Bunte Heuchelei

katheoy

Das Stammpublikum kennt mein Misstrauen: Wenn ich das Gefühl habe, durch die Mainstream-Medien in eine Volksgemeinschaft einen vermeintlichen gesellschaftlichen Konsens eingemeindet zu werden, den es bei näherem Hinsehen gar nicht gibt, stimmt etwas nicht. Warum jetzt die allgemeine Schnappatmung über ein ungarisches Gesetz, das vermutlich niemand im Wortlaut gelesen hat? Warum wieder Fackelzüge und Lichterketten Gesicht zeigen für Homosexuelle und Transgender-Personen?

Müssen wir bald vor der so genannten Regenbogenfahne strammstehen, die ich eher mit dem Bauernkrieg oder Cusco verbinde, weil ich nicht nach „links“identitärer Art unentwegt nur an Geschlechtliches denke?

Allüberall schwallt einem das Thema entgegen. Ich finde die Entscheidung der UEFA, welche Motive sie auch immer haben mag, korrekt. (Ich vermute, dass mir niemand aus der Journaille beipflichtet außer den rechten Pappkameraden, und die aus ganz anderen Gründen – und das macht mich stutzig). Wenn die gutmenschliche gefühlte Masse auch einmal „Zeichen“ gegen die kapitalistische Ausbeutung setzen würde, etwa rote Fahnen schwenkte, – aber nein, es geht immer nur um skurrile Minderheiten Sex.

Hintergrund ist ein vergangene Woche vom ungarischen Parlament verabschiedetes Gesetz, das „Werbung“ für Homosexualität oder Geschlechtsangleichungen bei Minderjährigen verbietet, schreibt der Tagesspiegel. Dazu gibt es nur wenige besonnende Stimmen wie die Gerhard Papkes, dem Vorsitzenden der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft: Das Ganze war eben nicht geplant als allgemeine Aktion für Diversität und Liberalität, sondern als politische Demonstration gegen Ungarn. Und damit hätte man die Ungarn vor der Weltöffentlichkeit entwürdigt und bloßgestellt. (…) Aber es kann auch nicht sein, dass jetzt alle Leute ständig vor der Regenbogenflagge salutieren müssen. Mit ihr verbindet sich inzwischen ein Machtanspruch, dem auch einmal Grenzen zu setzen sind. In der Politik traut sich das aber kaum noch jemand. (…) Viele, die Ungarn Homophobie vorwerfen, kennen scheinbar die Sachlage überhaupt nicht. Es gibt in Ungarn das Institut der eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, ähnlich wie in Deutschland. Schwule und Lesben können in Ungarn sicher leben, ganz im Gegenteil zu vielen islamischen Ländern, wo Frauenrechte und Homosexuelle nichts gelten.

Ach? Dann war alles nur heiße Luft? In einem Land mit sehr fragwürdigen Paragrafen zum „Kinderschutz“ sollte man sich bedeckt halten, eine andere Regierung zu kritisieren, die verbietet, etwas Minderjährigen zuzumuten – natürlich unter dem propagandistischen Deckmantel, es gehe gegen Pädophilie. Kein Mensch sollte glauben, dass den ungarischen Präsidenten Schwule und Lesben interessieren – es handelt sich um reine Innenpolitik nach der Methode Donald Trumps: Sollen die Leute sich über mich aufregen, dann beschäftigen sie nicht mit den wirklich wichtigen Dingen (wie zum Beispiel dem Verfahren der EU gegen Ungarn wegen Verletzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips). Ich würde es genau so machen, wäre ich Diktator von Deutschland oder von anderswo.

Warum also die unerträglich medial gleichgeschaltete heuchlerische Aufregung? Heuchlerisch? Dann schauen wir dorthin, wo es nicht nur zwei Geschlechter gibt, sondern Transgender-Personen anerkannt sind – und warum das so ist. (Man muss nicht Treechada Petcharat fragen.)
Matt Chauveau, an expat and the co-founder of MojoSons Events in Bangkok observes that Buddhism permeates Thai society, and despite the fact that to an outsider looking in Thailand seems remarkably open, the country is actually quite conservative culturally. The catch is that Buddhism is vastly different than the Abrahamic faiths. Tolerance and understanding are central Buddhist tenants, and there is even an explanation for transgender people in Buddhist mythology. Thai Buddhists believe that kathoey are women who were born as men in order to atone for sins committed in a past life; they are thus looked upon with pity and empathy rather than hatred or disgust. Another factor Matt notes stems from Thailand’s history: Thailand was the only country in Southeast Asia to avoid being wholly colonized and influenced by the Western Powers during the 19th century. In the nations Europe colonized European values were partially forced on native populations; this did not happen in Thailand.

