Geschwätz von gestern

SenBJF

Der Berliner Senat verfährt nach dem schönen Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?




Sturm auf [bitte selbst ausfüllen][Update]

Revolution

Sturm auf Parlament in Skopje. Sturm auf Parlament in Kirgisistan. Sturm auf Parlament in Tschetschenien. Sturm auf Parlament in Hongkong. Sturm im Wasserglas in Deutschland. Sturm auf Parlament in Bagdad. Sturm auf Parlament in Belgrad. Sturm auf Parlament in Venezuela. Sturm auf Parlament in Sofia. Sturm auf Parlament in Bangkok. Sturm auf Parlament in Tiflis. Sturm auf Parlament in Luzern. Sturm auf das Parlament in Washington.

Der Schockwellenreiter hat alles schon formuliert, was nötig ist: „Lediglich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte ihr Vertrauen in die Stärke der US-Institutionen und des US-Kapitals der US-Demokratie.

Wie Recht sie hatte: Inzwischen ist das Kapitol wieder gesichert und der DAX geht von den amerikanischen Ereignissen unbeeindruckt weiter auf Rekordjagd. Der Börse ist es nämlich scheißegal, wer in Washington den Steigbügelhalter des Kapitals (nicht des Kapitols, das darf man nicht verwechseln) macht. Und schade, daß es dieses Mal keine ominösen russischen Hacker gibt, denen man das alles in die Schuhe schieben kann.“

[Update] Fast die Hälfte der Republikaner macht Biden für den Sturm auf das Kapitol verantwortlich.




Kleiderständer

kleiderständer

Endlich ein vernünftiger Kleiderständer für meine Dienstkleidung!




Wokeness and Diversity

„Der neoliberale Traum ist, dass das in punkto Reichtum obere Prozent der Bevölkerung genauso divers ist wie die restlichen 99 Prozent, damit niemand seine ökonomische Situation mehr auf Diskriminierung schieben kann. Dann können die Reichen nämlich behaupten, dass jeder seinen Platz in der Gesellschaft verdient habe. Bei Diversity-Bestrebungen geht es nicht in erster Linie darum, Ungleichheiten zu minimieren, sondern sie zu rechtfertigen.“ (Walter Benn Michaels 2019, via Fefe)




Engineer Modus

bauschlüssel

Das hiesige Publikum wird sicher wissen, was ich da in der Hand halte. Ich vermute aber, dass die marginalisierten Intellektuellen aus der kleinbürgerlichen Mittelklasse, die merkwürdige Abkürzungen wie „cis“, „Poc“ und „trans“ wie Adjektive benutzen und dreist Sonder- und Satzzeichen mitten in unschuldigen Wörtern platzieren, keine Ahnung haben, wofür ich dieses Gerät benutzen werde.

By the way: Das Publikum merkte ganz richtig an, dass ich viel zu tun habe. Das war aber noch nie anders. Gestern wurde mir eine recht komplizierte Alarmanlage mit gefühlt zwei Millionen Features von einem nur Englisch sprechenden Ingenieur mündlich erklärt. Ein fucking manual gibt es nicht. Ich verfasse daher jetzt eine Anleitung auf Deutsch für Kollegen, die ausländischer Sprachen nicht mächtig sind. Um zu beschreiben, wie man die Anlage scharf schaltet, habe ich schon sechs Seiten gebraucht…




Ich impfe, du impfst, wir impfen

brennendes haus

An unsere Bedenkenträger, was das Impfen angeht:

Aber am Abend, als sie gegangen waren,
Saß der Buddha noch unter dem Brotbaum und sagte den andern,
Denen, die nicht gefragt hatten, folgendes Gleichnis:
«Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache
Leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte,
Dass noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief
Ihnen zu, daß Feuer im Dach sei, sie also auffordernd,
Schnell hinauszugehen. Aber die Leute
Schienen nicht eilig. Einer fragte mich,
Während ihm schon die Hitze die Braue versengte,
Wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne,
Ob nicht doch Wind ginge, ob da ein anderes Haus sei,
Und so noch einiges. Ohne zu antworten,
Ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich,
Müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich, Freunde,
Wem der Boden noch nicht so heiß ist, daß er ihn lieber
Mit jedem andern vertausche, als daß er da bliebe, dem
Habe ich nichts zu sagen.»
So Gothama, der Buddha. (Bertolt Brecht)




