Unter moralfreien Desinformationssöldnern

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Foto: [M] Lina Moreno / DER SPIEGEL; Fotos: Screenshot / Team Jorge Präsentation

Nach Monaten der falschen Fährten, Fallen und Versteckspiele endlich eine vielversprechende Spur. Sie führt ins karge israelische Bergland, in eine hässliche Planstadt auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Zwischen zwei Autobahnen steht dort ein gesichtsloses Bürozentrum der Eıngang ist versteckt. Es geht durch die Tiefgarage, hoch in den dritten Stock, an der Sicherheitstür hängt kein Schild, kein Hinweis. Drinnen: drei Männer, alle über 50, alle mit langen Karrieren als Agenten, Militärs. Schattengestalten, die Tarnnamen nutzen. Die offizell nicht existieren. (Anreißer der Spiegel-Titelgeschichte)

Karges Bergland. Hässliche Planstadt. Gesichtsloses Bürozentrum. Was fehlt: Es war neblig und es regnete. Räudige Hunde streunten herum. Die Straßen voller Schlaglöcher. Die hakennasigen Agenten blickten finster und stumm im Raum herum. Und alles voller Juden, mindestens vom Mossad. Im Ernst? Diese Räuberpistole wollt ihr mir andrehen? Da muss man mal genauer hinsehen und die heiße Luft wegpusten.

Der Guardian hat daraus eine mehrteilige Story gemacht: „The secret world of disinformation for hire“, „How undercover reporters caught ‘Team Jorge’ disinformation operatives on camera“, „‘Aims’: the software for hire that can control 30,000 fake online profiles“.

Für mich sieht das übrigens so aus, als hätten der Guardian, Forbidden Stories sowie Gur Meggido und Omer Benjakob die Recherche angeschoben, und dass sich die deutschen Medien nur drangehängt haben.
Last year, coordinated by the French media organisation Forbidden Stories, a group of journalists from around the world, including from the Guardian, embarked on a project: to get inside the murky world of disinformation and expose those who profit from it.

Der Plot ist natürlich interessant, haut mich aber nicht vom Stuhl. Regierungen geben Millionen aus, um Wahlen zu gewinnen, zu bestechen und fälschen oder so tun, als seien die Wahlen nicht manipuliert. Hier ist es eine private Firma mit dem Namen Demoman International, die, wenn sie nicht in Israel säße, sondern in Papua-Neuguinea, nicht so viel Aufsehen erregt hätte.

Ich habe mal ein bisschen herumrecherchiert: Die Firma wurde 1999 gegründet und risidiert in Nazareth Illit aka Nof HaGalil. Die hätte ich auch allein herausgefunden und auch nicht Monate dafür gebraucht. Die machen angeblich alles, was man aus einschlägigen Filmen kennt, vermutlich auch Vorbereitung von Angriffskriegen. Geld regiert die Welt. So schlimm wie Academi sind sie aber noch nicht.

Viele im Land wissen nicht mehr, was wahr ist, oder falsch. Später werden die Israelis demonstrieren, wie sie offenbar in das E-Mail-Konto eines mächtigen kenianischen Politikers eindringen. (Spiegel)

Stimmt: Die „Online-Durchsuchung“ darf auch nicht fehlen. Man ahnt, dass es bei dem Herumgeraune eher darum geht, das vermeintliche eigene Herrschaftswissen zu verteidigen. Die klassischen Medien können „Wahrheit“ und „Lüge“ unterscheiden, die dumme Bevölkerung aber nicht. Mich regt diese Attitude maßlos auf. „Einen Truppe moralfreier Desinformationssöldner“ – welche Moral denn? Und wer hat die? Wollen die suggerieren, etwas die US-amerikanische Regierung oder die russische herrschende Klasse scherten sich um Moral? Die Einzigen, die moraltriefend herumheulen, sind die deutschen Grünen und durchgeknallte höhere Töchter – deswegen verstehen sie auch die Welt nicht.

Die Moral von der Geschicht‘ taucht plötzlich zwischendrin auf: „In den vergangenen Jahren ist eine rasant wachsende Desinformationsundustrie entstanden“. Ach? Da wäre ich gar nicht drauf gekommen. Wenn das Stalin gewusst hätte! (Den Satz: „Immer wieder zeigen sich Verbindungen nach Russland“ hättet ihr euch sparen können, liebe Kollegen – es geht hier um eine israelischen Firma, und die beunruhigte Leserschaft ahnt ohnehin, dass alles irgendwie auf Putin hinweist, auch wenn es an den Haaren herbeigezerrt wird.) Mehr als eine ganze Seite handelt demgemäß von den finsteren Russen, die mit dem „Team Jorge“ rein gar nichts zu tun haben. Die Zitate des Verfassungsschutzes, der vor irgendetwas warnt, habe ich gar nicht erst gelesen. Oh doch, versehentlich: „Der Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen über Einflussnahme, Desinformation und Propaganda spielt eine immer größere Rolle.“ Ach was. Man müsste denen den Gebrauch des Komparativs verbieten. Dann gingen ihnen irgendwann die Textbausteine aus.

Man will mir im Artikel weismachen, dass „dystope Weltbilder“, die von Selenskij „Despoten“ verbreitet würden, daher rührten, dass „zu viele Menschen nicht mehr zwischen Fakten und Lügen unterscheiden“ könnten. Vielleicht sollte man auch Relotius dazu befragen.

