Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV)

Warnhinweis: Mitgliedern arabisch-kurdischer Clans ist es nicht erlaubt, diesen Beitrag zu lesen. Bei Zuwiderhandlung wird der Täter von vielen alten, kleinäugigen und männlichen Jungfrauen im Paradies erwartet werden.

theophanukreuztheophanukreuz

Theophanu-Kreuz, um 1040/1045, und Rückseite. Die Senkschmelze an den Kreuzenden stammen von einem unbekannten Objekt vermutlich byzantinischer Herkunft. Durch den großen Kristall in der Mitte kann man die Reliquie betrachten – einen Nagel vom Kreuz Christi (magisches Denken: pars pro toto, vgl. Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II))

Auch wenn das mediävistisch interessierte Publikum jetzt ächzen wird: Wir müssen kurz und zwischendurch die Methode zum Pfad der Erleuchtung analysieren, die hier angesagt ist. Es gibt sehr viele Variablen, als da wären:

– Reliquien setzen magischen Denken voraus. Magie gibt es aber immer und überall; auch Esoterik im Kapitalimus funktioniert nach den hier schon geschilderten Gesetzen der Magie. Gehörte diese Art objektivierter Magie zwingend zum Feudalismus?

Reminder: Objekte sind dingliche bzw. verdinglichte Zeichen der sozialen Hierarchien und der Rituale.

Auch im Shintoismus in Japan werden Reliquien verehrt. Und erfreulicherweise auch im vorkapitalistischen China (wenn das nicht so wäre, stimmte meine These nicht). Das widerspricht auch nicht der Marxschen These, dass der Feudalismus in Japan zum Beispiel noch „typischer“ sei als der in Mitteleuropa, was die Klassenverhältnisse betrifft.

– Arbeitshypothesen: a) Religion ist nur eine Teilmenge magischen Denkens. b) Das Christentum gehört nicht unbedingt zum Feudalismus, wohl aber objektivierte ritualisierte Magie.

– Wie unten beim Corneliuskult gezeigt, unterscheidet sich also der „Überbau“ der herrschenden Klassen mitnichten von der Alltagspraxis der Bauern und der Handwerker. Das magische Denken „überwölbt“ alles. Die kostbaren Reliquien der Domschätze sind also nur die Spitze des weltanschaulichen Eisbergs: Was für eine Äbtissin das Theophanu-Kreuz war, war für das einfache Volk ein einfaches Kästchen oder das Anrufen eines Heiligen bei der Fallsucht (Epilepsie). Deswegen gibt es im Katholizismus mehr als 10.000 Heilige und Märtyrer, also knapp 30 pro Tag – da ist für jeden etwas dabei.

Essener Krone

Essener Krone aus des 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Bis ins 16. Jahrhundert wurde diese Krone jedes Jahr zu Maria Lichtmess (2. Februar) der Goldenen Madonna (entstanden um 980, die ich nicht fotografiert habe*) in der Schatzkammer aufgesetzt. Die wiederum wurde bei Prozessionen mitgeführt. Die Krone ist an mehreren Stellen leicht beschädigt, vielleicht bei sehr frühen Versuchen, etwas zu restaurieren oder zu ändern. Eine der vier goldenen Lilien wurde geringfügig versetzt.

Birgitta Falk schreibt in Gold vor Schwarz: Der Essener Domschatz auf Zollverein über die These, die Krone sei mit Absicht verkleinert worden „Sie sei ursprünglich bei der Krönung des dreijährigen Kindes Otto III. verwendet worden, der 983 in Aachen zum Mitkönig des Römischen Reiches gekrönt wurde. (…) Die stilistische Diskrepanz zwischen dem Filigran auf dem Grund des Kronreifs, den aufwendigen Fassungen sowie den eleganten „Spinnen“ gibt allerdings Rätsel auf.“ Entweder entstand die Krone im 19. Jh. und wurde in ein Jahrhundert später umfassend umgearbeitet oder sie ist erst in der 2. Hälfte des 11. Jh. unter den Äbtissinnen Theophanu und Svanhild entstanden.

OstensoriumOstensorium

Mitte: Ostensorium, Mitte 14. Jahrhunderts, vergoldetes Silber, getrieben, gegossen, graviert, emailliert. „Es handelt sich um das älteste bekannte Beispiel einer Turmmonstranz, bei welcher der Zylinder von zwei seitlich angebrachten Streben begleitet wird. Die Monstranz wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt in ein Reliquienostensorium umgewandelt.“ (Unteres Foto: Detail – in Stoff eingenähte Reliquie der Heiligen Andreas), Paulinus und Severin.

„Die Darstellung des Pelikans auf der Turmspitze belegt, dass es sich bei dem Ostensorium ursprünglich um eine Hostienmonstranz handelte. Dieser Verwendungszweck erforderte einen abnehmbaren Turmaufbau, um das Einsetzen der konsekrierten Hostie in den Kristallzylinder zu ermöglichen. Aus diesem Grund sind die Streben, die den Oberbau mit dem Turmaufbau verbinden, nicht verlötet, sondern durch Schrauben verbunden. Die paarweise angebrachten Einzelbuchstaben und Kreuze dienten möglicherweise dazu, dem konsekrierenden Priester das Öffnen der Monstranz zu erleichtern, indem sie die Stellen, an denen die Streben gelöst werden konnten, markierten“.

Obiges Bild rechts: Ostensorium um 1350/1375. Drei Bergkristallzyliner – die beiden größeren enthalten Reliquien der Heiligen Cornelius ** und Simeon.