Total number of vaccination doses

covid-19 Total number of vaccination doses

Warum gehen unsere Medien mit Totalversagern wie Spahn so zartfühlend um? Liegt das an der freiwilligen staatstragenden Attitude, die typisch ist für die Mittelklasse, aus der fast alle Journalisten stammen?




Das Geheimnis der Maya-Scherbe

uxmaluxmal

Ich muss gestehen, dass ich ein Dieb bin, obwohl der Eigentümer sich nicht beschweren wird, da er schon rund 1000 Jahre tot ist. In Uxmal (Yucatan, Mexiko) habe ich am 17.10.1979 ein Artefakt mitgenommen, das vermutlich Teil eines Kruges oder Gefäßes gewesen sein wird, fernab von den Ruinen. Ich streifte durch das Areal, was schwierig war, da außerhalb der wenigen gerodeten Plätze wegen des dicken Dschungels kaum ein Durchkommen ist. Ich fand eine kleine Lichtung mit vielen steinernden Trümmer, aber auch verstreute Tonscherben. Eine davon steckte ich ein.

In Uxmal waren wir fast allein. Auf keinem der ein Dutzend Fotos ist ein anderer Tourist (außer meinem Reisebegleiter) zu sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Archäologen diese Scherbe zurückgelassen haben. Andererseits ist es auch schwer vorstellbar, dass diese Scherben nicht im Laufe der Jahrhunderte völlig überwuchert wurden, zumal Uxmal seit einem Jahrtausend nicht mehr besiedelt ist. Es wird ein Geheimnis bleiben.




An der Bobbahn

winterberg bobbahnwinterberg bobbahn

Die Fotos wurden an der Natureisbobbahn in Winterberg (Sauerland) aufgenommen, am Kahlen Asten (ca. 1957). Ich sitze da auf einem ausrangierten Bob, unten sieht man meine Eltern und meine Wenigkeit. Leider ist es mir nicht gelungen herauszufinden, was das für eine Hütte ist bzw. war. Auch auf alten Postkarten bin ich nicht fündig geworden. Meine Eltern hatten damals kein Auto. Man muss also zu Fuß vom Kahlen Asten aus dahin spazieren können. (Es könnte die Hütte links am Anfang der Bobbahn sein; sie ist aber auf der Postkarte kaum zu erkennen – außerdem fehlt der Wald ringsum.)




Zur emergenten Methode und produktive Kräfte

roman family
Gemälde aus Pompeji, jetzt im Museo Archeologico Nazionale (Neapel): Ein Bankett oder eine familiäre römische Zeremonie

Das neue Jahr sollte mit hochgestochener Wissenschaft beginnen um ein Zeichen zu setzen. Ich wurde angeregt durch die Kommentare der wohlwollenden Leserschaft, ein paar Worte zur Methode zu formulieren. Außerdem habe ich das höchst interessante und originelle Buch Egon Flaigs Ritualisierte Politik – Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom jetzt gelesen und kann einige Argumente nachlegen.

1. Ich schrieb am 05.11.20: Zu Spartacus und den Sklavenaufständen hatten einige marxistische Historiker die These aufgestellt, dass der Wechsel von der Republik zur „Kaiserzeit“ von den ritualisierte politikHerrschenden unter anderem als Option gewählt wurde, weil sie Angst vor weiteren Aufständen gehabt hätten und eine Ökonomie, die massenhaft auf Sklavenarbeit beruht, nicht mehr effizient genug gewesen sei.

