Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!

förmchenweitwerfen

Bei bestimmten Zeichenketten schlägt gleich mein Bullshitometer stark aus: „Engagiert sich“, „Aktivist“ (außer in historischen sowjetischen Filmen), „Welle der Empörung“, „sensibles Thema“. Ich habe mit der Medienblase nicht mehr viel zu tun, außer als teils amüsierter, teils gelangweilter, teils als kopfschüttelnder Beobachter aus anthropologischer Sicht. Ich bitte daher die Leserschaft, zum Beispiel die Perspektive einer Krankenschwester, eines Fabrikarbeiters, einer Putzfrau Reinigungsfachkraft oder einer Kassiererin im Supermarkt einzunehmen, also aus der Sicht der Leute zu urteilen, die tagaus, tagein hart arbeiten und vielleicht noch eine Familie ernähren müsse, und die mitnichten Zeit und Lust haben, gegen das gefühlt Böse im Internet anzuschreiben oder sich im Sandkasten gegenseitig Torten Förmchen an den Kopf zu werfen. Anders ist das, was folgt, gar nicht zu ertragen.

Ein Journalist schrieb recht langatmig auf Der Achse des Guten (Broder & Co.) darüber, dass er nicht mehr für die Zeitschrift „natur“ (natur.de/wissenschaft.de) schreiben darf. (Ich halte die „Achse“ für genauso „rechts“ wie die F.D.P., Teile der SPD und der CDU sowieso, von den Salonfaschisten ganz abgesehen – also kein Grund zur Schnappatmung oder zu Purifikations-Ritualen).
Ein Kollege sei, zufällig, auf Artikel von mir gestoßen, die auf der Achse des Guten publiziert worden seien. Man wundere sich über meinen „lustvoll prolligen, leicht nationalistisch gewürzten“ Achse-Beitrag über die Anti-Feuerwerks-Kampagne der Deutschen Umwelthilfe, die dem mailenden Kollegen wie eine „bier-/wutschäumende Stammtischrede beim AfD-Kreisparteitag“ vorkam. Ob ich das wirklich geschrieben habe?

„Lustvoll prollig“ ist niedlich: Da schwingt die Verachtung für die Proleten gleich mit. Die benehmen sich bekanntlich nicht „korrekt“, und ein Journalist aus der Mittelklasse muss natürlich die Nase rümpfen.

Ab jetzt geht es natürlich nicht mehr um Inhalte, sondern, wie in der Medienempörungsblase üblich, nur darum, wer wo etwas gesagt hat, wer etwas „sagen darf“ und ob das für den jeweils selbst definierten Mainstream anrüchig (offensive) sei. Ich habe den inkriminierten Artikel „Warum ich Donald Trump die Daumen drücke“ ganz gelesen. Wer die Ironie nicht mitkriegt, ist von allen guten Geistern verlassen und/oder dumm wie Brot. Ich hätte den auch so schreiben können, allein um die zu ärgern, die meinen, es gäbe irgendeinen Konsens, dass Trump als Vertreter der herrschenden Klasse der USA schlimmer sei als Biden, der bekanntlich jetzt dem Ausschuss eben derselben Klasse vorsitzt, um deren Geschäfte zu führen. Trump hatte natürlich auch keine Strategie, um die aktuelle Pandemie zu bekämpfen und gab eine Lüge nach der andern von sich. Mich aber regt das nicht auf: Nichts anderes erwarte ich von einer solchen Charaktermaske.

Ich hatte nur den Link zum Artikel auf Fratzenbuch gepostet und wurde schon beschimpft und als „Idiot“ geschmäht. Mich lässt das kalt, aber es ist schon erstaunlich, wie manche Leute, die sich „links“ fühlen, aber es nicht sind, auf Brocken, die man ihnen hinwirft, reflexartig reagieren wie ein Pawlowscher Hund. Man weiß vorher schon, was kommt, inklusive der Gendersternchen.

Noch ärger finde ich die weinerliche Art, mit der unsere Anstalten sich entschuldigen, sobald sich irgendwo in den so genannten sozialen Medien ein Shitstörmchen zusammenbraut oder jemand sich beschwert, den man nicht kritisieren darf und kann, weil er (noch schlimmer: sie) unerbittlich gut und „farbig“ ist, wie etwa die „Aktivistin“ Jasmina Kuhnke aka quattromilf (die sich auch auf den Couponschneider Don Alphonso eingeschossen hat).