Umkehrschluss: Toleranz und Verständnis sind eben nicht Teil der abrahamitischen Religionen. Und das Christentum, das mit dem Kolonialismus und späteren Imperialismus meist zwangsweise anderen Nationen aufgedrückt wurde, exportierte damit auch seine intolerante und prüde Sexualmoral. Nur eben nicht nach Thailand. Vielleicht haben unsere Regenbogenfahnenschwingerglottisschlaginnen nur heimlich ein schlechtes Gewissen und machen deshalb so einen Radau, weil sie hoffen, sich und ihrer Peer Group zu zeigen, dass sie die Guten sind.

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Kommentare

14 Kommentare zu “Bunte Heuchelei”

  1. Corsin am Juni 23rd, 2021 9:06 pm

    Wo zum Geier kommen eigentlich diese ganzen ‚woken‘ Leute plötzlich her, die die letzten 50 Jahre offenbar völlig verschlafen haben und jetzt den längst Ausgeschlafenen erklären wollen, wo der Regenbogen hängt?

    Ich bin unter Anderem unter Lesben, Schwulen und Transen aufgewachsen, die sich im West-Berlin der 1970er bis in die 1990er Jahren noch völlig frei ausleben konnten. Das hat sich aber geändert, und gerade die lautesten Krakeeler fragen nicht warum.

    Ein heterosexueller Kneipenbekannter, der früher gern geschminkt und mit hochhackigen Schuhen ausging, traut sich das seit vielen Jahren nicht mehr, nach mehreren ‚Vorkommnissen‘, an denen nach seiner Aussage weder Lutheraner, Katholiken noch Buddhisten beteiligt gewesen sind.

  2. Godwin am Juni 23rd, 2021 9:10 pm

    die Reinheit des Sports ist gleih mehrfach eine Lüge:

    zum einen haben diese Reinheits-Diskurse ja immer etwas exkludierendes, geradzu ausmerzendes – nichts darf das heilige beschmutzen.
    und zum zweiten – der morderne Sport war NIE unbefleckt, sondern quasi seit jeher Teil politischer Machtspielchen:

    „Schließlich glauben wir ja, oder tun, als glaubten wir, daß die wahre Bestimmung des Stadions immer noch der Sport ist. Werfen wir jedoch einen Blick auf die Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles (…), die bereits von einer auf ihre Weise terroristischen Aura der Machtdemonstration überschattet waren – die Weltspiele des Sports wurden zu einer Strategie des Kalten Krieges erhoben: eine Pervertierung des olympischen Prinzips. Hat man sich einmal von diesem Prinzip verabschiedet, kann der Sport zu jedem beliebigen Zweck herhalten: Als Leistungsschau des Prestiges oder der Gewalt verkommt er von einem Spiel des Kräftemessens und der Repräsentation zu einem Zirkusspiel und leeren Taumel.

    Und auch das entspricht der allgemeinen Tendenz unserer Gesellschaften: Übergang von den Systemen der Repräsentation zu Systemen der Simulation und des Taumels. Das macht auch vor der Politik nicht Halt. “
    JEAN BAUDRILLARD

    „Wir sitzen jedenfalls vor dem Bildschirm, und nichts bannt uns so sehr als die Erfahrung, erregte Zuschauer einer Destruktion zu sein, die plötzlich auftritt. Wir sind enttäuscht, wenn wir, auch als moralische Gegner, wie beim Golfkrieg nichts zu sehen bekommen, wenn wir ausgesperrt bleiben.“
    Florian Rötzer

    Wo olle Marx 18-irgendwann noch versucht hat, die materielle Basis zu entschleiern, muss man inzwischen evtl. mal überlegen, ob über die Jahrzehnte hinwege der Schleier nicht selbst zur materiallen Basis wurde…
    oder wie mein Englisch-Dozent zu sagen pflegte:
    „Capitalism is a tricky thing.“

  3. ... der Trittbrettschreiber am Juni 23rd, 2021 9:56 pm

    Wie es aussieht, sind alle Farben bereits vergeben, besetzt und an Identitäten klebend. Vielleicht blüht bald der Handel mit den Nyancen der RAL-Skala wie mit den Domains. Die Uefa, obwohl mir allein schon bei dem Wort „Fußball“ übel wird, scheint ziemlich undumm zu sein.

  4. Wim am Juni 24th, 2021 9:33 am

    Mittlerweile ist Homosexualität ist in Deutschland eine anerkannte Leistung, so wie ein Doktortitel oder Meisterbrief. Oder doch eher wie die goldene Olympiamedaille?

    Wollte „die Mannschaft“ wirklich etwas für die LGBT… tun, dann sollten sich Manuel Neuer und Jogi Löw endlich als Homos outen. Am Besten in einer gemeinsamen Pressekonferenz zu der auch Philip Lahm eingeladen wird. Vielleicht kann das free-tv das als eine Art Musikshow mit Florin Silbereisen als Moderator präsentieren. Der könnte sich dabei gleich selbst mit outen.

    Ich bin gespannt, wie das in Katar bei der Fussball-WM ablaufen wird. Glaubt irgendjemand das die dortigen islamischen Machthaber eine Propaganda dieser Art zulassen werden? Oder ziehen die Machthaber dort den Schwanz ein, weil man nicht für „islamophob“ gehalten werden will?