Der erste Teil dieser These ist eindeutig falsch, durch keine Quellen belegt und beruht vermutlich auf Wunschdenken. Ich neige mittlerweile sogar dazu zu behaupten, dass der Klassenkampf zwischen den Freien und den Sklaven nicht der bestimmende für den Charakter der Sklavenhaltergesellschaft war, sondern der zwischen den „Ständen“ der Senatoren und Rittern einerseits und den Freien, insbesondere den Bauern, andererseits. Man muss auch bedenken, dass sich der ökonomische Charakter des römischen Reiches von den Punischen Kriegen bis zu Justinian – also fast 800 Jahre! – nicht wesentlich änderte. Die Rebellion des Spartacus fand aber schon im 1. Jahrhundert v. Chr. statt. Danach sind zwar zahlreiche kleinere Sklavenaufstände bekannt, aber keiner, der das Imperium oder gar die Form der Klassenherrschaft real bedrohte.

Im Klippschulen-Marxismus heißt es: Engen die Produktionsverhältnisse die Entwicklung der Produktivkräfte ein, so geraten beide in Widerspruch zueinander. Es folgt eine sozialen Revolution, die die Produktionsverhältnisse und den juristischen und politischen Überbau umwälzt. Gab es am Ende der Sklavenhaltergesellschaft, die hier mit dem Römischen Reich identisch ist, eine soziale Revolution, die irgendetwas umwälzte? Ich sehe keine. Es kommt aber darauf an, was man unter „Revolution“ versteht.

Egon Flaig schreibt: „Nicht bedachte oder tatsächlich unabschätzbare Folgen ergeben sich unentwegt aus menschlichen Handlungen; sie gehören zum Phänomen der Emergenz: Neues taucht auf, ohne dass richtig zu erkennen wäre, woher es eigentlich kommt. Die objektive Folgewirkung eines Ereignisses und die Bedeutung, die ihm in den Augen der Akteure anhaftet, driften in der Regel auseinander.“

Man kann also eine Revolution machen oder erleben, ohne es zu wissen. Für das Römische Reich heißt das: Massenhafte Sklavenarbeit wurde in der Spätantike ökonomisch immer unwichtiger oder sogar unprofitabel, ohne dass das jemand geplant oder vorhergesehen hätte. Das hatte aber mehrere Gründe, u.a. den Zusammenbruch der überregionalen Absatzmärkte für die Produkte der Latifundien. Man kann vermuten, dass bäuerliche Arbeit im Kolonat und später und feudalen Verhältnissen schlicht effektiver war als die Arbeit von Sklaven.

Eine Tendenz ist unstrittig: Die freien Bauern im Römischen Reich – zu Beginn dessen Basis – wurden mehrheitlich komplett ruiniert und ihres Landes beraubt. Das kann man vergleichen mit der Landflucht während der Industrialisierung in Europa: Der Kapitalismus braucht Menschen, die nichts mehr besitzen als ihre Arbeitskraft – das ist die klassische Definition des Proletariats. Im Spätfeudalismus hieß das Bauernlegen – nur dass die enteigneten Bauern nicht in die Städte abwandern konnten, sondern unter die Fuchtel der immer mächtigeren Feudalherrn gerieten. Erst die Entwicklung der Produktivkräfte in der Industriellen Revolution schuf für landlose Bauern eine Alternative.

roman mosaic
Römisches Bankett nach der Jagd, aus der Villa Romana del Casale in Sizilien

Zur Methode: Man kann Zufälle nicht als den treibenden Motor der Geschichte ansehen. (Ich will jetzt nicht die Schlacht von Salamis diskutieren.) Es hat auch im römischen Reich zum Beispiel immer wieder Seuchen gegeben wie etwa die Antoninische Pest; aber die haben den Lauf der Geschichte nicht wesentlich geändert, obwohl die Pandemie vermutlich mindestens 20 Prozent der Gesamtbevölkerung auslöschte. Auch die Pest im 14 Jahrhundert und der 30-jährige Krieg haben die Produktionsverhältnisse nicht umgewälzt. (Das gilt auch für „Klimaänderungen“ oder Vulkanausbrüche.)

