Atlas der Nationen

atlas major
Der Atlas Maior, vom Amsterdamer Verleger Joan Blaeu 1662 bis 1665 zusammengestellt, blieb über 100 Jahre der verbindliche Weltatlas. Er kostete damals umgerechnet 20.000 Euro und war das teuerste Buch des 17. Jahrhunderts.

Ich lese gerade ein Buch zwischendurch, das mich angenehm überrascht -von Helmut Walser Smith Deutschland – Geschichte einer Nation. Wenn man das nationalistische Gefasel der Bandera-Fans anhört oder ähnliches aus Russland, dann möchte man mit einem großen Knüppel klarstellen, dass eine „Nation“ immer ein politisches Projekt und nie etwas Reales ist. Walser Smith zeigt sehr schön, dass bis zur Napoleonischen Zeit niemand auf die Idee kam, von einer „deutschen Nation“ zu reden, die etwa anderes war als eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

Immerhin waren einige Teile des ursprünglichen Raumes des deutschsprachigen Europas bereits schweizerisch und niederländisch geworden, und große Teile wurden von zusammengewürfelten Staaten wie Preußen und Österreich beansprucht. Niemand verachtete diese Staaten, weil sie multiethnisch waren. Am Ende des Jahrhunderts bildeten die deutschsprachigen Untertanen in Österreich eine zahlenmäßige Minderheit, in Preußen machten sie rund die Hälfte der Bevölkerung aus. Preußische Patrioten hielten nicht weniger von Preußen, weil es fast zur Hälfte polnischsprachig war, und niemand, mit Ausnahme einiger weniger polnischer Nationalisten, hielt es für bedauerlich, dass die zweitgrößte Stadt in Preußen Warschau war. Noch 1800 gab es keinen Grund, den politischen Raum in den deutschen Gebieten mit dem sogenannten Nationalraum in Einklang zu bringen.

Schweizer verstehen das sofort. Aber wenn man darauf bestünde, was korrekt ist, dass die Ukraine keine Nation ist, sondern ein Staat, in dem mehrere Nationen leben – wie auch in Deutschland -, dass merkt man, dass an eine rationale Diskussion kaum zu denken ist. Schweizer, Kaschuben und Tscherkessen würden mich sofort verstehen.

Als Ernst Moritz Arndt das Vaterland beschwor, «so weit die deutsche Zunge klingt», dachte er an einen Zusammenschluss von Individuen zu einer Gruppe und nicht bloß an einen geographischen Raum. Umgekehrt wurde die andere, die Außenseite, nicht mehr additiv gedacht, als ein Nebeneinander von Nationen, wie es den Humanisten des 16. Jahrhunderts zufolge auf Karten und laut Gottes Plan sein sollte. Vielmehr projizierte der Nationalismus Gefühle der Liebe und des Hasses auf die eigene und andere Nationen und machte aus dem «Innen» eine begrenzte «imaginäre, erfundene Gemeinschaft», die Leidenschaft, Hingabe und Opfer hervorbrachte, während das «Außen» oder das «Andere» Neugier oder Bewunderung, ebenso oft aber auch Abneigung und sogar Hass weckte

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