Imperiale Weltordnung oder unter маски персонажей

soviet propaganda

Trotzdem zogen jene den Krieg dem Frieden vor, weil sie die teure Freiheit über alle Not stellten. Dieser Menschenschlag ist nämlich hart und scheut keine Anstrengung; gewöhnt an die dürftigste Nahrung, halten die Slawen für ein Vergnügen, was unseren Leuten als arge Schinderei erscheint. (Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae, verfasst vor 965 n. Chr.)

Bisher hatte ich noch keine Analyse gefunden, die die Interessen der herrschenden Klasse in Russland erläutert. (Hat jemand „Lenin!“ gerufen?) Jetzt las ich von Erhard Crome den Artikel: „Krieg um die neue Weltordnung„.* Und von Felix Jaitner: „Russland: Von autoritären Umbrüchen bis zum Krieg [online!].“ Dort gibt es erste und interessante Antworten.

Denkt man über die Ziele des herrschenden Klasse Russlands nach, muss man unweigerlich die Frage beantworten, wie es dazu kam, dass der „Staatssozialismus“ der Sowjetunion sich „zurückentwickelte“ zu einem ganz normalen Kapitalismus. So etwas war im parteioffiziösem „Marxismus“ gar nicht vorgesehen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer usw.. Lenin hatte mit religiöser Inbrunst verkündet: „Die Ungleichmässigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, dass der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist. Das siegreiche Proletariat dieses Landes würde sich nach Enteignung der Kapitalisten und nach Organisierung der sozialistischen Produktion im eigenen Lande der übrigen, der kapitalistischen Welt entgegenstellen, würde die unterdrückten Klassen der anderen Länder auf seine Seite ziehen, in diesen Ländern den Aufstand gegen die Kapitalisten entfachen und notfalls sogar mit Waffengewalt gegen die Ausbeuterklassen und ihre Staaten vorgehen.“

Das ist bekanntlich nicht so geschehen. Crone weist darauf hin, dass die Frage, ob der Sieg des Sozialismus in nur einem oder wenigen Ländern möglich sei, immer ausgeklammert wurde. Trotzki hatte das ganz anders gesehen. Crone schreibt: „Die Rücknahem der Revolution in eine kapitalistisches Russland nach dem Ende der Sowjetunion, das einige Attribute des westlichen Parlamentarismus und die Wahl des Präsidenten – statt eines Zaren, der sein Amt qua Geburt ausübt – übernommen hat, machen deutlich, das Russland von 1917 bis 1991 am Ende den längstmöglichen Umweg des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus zurückgelegt hat. (…) Nach dem Ende der Sowjetunion und des Realsozialismus im Osten Europas befinden wir uns wieder in einer Epoche des Imperialismus… (…) russland ist ein „normales“ kapitalistisches Land in der nun wieder „normalen“ imperialistischen Welt.“

Das ist eine originelle Theorie – der Staatssozialismus als „Umweg“ auf dem Weg vom Feudalismus zum Kapitalismus! Ich weiß noch gar nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht sollte man die Chinesen fragen.

Jaitner (Vorsicht! Genderdoppelpunkte!) unterteil die Geschichte Russlands nach Jelzin in mehrere Phasen:
1. Die Politik der ersten Putin-Administrationen (2000-2008) war eine Reaktion des Machtblocks auf die spezifischen Dysfunktionalitäten des unregulierten neoliberalen Kapitalismus der 1990er-Jahre in Russland und verfolgte das Ziel, die Reproduktionsbedingungen der kapitalistischen Produktionsweise zu verbessern.

2. Die ersten beiden Amtszeiten Wladimir Putins fielen mit einer wirtschaftlichen Aufschwungsphase zusammen, die in erster Linie auf einer intensivierten Rohstoffausbeutung (vor allem Öl und Gas) beruhte. In diesem Zeitraum ging der Bevölkerungsanteil mit einem Einkommen unter dem Existenzminimum von 43,8 Millionen (30 Prozent der Gesamtbevölkerung) auf 19 Millionen (13,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) zurück. Dadurch entstand eine städtische Mittelschicht, die sich als wichtige Stütze der oligarchisch-etatistischen Ordnung erweist. (…) Die kurzfristige Profitorientierung der privatisierten Öl- und Gasunternehmen sowie die intransparenten institutionellen Rahmenbedingungen verhinderten umfassende Investitionen und damit eine Steigerung der Öl- bzw. Gasproduktion. Diese sank dementsprechend in den 1990er Jahren kontinuierlich und erreichte im Jahr 1996 ihren historischen Tiefpunkt.

