Wg. Bagatz

Supreme Court Building in Jerusalem
Im Obersten Gericht Israels – credits: Shifra Levyathan

Wenn alle deutsche Medien freiwillig gleichgeschaltet sich einig sind, werde ich misstrauisch. Die Justizreform in Israel ist „umstritten“. Wäre komisch, wenn es nicht so wäre. Ich habe mir noch kein Urteil gebildet, weil ich zu wenig weiß.

Das Oberste Gericht setzt sich aus insgesamt 15 Richtern zusammen, die nach ihrer Ernennung durch den Staatspräsidenten regulär bis zu ihrem 70. Lebensjahr dienen können. Die Auswahl der Richter ist stets umstritten, da das Gericht auch über hochpolitische Angelegenheiten, darunter etwa zur Rechtmäßigkeit von Siedlungen im Westjordanland, entscheidet. Unter konservativen, religiösen und rechten Israelis hat es den Ruf, ein Hort des Linksliberalismus zu sein und sich in undemokratischer Weise über Entscheidungen der gewählten Regierung hinwegzusetzen. So schreibt das „Israelnetz“ (Vorsicht! Christen!)

Ich habe einige Zeit suchen müssen, um die audiatur et altera pars Position der Gegenseite zu finden. In der Jerusalem Post schreibt der Anwalt Avraham Russell Shalev zum Beispiel: „Israel is a juristocracy: The judges‘ rule over the people must end – opinion“.

Gegen die Reform sind zum Beispiel die Hipster die Firmen der neuen Kleinbourgeoisie Israels. Adam Fisher schreibt: „Judicial reform could push hi-tech out of Israel – opinion“. So viel Meinungsvielfalt in derselben Zeitung! Das kennt man in deutschen Medien kaum noch.

Es ist auch nicht überraschend, dass, so meint die FAZ, Netanjahu von der Reform persönlich profitieren könnte. Das Gegenteil ist unwahrscheinlich. Ich würde auch versuchen, Gesetze durchzupeitschen, von denen ich profitiere.

Ziel der umstrittenen Justizreform ist es, dem Parlament zu ermöglichen, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Politiker sollen außerdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten, erfährt man von der Tagesschau. Ich kann das Problem aber immer noch nicht richtig erkennen: Israel hat keine Verfassung, es gibt als auch kein Verfassungsgericht, das bei uns regelmäßig Gesetze für ungültig erklärt. Der „Oberste Gerichtshof“ ist in einer ähnlichen Position wie der Bundesgerichtshof.

Gesetze, die die Knesset verabschiedet hat, kann er nicht für „verfassungswidrig“ erklären, wenn sie mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen wurden. Grundgesetze, die die Verfassung Israels bilden, sind gesetzlich besonders abgesichert. Sie können nur mit einer Mehrheit von 70 der 120 Abgeordneten geändert werden. In Bezug auf diese Grundgesetze ist der Oberste Gerichtshof zugleich „Verfassungsgericht“.

Das oberste Gericht Israels interpretiert die Gesetze nur, beschließt sie aber nicht. Das soll sich gar nicht ändern. Warum sollte die Gewaltenteilung in Gefahr sein? Da muss man doch ins Detail gehen: Wenn der Oberste Gericht feststellte, dass bei einem Urteil formale Fehler gemacht wurden, kann die Knesset mehrheitlich beschießen, dass ihnen das egal ist? Dann könnten sie das Gericht auch gleich abschaffen.

Deutschland: Die Richter des Bundesgerichtshof werden vom Richterwahlausschuss gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. Die Ernennung erfolgt auf Lebenszeit. Der Richterwahlausschuss ist ein aus 32 Mitgliedern bestehendes Gremium, das vom Bundesjustizminister einberufen wird und sich aus den Justizministern der 16 Bundesländer sowie 16 weiteren, vom Deutschen Bundestag gewählten Mitgliedern zusammensetzt.

Irael: Die Mitglieder des Obersten Gerichts werden – wie alle Richter – vom Präsidenten des Staates Israel auf Vorschlag eines Richterwahlausschusses ernannt. Der Richterwahlausschuss besteht aus drei Mitgliedern des Obersten Gerichts (einschließlich seines Präsidenten), zwei Ministern (darunter dem Justizminister), zwei Abgeordneten der Knesset und zwei Vertretern der Anwaltskammer.

Wo ist der signifikante Unterschied? Ich sehe eher beide politischen Lager in Israel im Wahlkampfmodus, und wofür die deutsche Presse mit ihrem Halbwissen Partei ergreift, ist auch vorher schon klar.

