Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II)

Inka Roca
Inca Roca, erster Herrscher der 2. Dynastie von Hanan Qusqu (Ober-Cusco), Gründer der Inka-Schulen Yachaywasi (Häuser des Wissens). Gemälde von Amilcar Salomón Zorilla (Postkarte 1984).

Fortsetzung von Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) von Herrmann Parzinger

Wir müssen uns kurz mit negativer Dialektik der Subjunktion befassen, also eine Art Kontrollversuch starten, der uns erläutert, warum der kürzeste Weg zum Kapitalismus zu einer Hochkultur, also einer Zivilisation, die nicht mehr tribalistisch organisiert ist oder aus bloßer Subsistenzwirtschaft besteht, der des fruchtbaren Halbmonds und Ägypten war. Wir argumentieren also negativ: Warum blieben ganz Amerika und Afrika und Ozeanien noch im Stadium der Bronzezeit, während in Europa schon das Zeitalter der ursprünglichen Akkumulation anbrach, also des frühen Kapitalismus, mit dementsprechender ökonomischer und waffentechnischer Überlegenheit? (Asien kriegen wir im dritten Teil.) Was sind also die Variablen und die Konstanten?

Dumme Frage: Hätte eine römische Legion die Inka-Armee plattgemacht? Oder hätten die Spartaner gegen die Muisca gewonnen? Ja, weil die Hochkulturen Süd- und Mittelamerikas zwar Gold und Silber in Hülle und Fülle besaßen, aber keine Eisenverhüttung kannten, keine Pferde und das Rad nicht zum Transport genutzt wurde. Auch Afrika – etwa die Nok-Kultur – war hier viel „langsamer“.

Laut Parzinger fand man erste Spuren menschlicher Siedlungen in Südamerika schon 12.000 Jahre v. Chr., also im Pleistozän. Sechs Jahrtausende später bauten die Menschen der Las-Vegas-Kultur“ schon Mais und Kürbisse an. (Leider kannte ich damals die Liebenden von Sumpa nicht, sonst hätte ich heute ein Foto von ihnen.)

schädel
Künstlich herbeigeführte Schädeldeformationen aus der Paracas-Kultur (900 bis 200 v. Chr.) bei Ica in Peru (Marcin Tlustochowicz/Wikipedia)

Die Valdivia-Kultur in Ecuador existierte zeitgleich mit dem alten Ägypten; man hat laut Parzinger auch Monumentalbauten errichtet (die ich aber im Internet nicht finden konnte). Spannend ist, dass heute sogar ein Kontakt der Ur-Ecuadorianer mit Japan nicht mehr unwahrscheinlich ist.

Als sich in Südamerika die ersten Chiefdoms bildeten, etwa im kolumbianischen San Augustin mit seinen kolossalen Steinfiguren, sind wir in Zentraleuropa schon bei den Domschätzen angelangt, die ich der Leserschaft zum Erbrechen vorgeführt habe, Kaifeng in China hatte schon eine halbe Million Einwohner, Cordoba, Kairo und Bagdad waren Weltstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Die „Großstadt“ Chavín de Huántar in Peru hatte ihre Blütezeit, als die Römer schon halb Europa eroberten.

Parzinger spricht in Südamerika von vielen „retardierenden Bedingungen“, vor allem ökologischer Natur, zum Beispiel bei der Chinchorro-Kultur, deren Mumien 2000 Jahre älter sind als die der Ägypter:
Der trotz allem unwirtliche Lebensraum beeinträchtigte auch ihren allgemeinen Gesundheitszustand, wie paläopathologische Untersuchen an den Skeletten erbracht haben. Der permanente kalte Wind führte allenthalben zu Entzündungen des Ohrkanals. Hinzu kam die hochinfektiöse sogenannten Chagas-Krankheit – eine ebenso heimtückische wie unheilbar-chronisch verlaufende Infektionskrankheit, die den Betroffenen oft ein jahrzehntelanges Leiden beschert-, während der Verzehr von rohem Fisch vielfach zur Infektion mit Bandwürmern führte. Osteoporose war weitverbreitet, und die meisten Männer wie Frauen litten aus unterschiedlichen Gründen an manifesten Rückenproblemen. Viele Infektionen zogen sich die Träger der Chinchorro-Kultur aber ganz offensichtlich auch bei der Mumifizierung ihrer Verstorbenen zu, wenn sie mit infizierten Körpern hantierten und dabei keine entsprechende Vorsicht walten ließen.