Wenn man sich durch die Details des maßlos aufgeplusterten Artikels wühlt, findet man das alles gar nicht mehr so skandalös. Natürlich haben die Herren magische Fähigkeiten und „hacken“ sich überall rein. Machte ich eine Präsentation, die den Verkauf meiner Dienstleitungen ankurbeln soll, würde ich das auch tun und bluffen, bis es zu den Ohren rauskommt. (Ich kann mich erinnern, dass ich als „Computerexperte“ in irgendeiner Sendung vorführte, dass man mit dem DOS-Befehl für telnet unter Windows wahnsinnig geheimnisvolle Zeichen auf den Monitor zaubern konnte, was das Publikum schwer beeindruckte.)

Selbstverständlich können Profis Leute übertölpeln, und bei manchen afrikanischen Politikern dürfte das nicht allzu schwer sein, wenn das schon in Deutschland passiert. Stellt man man sich dann die Software vor, mit denen die vermutlich Mailen usw., kommen sogar mir lustige Ideen. Ich habe nur nicht das Geld, die richtigen Leute zu bestechen.

Wer Hanan und seinen Wahrheitskillern eine Weile zuhört, merkt schnell, dass echte Demokratie in ihrer Welt eine Illusion ist. Dass sie Wahlen für ein ohnehin oft abgekartetes Spiel halten, bei dem meist der trickreichere gewinnt. (Spiegel)

Ach, das ist nicht so? Was ist denn „echt“ an der Demokratie? Dass die herrschenden Klassen über genug Mittel verfügen, ihre Sicht der Dinge durch ihre Mietmäuler in den Medien zu verbreiten?

Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet. (Karl Marx)

Ich schrieb 2016: Die Krise des Kapitalismus wird zeigen, dass „Demokratie“, wie sie der Mainstream versteht, eben nur eine Illusion ist. Die Mittelklassen appellieren an die da oben, sich doch bitte an die Regeln zu halten, die angeblich common sense seien (keine Zensur usw.). Die herrschende Klasse ist aber eine Charaktermaske – sie interessiert das nicht.

Journalisten vertreten ideologisch die Klasse, aus der sie stammen, also mehrheitlich die Kleinbourgeoisie, und neigen dazu, die Interessen der herrschenden Klasse als die Interessen aller zu verkaufen. Das sagt die Wissenschaft, und das will natürlich niemand hören.

Trotzdem agiert die Politik bislang zurückhaltend. (Spiegel) Die Katze kommt aus dem Sack gekrochen. Es wäre kein deutscher Journalismus, wenn man sich mit den Fakten begnügen würde – man muss auch etwas fordern. was im übrigen mitnichten eine journalistische Aufgabe ist. Die Europäische Union richtete bereits 2015 eine Taskforce ein, die mitunter täglich die Lügen aus Russland entkräftet. Tun die das – und wie? Kann man die Wirkung irgendwie messen? Und sieht man Ergebnisse, etwa, dass die Bevölkerung den Mainstream-Medien wieder mehr Glauben schenkt? Und täglich grüßen die „unabhängigen Faktenprüfer“, die das Gelogene, Hässliche und Schlechte wegzensieren. Elon Musk hat ihnen da einen Strich durch die Rechnung gemacht, was ich lustig finde.

Doch das goldene Zeitalter staatlicher Desinformation begann erst mit dem Internet. (…) Die Zeit der Desinformationskriege beginnt gerade erst. (Spiegel)

Und was sagt uns das jetzt alles? Journalisten heute verfügen nur noch selten über eine umfassende Allgemeinbildung, schreiben schlechtes Deutsch, „recherchieren“ aus dem Bauch heraus, wissen nicht, wie man sicher kommuniziert, wählen in den Anstalten mit großer Mehrheit die „Grünen“ und übernehmen deren Sprachesoterik – ist das eure Lösung? Gut, dass wir darüber geredet haben.

By the way: Diese Software Advance Impact Media Solutions (AIMS) brauche ich auch: „able to control the army of fake avatars“. Das wäre ja großartig, wenn ich mehrere Avatare auf einmal spielen könnte.

team jorge
Tal Hanan said Aims bots were linked to SMS-verified phone numbers, and some even had credit cards. Composite: Guardian Design/Haaretz/TheMarker/Radio France

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Kommentare

2 Kommentare zu “Unter moralfreien Desinformationssöldnern”

  1. Jens am Februar 25th, 2023 10:52 am

    Guten Tag,
    hoffentlich muß ich nicht erleben, dass Sie jegliches Verhalten und die rassistischen Ansichten der orthodoxen, bewaffneten, jüdischen Siedlern demnächst gut heißen.
    Ich kann ihren Reflex alle möglichen Dinge in Israel zu verteidigen oder in Schutz zu nehmen ja nachvollziehen. Aber dieser Impetus wird umso glaubwürdiger, wenn dabei ab und zu auch Dinge kritisiert werden.

    Gruß
    Jens

  2. admin am Februar 25th, 2023 11:46 am

    Nicht alle Siedler sind orthodox, ganz im Gegenteil: die oben erwähnte Stadt im „kargen Bergland“ ist in Samaria und wird vorwiegend von säkularen Juden bewohnt. „Bewaffnet“ find ich gut und nützlich.

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