lüge. Ich habe beide Versionen ausgekostet, ein drittes Mal kann es nicht geben. Deswegen kamen mir viele der „Parteiveranstaltungen“ der DDR, von denen mir erzählt wurde, „unheimlich“ bekannt vor: Abweichler mussten sich erklären und widerrufen, und die Masse blieb stumm. Ein ähnliches Gefühl hatte ich bei Shtiesel – ich konnte diese erdrückende geistige Enge in der Zwangsgruppe irgendwann nicht mehr ertragen und habe die Serie nicht bis zu Schluss angesehen. זה לא כיף. Auch das kannte ich irgendwie alles aus meiner Kindheit.

Nach dem Thema muss ich mich erholen und etwas darüber lesen, wie Fauda in der Realität aussieht.

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Kommentare

12 Kommentare zu “Immer schön sauber bleiben oder: Abgegrenzt gegen Unglauben und Fremdheit”

  1. Haimo Grebenstein am Februar 27th, 2023 7:53 pm

    Also wenn du schon Streck anführst, sollte eigentlich klar sein, dass „Religion“ und die Zuordnungen, die du anführst, nur ein gewisses Segment abdecken und in ihrer Definition und Ausprägung im Grunde rein christlich sind. Insofern bin ich schon bei dir – seit etlichen Jahren rede ich davon, dass „die Aufklärung“ im Prinzip auf halbem Wege stecken geblieben ist und lediglich die Funktion der „Kirche“ und des (einen) „Gottes“ durch „die Wissenschaft“ abgelöst wurden und die selbst verschuldete Unmündigkeit bestehen geblieben ist.
    Nimmt man die heidnischen Weltsichten, mit denen sich Streck ja vorrangig beschäftigt hat, stellt man fest, dass es auch völlig andere Wege gegeben hat, die erwähnten Grundfunktionen umzusetzen. Und zwar nicht wenige. Aber ™ da fehlt eigentlich schon ein Vokabular, um überhaupt darüber kommunizieren zu können.

  2. Godwin am Februar 27th, 2023 9:36 pm

    muss man Florian Schroeder kennen?
    teilt aber gut aus
    https://www.youtube.com/watch?v=Uu4IfwZ2Hyo

  3. Juttipat am Februar 27th, 2023 10:37 pm

    @Haimo:

    Hähäh,

    „auf dem Zaun der Aufklärung
    sitzt die Hexe und lacht…..“

    Buchempfehlung: Stolbergs Inferno

  4. blu_frisbee am Februar 28th, 2023 3:15 am

    Gödel sagt das Gegenteil von Chaos ist nicht Plan.
    Möglich ist das Runterskalieren der Komplexität, dann kommt man mit dem Plan klar, verliert aber die Produktivität.
    Oder man behält die Komplexität, dann hat mans mit nem Attraktor zu tun und dem Risiko, daß der einmal ausbricht, evlt alles kaputt macht.
    Religionen vermitteln Einfachheit.
    Mit Ambiguität kommen Menschen nicht klar.
    Fängt schon mit der Zahl der Geschlechter an (Triebrichtung und Körpergefühl machens noch kompilizierter*).
    *Kein Fehler https://www.youtube.com/watch?v=6X9CEi8wkBc

  5. ... der Trittbrettschreiber am Februar 28th, 2023 4:49 am

    @Juttipat

    „Zaun der Aufklaerung“ – also ich wuerde da runterfallen….hx.

    https://www.youtube.com/watch?v=RJy9upHNULM

  6. Tipi am Februar 28th, 2023 10:42 am

    @Godwin
    muss man überhaupt nicht kennen, ich fand den noch nie besonders witzig oder sogar geistreich, aber Serdar Somuncu ist in dem Zusammenhang hörenswert.

    https://www.youtube.com/watch?v=iXhk4qHSUJE

  7. blu_frisbee am Februar 28th, 2023 11:04 am

    „Kabelbrand im Herzschrittmacher“ endet mit einer
    Müllkippe über der Gottes Sprechblase schwebt und sagt: „Das hab ich nicht gewollt“.

  8. Haimo Grebenstein am Februar 28th, 2023 12:05 pm

    @Juttipat:

    schöner Satz. Ist der aus dem Buch?

  9. ... der Trittbrettschreiber am Februar 28th, 2023 12:29 pm

    @Tipi

    „Serdar Somuncu“ … zischendes JEVER in Faessern ist besser als blubberndes Testosteron in Flaschen.

  10. ... der Trittbrettschreiber am Februar 28th, 2023 1:25 pm
  11. admin am Februar 28th, 2023 2:02 pm

    Der liegt hier noch.

  12. Godwin am Februar 28th, 2023 4:53 pm

    @ Tipi

    thnx 4 the link
    das der rbb sowas noch bringt

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