Jeder Tag ist Aschura oder: Falsche Propheten und kostümierte Revolutionen

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…Mit kaum hundert Getreuen langte er vor Kufa an, fand aber die Stadt bereits von seinen Feinden besetzt. Er verlegte sich auf erfolgloses Unterhandeln. Die Lebensmittel gingen ihm aus; das Wasser vertrocknete in dem Sonnenbrande; seine Tiere stürzten, und seinen Begleitern schaute der blasse Tod aus den eingesunkenen fieberfunkelnden Augen. Er rief vergebens Allah und den Propheten um Hilfe und Rettung an; sein Untergang stand „im Buch verzeichnet“. Obeïd ‚Allah, ein Heerführer Dschezids, drang bei Kerbela auf ihn ein, massakrierte seine ganze Begleitung und ließ auch ihn selbst umbringen. Man fand ihn aus Mangel an Wasser bereits dem Tode nahe; aber man hatte kein Mitleid mit ihm, und er wehrte sich vergebens mit der letzten Kraft seines schwindenden Lebens – man schnitt ihm den Kopf ab, der auf eine Lanze gesteckt und im Triumphe herumgetragen wurde.

Dies geschah am 10 Muharrem, und bis auf heute ist dieser Tag bei den Schiiten ein Tag der Trauer. In Hindostan trägt man ein Bild von Hosseïns Kopf auf einer Lanze herum, wie es nach seinem Tode geschah, und ahmt mit einem aus edlen Metallen gefertigten Hufeisen den Lauf seines Renners nach. Am 10. Muharrem ertönt ein Wehegeschrei von Borneo und Celebes über Indien und Persien bis zum Mogreb Asiens, wo die Schia nur noch zerstreute Anhänger hat, und dann gibt es in Kerbela eine dramatische Vorstellung, welche an Szenen der wildesten Verzweiflung ihresgleichen sucht. Wehe dem Sunniten, wehe dem Giaur, welcher an diesem Tage sich in Kerbela unter der bis zur Tobsucht aufgeregten Rotte der Schiiten sehen lassen wollte! Er würde in Stück
zerrissen! (Karl May: Von Bagdad nach Stambul)

Beim Frühstück fragte ich mich, ob Peter Scholl-Latour noch lebt, was wohl Peter Scholl-Latour zum Revolutiönchen im Irak nuscheln sagen würde. Revolution? Wir wissen alle, dass die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, dass diese sich aber meistens als etwa anderes kostümieren. Das gilt für den 30-jährigen Krieg genauso wie für den „Konflikt“ zwischen Schiiten und Sunniten. Ich sah mir ein Video, das das nett und verständlich erklärt (für die, die Karl May nie gelesen haben, hilfreich).

Die Schiiten und deren Chefideologen scheinen jetzt wieder mal den Irak übernehmen zu wollen – die große Mehrheit haben sie ohnehin. Die politisch aktiven schiitischen Pfaffen haben meistens schwer einen an der Waffel, aber das merken Gläubige natürlich nicht: „Coronavirus: Iraqis criticise Muqtada al-Sadr for same-sex marriage claims„. Schon klar. Ich hatte vor fast zwei Jahrzehnten ausführlicher darüber geschrieben.

Ein Bürgerkrieg ist wahrscheinlicher. Wieso kostümierter Klassenkampf? Die Demonstranten „fordern eine Regierung frei von ausländischem Einfluss und Korruption“. Die da unten kegeln die da oben ein wenig durcheinander, und am Ende siegen wie immer die da oben, aber vielleicht andere.

Es ist Blut, sehr viel Blut geflossen; es sind Grausamkeiten verübt worden, welche niederzuschreiben sich die Feder sträubt, und noch heut ist dieser Haß nicht verlöscht. Er glimmt fort und fort und bricht bei jeder Veranlassung in helle, vernichtende Flammen aus. Es versteht sich ganz von selbst, daß diese Erbitterung ihre meisten Opfer in den Gegenden sucht und findet, wo Sunniten und Schiiten vermischt wohnen oder aber öfters aufeinander stoßen, und das findet ganz besonders statt in der Grenzprovinz Irak Arabi mit den beiden nicht weit von Bagdad liegenden heiligen schiitischen Städten Nedschef Ali und Kerbela.

Kerbela

Was sonst noch geschah: Russland wird Serbien unterstützen, falls die Kosovaren zündeln, weil „der Westen“ sie vielleicht aufgestachelt haben könnte. In den Schluchten des Balkan bleibt es dennoch unruhig. Die Volksrepublikchinesen kitzeln die auf Formosa. Und wie ist die Lage in Mali? Spricht man dort schon Russisch? Was sagt der Göttinger Mescalero zu dem jetzt fehlenden ukrainischen Oligarchen?