Kreuzberger Schnellfraß [Update]

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Heute vergaß ich, zur Arbeit etwas zum Essen mitzunehmen. Eine Banane und ein Avocado für 12 Stunden ist, obzwar gut für den schlanken Körper, ein bisschen wenig für den ganzen Tag. Und wenn ich nach 22 Uhr nach Hause komme, will ich nicht den Kühlschrank ausräumen, sondern nur noch ein paar Schlückchen des frisch erworbenen Highland Park-Whiskys zu mir nehmen (nicht nur die Herkunft des edlen Getränks ist exotisch, sondern auch der Geschmack: Bestnote!).

Ich musste also sündigen in der Not einen dieser Lieferdienste ausprobieren. Man sollte bekanntlich auf dem Laufenden bleiben, was Neues im Kapitalismus betreffend, da man nie weiß, ob der Kommunismus schon um die Ecke gebogen ist und man es gar nicht mitgekriegt hat.

Für die Kleinbourgeoisie ist so etwas praktisch, weil sie eben diese Kundschaft erreicht, die keine Lust hat, vor die Tür zu gehen, aber gleichzeitig zu doof ist, um zu kochen – und hungrig. Oder solche wie mich. Die Lieferdienste – ich musste mir das erst neugierig ansehen, derweilen es eine Premiere für mich war – bieten online die Speisekarten aller Lokale an, die mit ihnen eine Vertrag geschlossen haben. (Sorry, ich bestelle nicht online Pizza, weil einer meiner Ex-Frauen in einer Pizzafabrik im Norden Berlins gearbeitet hat, um unsere gemeinsame Südamerika-Reise mitzufinanzieren. Ich weiß, wie Fertigpizzen gemacht werden und wie es dort zugeht. Nur unter Folter würde ich Fertigpizza essen.)

texmex

Man bestellt online, gibt an, wie man zahlen will, bekommt eine E-Mail, die die Transaktion bestätigt, und kann, falls man das datenschutzmäßig erlaubt, im Browser verfolgen, wie lange es noch dauert. Es kommt dann fast immer ein Ausländer der südamerikanischen oder asiatischen, seltener der nordamerikanischen Art, weil nur die sich so ausbeuten lassen, und weil Araber offenbar nicht so gut Fahrradfahren können oder keine Zeit haben, weil sie unbedingt Shisha mit ihren Cousins rauchen oder die Sonnenallee in der zweiten Reihe mit Leihwagen zuparken müssen und zudem oft andere Einkünfte haben.

Ich nahm also Tex-Mex, wohl wissend, dass das gelieferte Essen mit mexikanischer Küche so viel zu tun haben würde wie ein Hamburger mit Fleisch, dessen Lieferant persönlich auf vier Beinen gelaufen ist. Das Ergebnis war, aus soziologischer und anthropologischer Sicht betrachtet, rätselhaft: Wer tut sich so etwas an? Ich weiß jetzt schon nicht mehr, was es war. Es hatte keinen Eigengeschmack, den ich hätte definieren können. Muss man dafür einen veganischen Hipster-Magen haben oder von Geburt an keine Geschmacksnerven besitzen? Lauwarm war es auch, aber der arme Fahrer, der Hindi und Pidgin sprach, sah immerhin abgehetzt aus, hatte also nicht getrödelt.

Mir fielen nach dem Verzehr allerlei kulturpessimistischen Floskeln ein. Die Leute werden immer anspruchsloser, was Mahlzeiten im Spätkapitalismus angeht. Dann kann ich auch gleich Nahrungspillen für Kosmonauten fressen. O tempora, o mores!

[Update] Ich habe das Essen ins Büro bestellt – während der Arbeitszeit. Aufmerksame Leser hätten das merken müssen. Ich arbeite in einem meiner Berufe in Kreuzberg und wohne in Neukölln. Ist das schwierig zu verstehen?

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