Die Ölspur, die der WDR hinterlässt, ist so breit, dass sogar ein Merkava darauf ausrutschen würde. Ein Herr Micky Beisenherz, von dessen Existenz ich bisher nicht wusste, jammert: „Wenn ich Leute enttäuscht habe, dann tut mir das aufrichtig leid, denn das möchte ich nicht.“

Ach ja? Ich gehe nie ins Bett, ohne mich zu fragen, ob ich auch nicht vergessen habe, täglich jemanden enttäuscht, ans Bein gepinkelt oder in den Allerwertesten getreten zu haben. So eine Elendsgestalt nennt sich vermutlich auch noch „Journalist“, ohne rot zu werden vor Scham.

Noch schlimmer eine andere Dame, von der ich auch noch nie etwas gehört oder gesehen hatte: Gerade ich als Mutter von drei Kindern, sollte aufgeklärter sein, wenn es um unser vorurteilsbehaftetes Sprachsystem geht, für dessen Mitgestaltung wir alle verantwortlich sind. Ich werde zukünftig meine Wortwahl überdenken, denn es war falsch, dass ich mir angemasst habe, als privilegierte weiße Frau über ein Thema zu sprechen…“ Blabla. Ein unfassbares Gesülze.

Da rollen sich bei mir die Fußnägel hoch. Man meint, einer Masochistin beim Gang nach Canossa zuzusehen. Der „Tagesspiegel“ hat an ganz anderer Stelle und zu einem (nicht) ganz anderen Thema den treffenden Ausdruck „die Raserei der Tugendhaften“ geprägt. So muss man sich das vorstellen: An den Pranger mit ihnen, unter dem virtuellen Gejohle der Twitter-Menge mit faulen verbalen Eiern bewerfen, und die, die „bei diesem sensiblen Thema“ etwas Falsches von sich gegeben haben, rufen laut und weinend: Ich habe gesündigt! Ich beichte und bereue zutiefst!

Ich habe jetzt gar nicht mitbekommen, um was es eigentlich ging. Um etwas, was die arbeitende Bevölkerung in irgendeiner Weise interessiert? Was in ihrem Leben eine Rolle spielt? Christian Baron beschreibt in seinem Buch Ein Mann seiner Klasse, dass in einer Kneipe in Kaiserslautern, in der sein Vater verkehrte, jemand, der ins Sonnenstudio ging, „Elektroneger“ genannt wurde. Ich möchte den sehen, der sich im TV traute, dieses Wort zu benutzen.

Nur, um das klarzustellen: Ich mag nicht urteilen, ob zum Beispiel Frau Kuhnke recht hat oder nicht. Das sieht jeder anders, und bei rassistischen Vorurteilen gäbe ich ihr vermutlich oft recht. Es geht um die Art und Weise, wie man sich mit dem Thema auseinandersetzt. Als öffentliches Ritual der Schuld und Sühne? Als moraltheologisches Spektakel? Oder darf es vielleicht auch mal politisch sein – Rassismus als Feature des Kapitalismus, das Sinn ergibt und eine Funktion hat, insbesondere für die Herrschenden, und nicht als Fehler? Kann man mit den „Aktivisten“ auch über den tendenziellen Fall der Profitrate reden? Den kennen die gar nicht? Dann geht doch rüber zur systemaffinen Greta und rettet das Klima oder so.

Zum Erinnern: Die richtige Perspektive einnehmen und nicht in diesem weltanschaullichen Morast versinken!

So muss man auch über das ehemalige Nachrichtenmagazin und dessen daily soap, wer wen welchen Posten abkriegt, lesen. Oder die lächerlichen Sätze von meedia.de, die vermutlich dem Anus einer Werbeagentur entsprungen sind: Zwei Zeitungen in Brandenburg „rücken näher zusammen„. Eine „tief schürfende“ Analyse, die sich gewaschen hat. Meine Prognose: Der Mantel wird bald derselbe sein, Redakteure werden hinausgeworfen, alles soll digitaler werden oder auch: vor dem Sterben noch mal ein bisschen zucken.

Jetzt hätte ich mich beinahe aufgeregt. Aber zum Glück habe ich es nicht getan. Und ich werde meine Wortwahl nie, nie, nie überdenken.