Unter abschaumigen Dumpfbacken

randale Neukölln Silvester
Screenshot: Die Gesetzlosen, „Achtung, Reichelt!!

Es dünkt mich, das Publikum verlangte, die Qualität des Blogs deutlich zu steigern , also die Zahl spärlich bekleideter Damen auf das Notwendigste zu reduzieren. Natürlich kann man randalierende junge Männer in Großstädten divers verschieden diskutieren. Unter uns Marx-Kennern: Ja, auch das könnte in die Rubrik „Klassenkampf“ eingetütet werden, aber nur „könnte“.

Wir hatten das vor uralten Zeiten in Kreuzberg: Schon 1997 hatte „die Eskalation der Gewalt eine völlig neue Qualität erreicht“. (Der Textbaustein ist wiederverwendbar.)

Zu meiner Überraschung sagte Güner Balci, die „Integrationsbeauftragte“ von Berlin-Neukölln, genau das, was ich gestern hätte schreiben sollen: „Das sind totale Dumpfbacken“. Aber solche reihten sich schon vor einem Vierteljahrhundert in die ursprünglich politisierte Randale am 1. Mai ein, bis jeder nur noch von „Randale-Touristen“ sprach und die Kreuzberger die Schnauze voll hatten.

Einige der Personen kenne sie persönlich. Es handle sich dabei um „hoffnungslos Abgehängte“. Diese hätten, auch wegen sozialer Medien, anders als vor 20 Jahren aber eine hohe Deutungsmacht. Dennoch seien sie „platt gesagt: absolute Loser“, bei denen auch Drogen eine Rolle gespielt hätten.

Der Grund für die rohe Gewalt gegen die Helfer sei allerdings kein durchdachtes Agieren, sondern vielmehr ein Reflex, erläuterte Balci: „Die sind vom Staat und wir sind gegen die.“

Inszenierten sich die Jugendlichen als „harte Möchtegern-Gangster gegen die Polizei“, erhöhe das ihre Glaubwürdigkeit auf der Straße. „Es ist ihr Geschäftsmodell, auffällig zu sein und Ärger zu machen.“

Diese Klientel kenne ich zu Genüge aus der Notaufnahme in Kreuzberg als „Störer“, wie wir von der Security sie nannten. Ahmad Mansur wird in demselben Artikel zitiert: „In Berlin gibt es Gruppen von Jugendlichen, die den Staat als sehr schwach wahrnehmen, weil sie selbst aus sehr patriarchalen Strukturen kommen. Einige haben in ihren Heimatländern einen Polizeistaat erlebt und nehmen die demokratische Polizei als schwach wahr und suchen Streit und Kontakt mit diesen schwachen Polizisten“, sagte Mansour. Auch andere Einsatzkräfte wie die Feuerwehr würden als Vertreter des Staats wahrgenommen und verachtet.“

Das sind doch klar und wahre Worte. Leider sind sowohl Balci und Mansur mehr oder weniger allein auf weiter Flur, weil insbesondere die „Grünen“ als auch die „Linken“ das anders sehen bzw. am liebsten gar nicht hingucken wollen. Sobald man mit denen anfängt zu diskutieren, wird man mit Whataboutismen bombardiert, die Nazis seien viel schlimmer. Auch die Qualitätsmedien, insbesondere der lokale RBB, hielten sich auffallend zurück. Man gewann den Eindruck, dass sie die üblichen Verdächtigen von der so genannten arabischen Allee Sonnenallee und der Hermannstrasse am liebsten als „Jugendliche“ betitelt hätten. Keinesfalls darf erwähnt werden, dass die auch fast alle Türkisch oder Arabisch sprechen, aber ausnahmslos nie Japanisch oder Hindi oder Urdu oder eine skandinavische Sprache.

Ich darf an das Jahr 2007 erinnern. Damals schrieb ich hier zum Thema „Gewalt ist geil“. Und 1998: „Die Bösen sind die anderen“. Erstaunlich, wie der aktuell der Artikel von damals ist – man müsste nur ein paar Worte ändern, und er könnte heute publiziert werden:

Die Lobbyisten der Berufs-Betroffenen (Helfen und Heilen) reden über Gewalt mittels Jugendlicher. Die können nichts dafür, daß sie so sind. Die Gesellschaft will sie wiederhaben. Die Lobbyisten der harten Hand (Strafen und Einsperren) rufen: die Obrigkeit muss gegen das Böse härter durchgreifen! (…) Mit der ganzen (nicht etwa der halben!) Härte des Gesetzes gegen Chaoten vorgehen usw. Die Bösen, die hier gemeint sind, können etwas dafür, dass sie so sind. Die Gesellschaft will sie nicht mehr. Sie sind Psychopathen – „hirnverbrannte Schläger“. Drogenmissbrauch führt zu Hirnschäden.

Wozu dient der Gewalt-Diskurs? Er verschafft der Gesellschaft Angstlust wie der Horrorfilm: Ohne Gewalt weiß niemand, was das Gute ist. Gut ist: Wollen wir mal darüber reden, mit einer Kerze in der Mitte. Runder Tisch. Reden ist erlaubte Gewalt, die Fortsetzung des Hooliganismus der Randale zu Silvester mit anderen Mittel. (…). Reden heißt: der Sozialarbeiter zwingt dem Schläger sein Spiel und seine Regeln auf. Du musst dich der Gruppe anpassen. Wo kämen wir denn hin. Wenn du es zu etwas bringen willst, musst du das tun und jenes lassen. Der Arbeitsmarkt im Kapitalismus belohnt dich dafür, dass du kein Warlord bist. Geld, Frauen, Liebe und Prestige sollen die kompensatorische Gratifikation für Gewalt sein.

Wer Macht hat, redet nicht über Gewalt. Die Herrschenden können andere beauftragen, Gesetze zu erlassen, die die Beherrschten zwingen, ihren Wünschen nachzukommen (…) Wer über Gewalt kommuniziert, demonstriert, dass er selbst über nur begrenzte Macht verfügt. Man will, dass die, die den eigenen sozialen Status potentiell bedrohen, sich an Regeln halten, die man selbst aufgestellt hat. Nur die Mittelschichten fordern von allen anderen, sich an Regeln zu halten, weil sie „Angst vor dem Absturz“ (Barbara Ehrenreich) haben. Wer aufsteigen will, muss die Werte der Gesellschaft verinnerlichen und sich selbst kontrollieren. Beherrsche dich, und nicht etwa andere! Der soziale Aufsteiger ist gegen Gewalt, weil Gewalt archaisch ist und die Regeln, die ihm ein gesichertes Leben ermöglichen, ad absurdum führt. Der klassische Radfahrer tritt nach unten, aber fordert gleichzeitig, dass die da oben das nicht tun. Sie sollen ihn dafür belohnen, dass er sich an die Regeln hält.

Gewalt ist eine Ikone, ein sinnliches, also medial vermitteltes Bild eines Phänomens, das unterschiedliche Gruppen jeweils verschieden wahrnehmen und interpretieren. Hooligans Dumpfbacken finden Gewalt geil. Sie verschafft ihnen alles, was das Leben versprechen kann: Körpergefühl, Überschreiten der Grenzen, Macht, Gruppendynamik, Thrill. Ein Trip ohne psychotrope Hilfsmittel.

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Screenshot: Die Gesetzlosen, „Achtung, Reichelt!!