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Kommentare

7 Kommentare zu “Wg. Bagatz”

  1. André Dreilich am Februar 21st, 2023 2:36 pm

    Angesichts der aktuellen „Berichterstattung“ über Israel in den hiesigen Medien (allen voran die ÖRR), insbesondere über die machtvollen Demonstrationen gg die Regierungspolitik musste ich mein gräulich gewordenes Haupt schütteln. Als ich 2021/22 mir gut bekannten isralischen Ultrläufern von den in DE stattfindenden Demonstrationen gg die seinerzeitige Coronapolitik und das Vorgehen der Polizei gg die Demonstranten erzählte, hieß es: Ach, bei Euch wird auch demonstriert? Davon erfahren wir in Israel nichts. Das setzte sich beim Austausch von Informationen zum „Impf“geschehen fort. Dass es in Israel angesichts aufgetretener Schäden mittlerweile viele Gegner des mRNA-Experiments gibt, erfuhr ich zwar im 1:1, nicht aber in dt. Medien.
    Von daher überrascht es micht nicht, dass auch die Berichterstattung über das aktuelle Geschehen zu wünschen lässt.
    PS.: Was die vermeintliche Überlegenheit des deutschen Wesen angeht, so lohnt ein Blick nach Polen (genau, das Polen mit der ach so abhängigen Justiz). Während in Polen Staatsanwälte nicht weisungsgebunden und insofern zumindest de jure unabhängig sind, ist im besten Deutschland aller Zeiten nicht einmal eine de-jure-Unabhängigkeit gegeben; Staatsanwälte sind weisungsgebunden.
    Ein Schelm, wer denkt.

  2. nh am Februar 21st, 2023 4:39 pm

    Unabhängige Institutionen in D ???
    Das geht ja mal gar nicht.
    Jedenfalls nach 45

  3. André Dreilich am Februar 21st, 2023 9:13 pm

    @nh: doppelplusgut

  4. Jens am Februar 22nd, 2023 9:17 am

    „Israel hat keine Verfassung, es gibt als auch kein Verfassungsgericht, das bei uns regelmäßig Gesetze für ungültig erklärt. Der „Oberste Gerichtshof“ ist in einer ähnlichen Position wie der Bundesgerichtshof.“

    „Wo ist der signifikante Unterschied? Ich sehe eher beide politischen Lager in Israel im Wahlkampfmodus, und wofür die deutsche Presse mit ihrem Halbwissen Partei ergreift, ist auch vorher schon klar.“

    Vielleicht hilft es Ihnen weiter, wenn man sich einfach klar macht, dass es in einem demokratischen Staatswesen ein über dem jeweiligen Wählerwillen stehendes Regelwerk geben muss, auf welches sich jeder Bürger berufen kann, unabhängig welche Regierung gerade an der Macht ist.

    Oder einfacher ausgedrückt: was wäre, wenn der Bundestag durch eine Partei, welche 70 der Wählerstimmen bei der letzten Wahl bekam, den Artikel 3 abschaffte?

    Sie würden in solch einem Deutschland wohl nicht leben wollen.

    Btw: Falls es Ihnen möglich sein sollte — unbedingt die Zin River Wasserfälle besuchen!

  5. admin am Februar 22nd, 2023 10:12 am

    Niemand will das Oberste Gericht abschaffen, so weit ich das verstanden habe. Es geht wohl eher darum, dass die jeweilige Regierung mehr Einfluss darauf nehmen will, wer Richter wird. (Vgl. USA. Deutschland). Für wesentliche Änderungen bedarf es immer noch einer Zweidrittelmehrheit.

  6. Jens am Februar 22nd, 2023 10:37 am

    … OK.
    habe ich verstanden.
    (ich werde halt prinzipiell nervös, wenn jemand an Verfassungen „rumbasteln“ will, um sich Vorteile zu verschaffen. Und dass der Kollege Bibi nun ja — ähem — nicht gerade das Musterbeibspiel eines gegen Bestechlichkeit gefeiten Politikers ist … naja …

  7. blu_frisbee am Februar 23rd, 2023 2:00 am

    Es ist eine blöde Nazi-Idee daß der Staat fürs Volk da wäre.
    Umgekehrt ist der Staat die logische Evolution einer Räuberbande, seit 1789 im Dienst des Kapitals mit ansässigen und auswärtigen Proletariern als Beherrschten und Ausgebeuteten.

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