3. Gestützt auf das Öl-getriebene Wachstum konnte die Putin-Administration die aus den 1990er-Jahren herrührenden Widersprüche des extraktiven Entwicklungsmodells (soziale Polarisierung, regionale Entwicklungsunterschiede) eindämmen. Darüber hinaus stabilisierten Maßnahmen zur Konsolidierung des produktiven Sektors (Konzentration von Hochtechnologiefirmen in der Atom-, Flugzeug- und Rüstungsindustrie sowie im Agro-industriellen Komplex unter staatlicher Führung) die Wirtschaft, änderten jedoch wenig an der bestehenden Abhängigkeit vom Rohstoffexport. Die 2008 einsetzende Wirtschafts- und Finanzkrise verschärfte vielmehr die multiplen Widersprüche des extraktiven Entwicklungsmodells. Die russische Regierung setzte zur Bekämpfung der Krise auf eine angebotsorientierte Politik, nur 10 % der bereitgestellten Mittel wurden zur Stimulierung der Binnennachfrage eingesetzt.

[Conclusio] Zur Stärkung der produktiven Sektoren fordern national-konservative Kräfte in Staat und Regierung sowie mit ihnen verbundene binnenorientierte Kapitalfraktionen eine Re-Industrialisierung des Landes im Rahmen einer staatlich koordinierten Importsubstitutionspolitik. Damit einher gehen Forderungen nach neuen außenpolitischen Bündnissen. Die Westorientierung, so die Kritik, zementiere den semiperipheren Status Russlands als Rohstofflieferant für die kapitalistischen Zentrumsstaaten, während eine Ausrichtung auf den postsowjetischen und asiatischen Raum neue Expansionsmöglichkeiten biete und ein politisches Gegengewicht zur US-Hegemonie bilde. Und:

Die Schwäche der jungen russischen Bourgeoisie, die gesellschaftlichen Umbrüche durch ein hegemoniales Projekt abzusichern und damit ihre Klassenherrschaft zu festigen, setzt sich daher bis heute fort und ist ein wichtiger Grund für die zunehmend aggressive Außenpolitik.

Realistisch wäre also, die Abhängigkeit von Rohstoffexport zu verringern. Vermutlich hat Russland aber ein ähnliches Problem wie das Dritte-Welt-Land Venezuela: Die herrschende Klasse ist zu sehr in die Profite involviert, als dass sie mal einfach eine neue „Industrialisierung“ aus dem Boden stampfen könnte – und wollte. Die Chinesen sind da auf Nimmerwiedersehen enteilt und lachen sich vermutlich ins Fäustchen.

soviet propaganda

* Vgl. seinen Aufsatz 2003: „Imperiale Weltordnung?“ Darin bestätigt er, was „Maoisten“ schon immer über die Sowjetunion und ihre Vasallenstaaten gesagt hatten: „Statt dass eine ausbeutungsfreie Gesellschaft entstand, hatte sich mit der Partei-Nomenklatura eine neue herrschende Klasse ausgebildet“. Wenn das stimmte, beantwortete diese These die Frage, ob es im – wie auch immer gearteten – Sozialismus Klassenkampf gebe. Das war auch die zentrale Ausgangsfrage der chinesischen Kulturrevolution und ist der zentrale Streitpunkt zwischen der heutigen offiziellen Lehrmeinung der KP Chinas und ihrer Kritiker von „links“.

Definitiv falsch ist Cromes damaliges Fazit: „Die territoriale Aufteilung der Welt unter die imperialistischen Großmächte ist abgeschlossen; der Kampf um die Neuaufteilung führt zu imperialistischen Kriegen“ (aus Lenins Imperialismus-Theorie). Das war gestern. Das kapitalistische Weltsystem hat die Entkolonialisierung überstanden, und mit neuerlichen Kriegen zwischen den Zentren des internationalen Kapitalismus ist weder aus militärischen (siehe die militärische Potenz der USA) noch aus Profitgründen zu rechnen.“ Offenbar doch! Warum das nicht so sein sollte, erklärte Chrome damals nicht – und China hatte er auch nicht auf dem Plan, was der typischen Blindheit derjenigen geschuldet ist, die in der DDR als Wissenschaftler ausgebildet wurden. Gleichzeitig widerlegt der russische Krieg gehen die Ukraine auch Kautskys „Ultraimperialismus“-Theorie.