Talibanglottisschlaginnen, Graveyard of Empires and Proxy-War

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Das Publikum wird stundenlang mit einschlägigen Reportagen zum aktuellen Thema Saigon Kabul überschüttet worden sein und sich, falls interessiert, informiert fühlen. Ich nicht. Die wichtigen Fragen werden weder gestellt noch beantwortet – und zwar genauso unisono, wie alle deutschen Medien die Präsenz ausländischer Militärs in Afghanistan begrüßt und begleitet haben. Also sollte ich meinen Mostrich dazugeben, nicht ohne vorher das recherchiert zu haben, was relevant ist.

Ich lese in fast jedem Artikel „der Westen“. Wer oder was ist das? Der eigentlich nur geographische Begriff erinnert mich an die „westlichen Werte“, für die in West(!)-Berlin vor vier Jahrzehnten demonstriert wurde und die zeitgleich satirisch mit der Jubelparade auf die Schippe genommen wurden. By the way – Wörter, die ich zwei Wochen nicht sehen will: „der Westen“ und „Kulturkreis“.

Man beruft sich gern auf die Aufklärung, die weltweit verteidigt werden müsste, vergisst aber, dass die Nation, aus der die Aufklärer stammten, wenig später auch zwei Weltkriege anzettelte und die Shoah auf dem Gewissen hat. Vom Kolonialismus aller größerer europäischen Staaten ganz zu schweigen. Wenn das nicht auch „westliche Werte“ sind, dann gibt es gar keine.

Wenn es einen ideellen Gesamttaliban gäbe, hätte dieser – natürlich auf einer steinzeitlichen Schiefertafel – die Araber, das Britische Empire, die Sowjetunion und jetzt die USA und den restlichen „Westen“ abgehakt. Was kommt danach? Wir haben da noch die Freunde Afghanistans, die die „Wahl“ des afghanischen Volks [das es gar nicht gibt] respektieren. Die wussten garantiert schon lange vorher Bescheid, was passieren würde, und trafen sich mit den Taliban. Wer hat da wohl wen eingeladen? (Das ist übrigens nicht zu vergleichen mit dem völkischen Gefasel, was einige Mitglieder der „Linken“ ablassen.)

Ich gehe davon aus, dass am Wakhjir-Pass bald gebaut wird. (Ein Traum, den zu überqueren! Abenteuer pur! Leider bin ich zu alt dafür – und keiner wird mich lassen.)

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Aber wir haben noch Eisenerz aus Aynak und die Mine in Hajigak, die größte Asiens. Gehört schon den Chinesen, obwohl „der Westen“ 20 Jahre lang Afghanistan besetzt hatte. Haben die nur die Opiumfelder bewacht oder sich auch mal umgesehen? Und warum lese ich gar nichts aktuell da drüber in den Medien? Mich würde auch interessieren, ob die Kanadier und Inder schon raus sind.

Mathias Bröckers schrieb vor 20 Jahren: „1986 (…) verschärfte CIA-Chef Casey den Krieg gegen die Sowjetunion mit drei Maßnahmen: Er überzeugte den Kongress, die afghanischen Mujaheddin mit Stinger-Raketen auszurüsten und ihnen Ausbildung und Unterstützung für den Guerillakrieg zukommen zu lassen. In Zusammenarbeit mit der pakistanischen Inter-Services-Intelligence (ISI) und dem britischen MI 6 war darüber hinaus geplant, mit „islamischen“ Terror-Attacken die angrenzenden Sowjetrepubliken Usbekistan und Tadschikistan zu verunsichern. Drittens unterstützte die CIA fortan die Bemühungen der ISI, in anderen islamischen Ländern Kämpfer für den Heiligen Krieg zu akquirieren und sie in einem Netz von Lagern und „Religionsschulen“ ideologisch und militärisch auszubilden…“

Achmed Raschid schreibt in The Taliban: Exporting Extremism „The ongoing civil war has polarized the regin, with Pakistan und Saudi Arabia backing the Taliban regine while Iran, Russin, India and four former Soviet Central Asian republics support the opposition Northern Alliance.“

Dazu hat Goethe schon alles gesagt. Wir beobachten also Kompetenzdefizite des Lehrlings bei Goethe und eben das auch bei unserem politischen Personal. Das ist aber bekanntlich ein Feature und kein Bug und wird sich wiederholen.

Könnte also sein, dass China rechtzeitig gewittert hat, woher die Wind weht und damit gleichzeitig dem Erzfeind Indien eins auswischt. Vielleicht finanzieren sie ja als Bonus auch das Aussteigerprogramm für Taliban*innen weiter.

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Kurz zum den wolkigen Gefilden des Überbaus, zu denen Religion bekanntlich gehört und mit der sich der Kampf der Klassen oft kostümiert: Vor zwei Jahrzehnten regten sich indische Medien darüber auf, dass die Militärs in Pakistan terroristische Organisationen unterstützten. Der pakistanische Geheimdienst startete zum Beispiel Operationen, um den Punjab von Indien abzuspalten und Pakistan zuzuschlagen. „Pakistan’s proxy war against India in J&K through cross-border terrorism started in 1989 after the withdrawal of the Soviet troops from Afghanistan.“ Conclusio: „The large-scale Pakistani, official and non-official, involvement in the building-up of not only the Taliban, but also of other terrorist infrastructure based in Afghanistan.“

Man könnte diese Argumente kontern: Die Taliban gehören zu einer deobandischen islamistischen Gruppe, die ihren Ursprung in der „Hochschule“ Dar ul-Ulum Deoband in Indien hatten. Diese Fraktionen des Islam sind vergleichbar mit den christlichen Sektengründungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Zeugen Jehovas, Mormonen, „apostolische“ Kirchen), die allesamt das Motto pflegten: Erneuern und back to the roots.

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Wer führt und organisiert die Taliban? Mullah Mohammad Yaqoob ist zum Beispiel der Sohn des ehemaligen Staatsoberhaupts Mullah Omar. „Der Westen“ hat also den inneren Führungszirkel der Taliban, Rehbari Shura genannt, nie aufsprengen können.

Zum Schluss die gute Nachricht: Wie in diesem Kulturkreis so üblich, werden sich die Taliban und noch ein paar andere Warlords bald gegenseitig bekriegen, wie alle Jahrhunderte zuvor.