Kleine Anmerkung zur Kunst der Propaganda und der Trollerei

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Manche Textbaussteine, die sehr oft wiedergekäut werden, rauschen wirkungslos an einem vorbei, aber wenn man stutzt und genau hinsieht, offenbart sich das Bullshit-Bingo dann doch. Strafmildernd für den russischen Außenminister ist selbstredend, dass ich nur die deutschen Untertitel seiner Rede kenne und nicht weiß, was er auf Russisch gesagt hat. Was also sind „grundlegende nationale Interessen“? Und wie sehen die aus, wenn man das Bläh- und Füllwort „grundlegend“ weglässt?

Als Marxologe Marxist historisch-kritischer Materialist Linker lassen einen die sogenannten Interessen einer Nation sowieso kalt, außer man lebt in Israel, weil dort, wenn die Nation in Gefahr wäre, auch jede Jude fürchten muss, umgebracht zu werden. Ich kenne nur die Interessen sozialer Klassen. Warum sollte es einen Arbeiter scheren, wenn es der herrschenden Klasse schlecht geht – auf hohem Niveau? Warum sollten die da unten den Kopf hinhalten für die da oben? Was Sergei Wiktorowitsch Lawrow da faselt, pass zum Namen der Partei, der er angehört: Einiges Russland. Das hätten Kaiser Wilhelm und die Nazis auch gekonnt.

Man weiß also, was man bei „nationalen Interessen“ bekommt – es geht immer darum, jemanden unfreiwillig in ein Zwangskollektiv einzugemeinden. Dass ich Deutscher bin, habe ich auch mit einer großen Anzahl widerwärtiger Individuen gemeinsam; ich verbitte mir, mit denen zusammen in einen Topf geworfen zu werden, nur weil ein für meinen Charakter minder wichtiges Merkmal – die Nationalität – zufällig mit deren indentisch ist.

„Interessen des Kolonialismus„? Die herrschende Klasse Russlands – oder eine Fraktion derselben – bedient sich also eines Vokabulars, das eher aus der klassischen Linken stammt. Man könnte sich trefflich darüber streiten, ob die junge Sowjetmacht zum Beispiel eine Kolonialmacht war, als sie die reaktionäre Kokander Autonomie durch den „Turkestaner Rat der Volkskommissare“ und die Rote Armee blutig beseitigte oder ob die chinesische Besetzung des Feudalstaats Tibet nicht zu begrüßen sei, weil die das Los der Bevölkerung auf das Vortrefflichste verbesserte.

„Rechte“ können sich also mit „linkem“ Vokabular kostümieren, wie schon die Nazis sich als „Sozialisten“ ausgaben, obwohl sie das nicht waren, sondern einen korporativen Staatskapitalismus ohne jedwede Rechte für die Arbeiterklasse wollten Es ist natürlich interessant, dass die herrschende Klasse Russlands es für nötig befindet, sich so zu legitimieren. Es ist immer ein Zeichen von Schwäche, sich des Vokabulars deren bedienen zu müssen, die man in Wahrheit verachtet und nur beherrschen will. „Gegen Kolonialismus“ zu sein als Lautsprecher des Kapitals – in diesem Falle des russischen – ist so mentally diabled ideologisch verschwurbelt wie die Trumpschen Statements „gegen die Eliten“.

Ein Beispiel haben wir noch. Propaganda ist, die eigene beschränkte und interessegeleitete Weltsicht als selbstverständlich anzusehen und zu verschweigen, dass es auch andere Sichtweisen gibt. Der „Spiegel“ ist hier ein gutes Beispiel: „Nach Einschätzung vieler Beobachter“ heißt nicht mehr und weniger als: „ich habe ein paar Taxifahrer gefragt“ – man suggeriert eine unsichtbare Masse von Unterstützern hinter sich. Man könnte erwidern: Noch mehr „Beobachter“ sagen das Gegenteil. Und ist „Beobachter“ ein Synonym für „Zeitungsleser“ oder zitieren hier Journalisten wieder mal sich selbst?

Infam wird es, wenn die so genannte „Zweistaatenlösung“ den „Konflikt“ zwischen Israelis und den „Palästinensern“ (zu denen auch die Israelis gehören) beenden könnte. Erstens ist das völlig irreal: Ließe man die Araber, die die Juden ins Meer werfen wollen, unter sich sein, käme ein Haufen korrupter Gebilde unter der Führung von Warlords heraus. Oder gibt es ein Beispiel eines demokratischen arabischen Staates? Nein, einen neuen Staat in Palästina kann es nach einem halben Jahrhundert nach dem ersten Versuch nicht geben und wird es auch nicht. Das gäbe nur wieder Krieg – wie bisher. Die Herrschenden aller arabischen und muslimischen Länder (Perser sind keine Araber) brauchen den Hass gegen Israel, um von ihrem eigenem Versagen abzulenken.

Zweitens: Es gibt keinen „Konflikt“ zwischen zwei Parteien: Israel kämpft seit 1948 um seine Existenz, verteidigt sich selbst, manchmal mit falschen Mittel wie die Besetzung des Libanon, aber hinterher ist man immer klüger. Ich sage nur: Jom-Kippur-Krieg. Ich würde als Israeli keinem Araber über den Weg trauen und kann durchaus nachvollziehen, dass die Politik der eisernen Faust auf viele Sympathien stößt – nur nicht bei den Hipstern von Tel Aviv. Ich nenne den „Spiegel“-Text „subtile Propaganda“.

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