Obiges Bild links: Ostensorium aus dem 15. Jahrhundert. Im Glaszylinder in der Mitte sind Reliquien und hinter dem Fenster des Turms. Der gesamte Turmaufsatz lässt sich abnehmen.

kapselmonstranz

Kapselmonstranz der Äbtissin Elisabeth von Nassau, 1385, vergoldetes Silber, gegossen und graviert, Bergkristall und Email. Höhe 56 cm. Die Dame war wohl sehr durchsetzungsfähig und „regierte“ mehr als vier Jahrzehnte. Sie ließ sich sogar von Rat und Bürgerschaft der Stadt Essen huldigen und setzte es durch, dass die Richter vor „ihrem“ Stift vereidigt wurden. Die Bürger mussten lange kämpfen, um wieder unabhängig von der Äbtissin zu werden.

<td
A eliz · abet de nassauwe // abb(atiss)aa) essnden(sis)a) · m° c°c°c°lxxxvb)
B e
C e
Ds(anctus) geor/gius
E s(anctus) (ch)ri/stoforc)
F s(ancta) ursu/la
G pingn/osa
Übersetzung: Elisabeth von Nassau, Äbtissin von Essen 1385.
   

Für hier mitlesenden Alt-, Mittel- und Neugermanisten haben wir noch ein Schmankerl: „Die heilige Pinnosa wurde bereits im 10. Jahrhundert in Essen besonders verehrt. Ihre Reliquien kamen sicher gemeinsam mit Reliquien der heiligen Ursula aus Köln nach Essen. Die ungewöhnliche, bis jetzt an anderer Stelle nicht belegte Schreibweise pingnosa statt Pinnosa in Inschrift G hängt mit der Velarisierung des Lautwertes 〈n〉 zusammen, die im Frühneuhochdeutschen im main- und rheinfränkischen Gebiet für einige Dialekte belegt ist.“ Es geht also irgendwie um Verengung des Mundraums durch Hebung der Hinterzunge an das Gaumensegel; deswegen schrieb man in Essen den Namen der von den Hunnen dahingemetzelten Jungfrau anders. Aha! (Puls und Atmung noch normal?)

Im Verzeichnis deutscher Inschriften heißt es über die Monstranz: „Der ausladende Fuß aus vier geschweiften Bögen und durchbrochener Zarge läuft in einen sechskantigen Ständer aus. In ein Schriftband auf dem Fuß ist ein Name mit Datum als Stiftervermerk (A) in Kontur vor kreuzschraffiertem Schriftgrund graviert, auf der Vorderseite des Fußes und der Rückseite des sechsseitigen Kapellennodus Einzelbuchstaben (B, C) in Kontur mit Kreuzschraffurfüllung vor glattem Schriftgrund. Die Überleitung in den Oberbau ist mit Weinranken überfangen, links und rechts befindet sich eine Engelsfigur. In der Mitte der Basis ruht auf einer Konsole, die von vier Engeln mit Musikinstrumenten umgeben ist, eine Bergkristallkapsel, in der Herrenreliquien und eine Reliquienauthentik enthalten sind. Die Kapsel wird von Strebewerk begleitet. Darüber erhebt sich ein turmartiger Baldachin. Das unterste Geschoss besteht aus einer über Eck gestellten viereckigen Grundfläche mit Brüstung über vier Kielbögen. Im darüber liegenden Geschoss sind in die vier Fensterbrüstungen Heiligennamen (D–G) graviert, darüber befinden sich Maßwerkfenster, an den Ecken stehen musizierende Engel unter Baldachinen. Im dritten Geschoss steht eine Statuette, darüber befindet sich die Turmspitze mit Kruzifix.“

Angeblich sind in der Bergkristallkapsel ein Tropfen vom Blut Christi, ein Splitter vom Kreuz und ein Dorn der Dornenkrone.

reliquiar

Reliquiar aus dem 14. Jahrhundert, silber und teilvergoldet (14 cm hoch), gegossen, graviert, Bergkristall. Die Statuette des Heiligen Antonius, dem so genannten „Vater aller Mönche“, wurde erst 1950 bei einer Restaurierung angebracht und stammt von einem anderen Ostensorium. Im Kristallzylinder sind eingewickelte Reliquien der Sieben Schläfer von Ephesus ***, des heiligen Chrysanthus und des Florinus.

Fortsetzung folgt
* Sehr interessant aus technischer Sicht: Restaurierungsgeschichte und Zustand
** Das Grab des Bischofs von Rom wurde erst im 19. Jahrhundert entdeckt und konnte Cornelius zweifelsfrei zugewiesen werden. Im 9. Jahrhundert – also zur Zeit der karolingischen Renaissance – entwickelte sich um ihn ein regelrechter Kult im ganzen christlichen Europa. „An verschiedenen Orten wurde Cornelius noch bei weiteren Leiden angerufen, so bei Lahmheit, ansteckenden Krankheiten, Pest, Fieberkrankheiten, Kopfleiden, Blindheit, Hirnhautentzündung, Mutterkornpilz, Ohrenschmerzen, Halskrankheiten, Keuchhusten, Krätze, Warzen, Blutungen, Bruchleiden, Kinderlosigkeit (Ninove in Belgien), Stress und Beziehungsproblemen, gegen Schlaganfall und plötzlichem Tod, zur Erhaltung der Keuschheit und als Patron der Liebenden (Neuss-Selikum).“ (Wikipedia)
*** Die Siebenschläfer werden auch im Islam verehrt.

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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)