Das allein beantwortet aber nicht die Frage nach den Variablen und Konstanten. Zum Beispiel gab es – im Unterschied zu Vorderasien, Afrika und Europa – in Amerika keine Reittiere und auch keine, die schwere Lasten ziehen können. Lamas finden Menschen auf ihrem Rücken unsympathisch und wollen auch partout nichts ziehen; Kamel und Dromedare lassen es hingegen mit sich machen. Das Pferd als Ackergaul ist eine „Erfindung“ des frühen Feudalismus in Nordwesteuropa. Rinder gab es in China schon vor zehn Jahrtausenden, und Pferde mindestens so lange wie im Vorderen Orient. Aber für den Reis- und Hirseanbau, die zentralen Pfeiler der chinesischen Landwirtschaft, braucht man Rinder und Pferde kaum als Nutztiere.

Parzinger schreibt, dass vor allem die ökologische Kontinuität im Fruchtbaren Halbmond ein Vorteil für Ackerbauern war; in Afrika hingegen wechselten die klimatischen Bedingungen oft (wenn man in Jahrtausenden denkt). Indien, China und auch das alte Mesopotamien und Ägypten haben mit den Hochkulturen Mittel- und Südamerikas gemein, dass die herrschende Klasse Teile der Arbeit kollektiv organisieren musste, vor allem die Regulierung des Wassers für die Landwirtschaft. Die Inka kannten überhaupt keinen Privatbesitz an Grund und Boden. Deren Klassenherrschaft war immerhin so effektiv, dass die Konquistadoren sie fast bruchlos übernehmen konnten und nur das Personal austauschten. Allerdings wurden alle „alten“ kollektiven Formen wie etwa des eher „genossenschaftlichen“ Ayllu, marginalisiert.

Man könnte herumspekulieren, dass die kollektive Organisation der Arbeit – auch die so genannte „Asiatische Produktionsweise“ (hier auch „alt-amerikanische“) – für die Entwicklung zum Feudalismus eher hinderlich ist, was die „Geschwindigkeit“ angeht. Der Kapitalismus setzt voraus, dass es Massen von Menschen gibt, die nichts mehr zu verkaufen haben als die Arbeitskraft, also den „freien Warenproduzenten“. Das setzt aber den an die Scholle und an den Feudalherrn gebundenen Bauern voraus: Wenn der von beiden „erlöst“ wird, ist er Proletarier oder Landstreicher oder tot. Der Feudalismus setzt mitnichten eine Sklavenhaltergesellschaft voraus. Die – die mitteleuropäische Antike – ist eher ein historischer Sonderfall, begünstigt aber den Ruin der kleinen Bauern, der letztlich im Kolonat endet. Von dort ist es nicht mehr weit – sogar ein fließender Übergang – zur Villikation und zum Feudalismus.

Post Scriptum: Ich werde den Parzinger in die allgemeine Reihe über den Feudalismus aufnehmen. Der dritte Teil über Asien folgt alsbald.

unku
„Unku“ (Tunika oder Poncho) aus gewebter Baumwolle, ca. 1400-1600 (Postkarte 1984)
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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

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Kommentare

9 Kommentare zu “Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II)”

  1. Woogie am Juli 25th, 2022 7:22 pm

    Du schreibst „ gab es – im Unterschied zu Vorderasien, Afrika und Europa – in Amerika keine Reittiere“

    Pferde hat es doch in Nordamerika schon seit Jahrtausenden gegeben. Sind die offensichtlich nie bis in den Süden gekommen?

  2. admin am Juli 25th, 2022 8:12 pm

    Erst Kolumbus hat Pferde nach Amerika gebracht.

  3. ... der Trittbrettschreiber am Juli 26th, 2022 6:26 am

    „Erst Kolumbus hat Pferde nach Amerika gebracht.“

    Huch? Da ist es wieder, dieses Gefühl, nüchtern oder voll guten Hopfens, den Ghostwritern m/w/d/x seines inneren Geschichtsbuch nicht mehr trauen zu können.
    Sollten all die Western mit den Lassos und den riesigen Herden von Wildpferden uns an der Flasche herumgeführt haben?

    https://www.youtube.com/watch?v=wwHakL55YjE

  4. Godwin am Juli 26th, 2022 9:54 am
  5. Brrr am Juli 26th, 2022 12:17 pm

    Dass es Pferde schon immer in Amerika gegeben habe, erzählte auch eine Dame im Brustton unerschütterlicher Überzeugung, die die Ansicht vertrat, Indianer müssen auch Steigbügel gehabt haben, weil sie sonst nicht gut hätten reiten können. Beides sind wohl eher Faktoide aus Internetzeiten.