  5. Wim am Juni 24th, 2021 9:37 am

    Sind Sie nicht @corsin der SPD Wähler?

    Wenn Sie das schreiben:

    Wo zum Geier kommen eigentlich diese ganzen ‘woken’ Leute plötzlich her, die die letzten 50 Jahre offenbar völlig verschlafen haben und jetzt den längst Ausgeschlafenen erklären wollen, wo der Regenbogen hängt?

    Ich bin unter Anderem unter Lesben, Schwulen und Transen aufgewachsen, die sich im West-Berlin der 1970er bis in die 1990er Jahren noch völlig frei ausleben konnten. Das hat sich aber geändert, und gerade die lautesten Krakeeler fragen nicht warum.

    Ein heterosexueller Kneipenbekannter, der früher gern geschminkt und mit hochhackigen Schuhen ausging, traut sich das seit vielen Jahren nicht mehr, nach mehreren ‘Vorkommnissen’, an denen nach seiner Aussage weder Lutheraner, Katholiken noch Buddhisten beteiligt gewesen sind.

    dann würde ich sagen:

    Wie bestellt so geliefert!

  6. Fritz am Juni 24th, 2021 11:54 am
  7. ... der Trittbrettschreiber am Juni 24th, 2021 2:34 pm

    In meiner (noch aktuellen und durch Hopfen und Burks lesen mumifizierten) Jugend war ich oft leicht verwirrt beim Anblick visuell nicht dem damaligen Bewohner-Standard des Teutoburger Waldes zuzuordnender Männer, die Händchen haltend an den Misthaufen unseres Dorfes vorbeiflanierten. Niemand nahm Anstoß, sie waren ja eh anders und von woher auch immer. Es wurde hin und wieder gekichert und nachdenklich bewundert aber am Samstag abend an der Dorfkrug-Theke mussten die genauso mitgrölen wie die, die „jümmer inne Kneipe jchingen“. Heute würden sie wohl alle gemeinsam in eine regenbogenfarbige Kotztüte gendern – bis zur nächsten Phobie.

  8. Die Anmerkung am Juni 24th, 2021 3:10 pm

    Bericht 1

    Schülersprecherin Ally Bäumer, Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke und Schulleiter Reto Stein setzen ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz.

    Bericht 2 füllt die Lücken von Bericht 1

    Jugendliche haben an einer Schule in Freudenberg in Nordrhein-Westfalen einer Mitschülerin eine Regenbogenfahne gestohlen und angezündet. Eine jubelnde Menge beklatschte und filmte den Brand. Die Kleinstadt ist erschüttert.
    —–
    Wie, alle 18.000 Einwohner?

  9. ... der Trittbrettschreiber am Juni 24th, 2021 4:15 pm

    @ Die Anmerkung

    Ist ein Ruck durch die Kleinstadt gegangen?
    Klatschen und erschüttert sein – nennt man das nicht Multitasking? Ich jubelte, trönkten sie dazu auch noch ein JEVER mit austretender Löschschaumfontäne für den eigentlich doch Feuer resistenten Regenbogen.

  10. Die Anmerkung am Juni 24th, 2021 5:29 pm

    @trittbrettschreiber

    Auf dem Foto im ersten verlinkten Artikel, der die Begeisterung der Jugendlichen unterschlägt, ist die ganze Empöreria der Stadt abgebildet.

    Es gab nämlich kein Freibier.

  11. ... der Trittbrettschreiber am Juni 24th, 2021 7:32 pm

    @ Die Anmerkung

    Wer Tücher verbrennt, …

  12. Stephan Fleischhauer am Juni 25th, 2021 12:17 am

    Hört auf nicht auf die UEFA, hört auf den Betroffenen:
    https://youtube.com/watch?v=C_N1WQvuIEs

  13. flurdab am Juni 25th, 2021 8:07 am

    Das war doch nur um davon abzulenken dass es mit der teutschen Fußballherrlichkeit vorbei, vorbei, vorbei ist.
    Mittelmaß trotz kolonialer Einkaufpraxis.
    Was ich aber noch schlimmer finde ist der Verrat an den FFF- Jüngern.
    Was sind die gegen den Klimawandel angehüpft, Langstrecken- Luise hat ihrem Hobby abgeschworen und ist sogar bei den Grünen eingetreten.
    Und nu?
    Wieviele wehr- und arglose Kilowattstunden sind für diesen Mummenschanz verbrannt worden?
    Wer denkt noch an die Eisbären und die Polkappen?
    Ich bin entäuscht…

    Ob Erich Kästner heute wohl etwas anderes dichten täte?
    http://document.kathtube.com/16385.pdf

  14. flurdab am Juni 25th, 2021 8:21 am

    Hat sich eigentlich die DiTiB angeschlossen und auch ein paar Moscheen festlich illuminiert?
    Ich frage nur für einen Bekannten…

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