Ausharren im Nichtdazugehörenwollen und die Masse der Leiber

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Kein Herdentier (Symbolbild – ich halte das Foto übrigens für unecht, aber kann es leider nicht beweisen.)

Yassin. Ibrahim. Das hat nichts mit dem Islam zu tun. Nein, hat es nicht. Religion ist nur ein Syptom.

„Hier, rief ich entflammt hier: Im übrigens ist es ein großer Unterschied, ob man tut, was man nicht billigt, oder ob man zu billigen vorgibt, was man tut; das erste tut, wer schwach ist, das zweite Benehmen ist das eines Sklaven.“ (Aus Birk Meinhardt: Wie ich meine Zeitung verlor – ein Jahrebuch.)

Das, verehrtes Publikum, ist elegantes Deutsch auf höchstem Niveau. Gemeißelte Sätze, sogar mit schwachen Verben, barsche Logik des geschachtelten Satzes, wie sie nur in Latein und im Deutschen zur vollen Blüte gelangt (jetzt drehen die Metaphern durch!), die Leser erstarren und wollen es noch mal gesungen hören usw..

Ich habe das Büchlein jetzt durch. Meine Lesebefehl bleibt aufrechterhalten (nur für die, die was mit Medien machen). Warum konnten und können nur Ossis in diesen Zeiten gut und elegante und doppelbödige Texte schreiben – wie zum Beispiel Stefan Heym, Alexander Osang und eben Birk Meinhardt? Bei Heym kam dazu, dass er seine Bücher zuerst auf Englisch schrieb; das machte die deutsche Version dann ohnehin leichter lesbar.

Man muss vermutlich dem, was einen umgibt, irgendwie fremd sein, um hinzukriegen, dass die Texte ein eigenes Leben entwickeln und über das bloße Meinen eines Einzelnen hinauswachsen. Ich kenne das von mir: Wer in einer Sekte aufwächst, gehört nie dazu oder hat das Gefühl, alle seien anders als man selbst. Irgendwann zweifelt man dann doch: Kann es sein, dass alle anderen bekloppt sind und gemeinsam vom Felsen springen wie die Lemmini, obwohl das doch ins Verderben führt? Sollte man sich ihnen anschließen um des lieben Friedens willen?

Nimm nichts als gegeben, nie wieder. Reih dich nicht noch einmal bei denen ein, die etwas für gegeben und unumstößlich halten, wärm dich nicht an der Masse ihrer Leiber. Bleibe auf Abstand, nutze den Vorteil der Fremdheit.

Meinhardts Buch kann ich nicht rezensieren, weil das Gefühl überwiegt, man tue dem Autor Unrecht, ließe man etwas aus, also müsse man den Text zur Gänze wiederholen, um ihn gebührend gewürdigt zu haben. Ich erkenne wieder, was ich schon vor Jahren gedacht und nur auf diesem winzigen und gesellschaftlich irrelevanten Blog mich zu formulieren erkühnt habe:

Einschub, alle die gekommen sind, sind in der Zeitung und im Fernsehen und im Radio Flüchtlinge, das ist das Anfangs- und das Endwort. Es suggeriert Verfolgung, Todesangst und Hilfsbedürftigkeit, es appelliert an meine Anteilnahme, dabei ist es, derart pauschal gebraucht, ein irreführendes Wort, denn ein erheblicher Teil der Hergekommenen ist schlicht der Verheißung eines besseren Lebens gefolgt. Wirtschaftsflüchtlinge, heißt es jetzt manchmal, immer noch sind es also Flüchtlinge, Bedürftige; nur wie heißt das Museum oben in Bremerhaven, wo sich unsere Vorfahren auf die Schiffe drängten, um ins gelobte Amerika zu gelangen? Auswandererhaus. Unsere Vorfahren sind Auswanderer gewesen, von Amerika aus gesehen natürlich Einwanderer. Einwanderer.

Nein, das sagt man nicht, das widerspräche dem – wie man in Neudeutsch modisch sagt: Narrativ.

Aber woher kommt das? Dieser unerträgliche Opportunismus der übergroßen journalistischen Mehrheit, ja die Feigheit, oft wider besseres Wissen die Fakten zu verbiegen, also nichts Falsches zu verbreiten, sondern nur die halbe Wahrheit, weil die anderen gar nicht erst gefragt werden, da das Resultat dann auch gelogen ist? Meinhart nennt den „ersten Angriffskrieg eines Landes, dessen Bürger ich bin“, „daß ich heute in einem Staat lebe, der es gewagt hat, einen anderen Staat völkerrechtswidrig zu bombardieren“. Das darf man den Bellizisten von heute nicht öffentlich vorhalten: Man würde eine Shitstorm ernten, dessen gelindester Vorwurf der des Putin-Verstehens wäre.

Aber damals fing es an. Oder: Man merkte es immer öfter. Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Ich ziehe vor zu sagen: Objektivität ist eine Illusion, die von der bürgerlichen Presse verbreitet wird und an die sie selbst glaubt, um zu vertuschen und zu verdrängen, dass sie die Sicht der herrschenden Klassen wiederspiegelt – und nur die.

„Das EU-Parlament fordert Serbien auf, Desinformation zu bekämpfen, einschließlich manipulativer Anti-EU-Narrative.“

…mit ihrem erbärmlichen Eifer, mit dem sie sich auf der Seite versammeln, die ihnen die richtige erscheint, und mit dem sie dort geradezu aufstampfen, es ist die richtige, richtige, richtige Seite, ich kenne aus den Zeiten der endlose Genitivverbindungen die Details des Mechanismus des Demonstrierens des festen eigenen Standpunkts.

Das Ansichten Meinhardts über die deutsche „Presselandschaft“ beruhigt mich ungemein. Es gibt also doch noch Kollegen aus der Zunft, die aus der Reihe tanzen und ihren Kopf gebrauchen – und Konsequenzen ziehen.