    Ein „Urpferdchen“ gab es zwar wohl gemäß Fundlage, aber das machte sich lange vom Acker, bevor (Proto-)Europäer an das Schippern in Richtung Westen dachten. Und auf dem ließ es sich bei seiner geringen Größe auch kaum reiten, das wäre so etwas wie ein Laufrad für den Häuptling gewesen …

    Was natürlich nicht unbedingt gegen eine gewisse indigene Population an moderneren Pferden zur Zeit der Migration sprechen würde, nur wurde die dann, wie in dem obigen Artikel beschrieben, wohl von den biologisch inhärenten Naturschützern eher ausgerottet oder ging aus anderen Gründen ein.

    Es wird gemunkelt: Schuld war die Mode des „Pferdebulettenessens“ vor 10.000 Jahren, die es aus der Neuen Welt nach Berlin-Neukölln geschafft hat.
    Oder hatte, falls die Pferdebulettenbude beim Kino auch inzwischen ausgerottet worden ist.

  6. ... der Trittbrettschreiber am Juli 26th, 2022 1:24 pm

    HHHHiiiiiiiiaaaaaahhhhHHHH….FFFRRrrrr…Kopfhoch…..runterhoch…runterhoch…wilder Blick und Hufstampf.

    Wenn die Erstbewohner m/w/d/x der Prärie mit ihren großen Hunden schon JEVER-Kästen transportiert hätten, wäre die Geschichte der Unterdrückung, Ausrottung bis hin zum Gendern ganz anders verlaufen. Statt Rauchzeichen zu entschlüsseln hätte man nur dem Zischen von Hügel zu Hügel lauschen müssen, um zu wissen, dass alle Stämme friedlich um eine Vielzahl an Tomahawks tanzten, obwohl sie nur eins hatten.
    Geronimo, währe nicht „der Gähnende“ genannt worden sondern „der Lächelnde“ und das Feuerwasser hätte niemals den Wounded Knee erreicht.

    … bin im Stall.

  7. nh am Juli 26th, 2022 5:42 pm

    Die künstlich herbeigeführten Schädeldeformationen wage ich mit Respekt anzuzweifeln.
    Waren es doch die neolithischen Vorläufer der Grünen, denen die heisse Luft zu Kopfe stieg (sog.
    Heissluftballons). Zu besichtigen im aktuellen Parlament. Nur dass dort die heisse Luft zur Tarnung der Herkunft oral abgelassen wird.
    Das schrumpft etwas das Volumen des Hirnes, was sich aber trefflichst mit Hummer und Kaviar ausgleichen lässt, so verlagert sich das Übervolumen von oben bauchwärts. Schampus und Rüüüüüllllpppsss.

  8. Die Anmerkung am Juli 26th, 2022 6:01 pm

    Etwas abschweifend und doch zum Thema gehörend, da es den derzeitigen Endpunkt der Entwicklung markiert.

    Der Kapitalismus macht auf seinem Weg zur Vollendung bis zum Untergang erst mal in Rußland halt.

    Thesen zu der Gesellschaftsordnung Rußlands, die hier im Blog auch schon zur Diskussion gestellt wurden.

    https://rtde.site/meinung/142724-wolke-tragt-regen-kapitalismus-wird/

    Wer im Rausch der Russischen Oktoberrevolution meinte, die natürlichen Grenzen der kapitalistischen Expansion seien bereits erreicht und das kapitalistische System in seiner Endkrise, erlag einer Illusion.

    Russland lag bereits auf dem Präsentierteller und die Messer für seine Zerteilung waren gewetzt.

    Exakt in diesem Moment kam Putin. Er war und ist der Ausdruck des Überlebenswillens der russischen Bourgeoisie, die sich und das, was sie selbst auszubeuten gedenkt, nicht verspeisen lassen will. Diese Fraktion des russischen Kapitals – nennen wir sie die nationale – gewann in den internen Kämpfen und Russland rettete sich praktisch in letzter Minute.

  9. Godwin am Juli 26th, 2022 7:54 pm

    wer – ich ich gelegentlich – zu faul zum Lesen ist, es gibt Videos

    jetzt weiß ich auch, was Burks so daran gefällt:
    Raub und Enteignungen erweisen sich bei näherem Hinsehen geradezu als systematische Vermögensumverteilung.

    Die Forschungsthese missfällt mir dennoch ein wenig. Zwangsläufige Entwicklung zum Kapitalismus – wieso wird die Idee, es war nur ein Zufall oder gar Unfall ausgeschlossen?

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