An drei Orten kann das römische Volk am meisten sein Urteil und seinen Willen bezüglich der Res publica äußern: bei den Informationsveranstaltungen (contiones), bei den Stimmversammlungen (comitia) sowie bei den ludi und bei Gladiatorendarbietungen. (Marcus Tullius Cicero: Pro Sestio (56 v. Chr.)
Lateinisch ist hier viel kürzer und eleganter: Etenim tribus locis significari maxime de re publica populi Romani iudicium ac voluntas potest, contione, comitiis, ludorum gladiatorumque consessu.

2. Ich fragte mich selbst: „Republik“ oder „Militärdiktatur“ – sind das nur zwei Formen derselben Herrschaft, wie auch die „Demokratie“ und der „Faschismus“ beide Formen der Klassenherrschaft im Kapitalismus sind?

Die Antwort ist eindeutig ja! Fraig schreibt: „Die römische Republik ist untergegangen, weil die politischen Institutionen zusehends wehrloser wurden gegen die Konzentration riesiger Machtpotentiale in den Händen einzelner Nobiles. (…) Im Rom ließen sich ökonomische Ressourcen mühelos in soziale Macht verwandeln, das Klientelsystem eignete sich dafür bestens. Wo aber machten römische Aristokraten ihre größten ökonomischen Gewinne? Nicht in der Landwirtschaft und nicht im Handel, sondern bei der Verwaltung von Provinzen und im Kriege. Die Kriegsbeute war erheblicher als die Gewinne, die ein Statthalter normalerweise aus seiner Provinz herauszog. Mit ihr erwarb der Feldherr schlagartig Reichtümer in einem solchen Umfang, dass andere Senatoren keine Chance hatte, durch eine allmähliche Optimierung ihrer landwirtschaftlichen Einkommen den Vorsprung aufzuholen.“

Je weiter der römische Imperialismus sich ausdehnte, um so mehr untergrub er also die Basis der traditionell herrschenden Klasse der Senatoren. Der Senat verlor die Kontrolle über den Staat, aber nicht zugunsten der Plebs – sein klassischer Gegenpart in den Frühzeiten der Republik. „Als die Kräfteverhältnisse sich zuungunsten des aristokratischen Leitungsgremiums verschoben, profitierten vielmehr herausragende Adlige, die riesige Ressourcen ansammelten , wie z. B. Marius, Sulla, Pompeius und Caesar…“

Die Herrschaft eines Imperators (also de facto eine Militärdiktatur) ist daher die effektivste Form der Klassenherrschaft der römischen Sklavenhaltergesellschaft und musste zwangsläufig irgendwann eintreten – eine Republik ist eher eine „Ausnahme“. Nach der Lektüre Flaigs, dessen Ansatz und zentrale Thesen ich hier gar nicht analysieren kann, habe ich den Eindruck, dass die Republik nur eine Art Nährboden war – von einer ursprünglich tribalistischen Bauernrepublik bis hin zur Militärdiktatur mit massenhafter Versklavung von Kriegsgefangenen und Schuldnern und deren Einsatz in der Produktion.

In der marxistischen Diskussion wurde vereinzelt auch die Frage gestellt, ob die antike Sklavenhaltergesellschaft zwangsläufig erforderlich sei als Vorstufe des Feudalismus, oder ob sich feudale Gesellschaften auch ohne diese „Vorstufe“ zum Kapitalismus entwickelten könnten? Daraus folgt die Frage, ob die Tatsache, dass der Kapitalismus sich zuerst in Mitteleuropa entwickelt habe, kein historischer „Vorsprung“ war und auch kein Vorteil in Richtung Sozialismus? Man sieht natürlich heute, dass die Annahme, der Sozialismus würde eben darum zuerst in Europa siegen, falsch war.

Mein Argument, nur als Arbeitshypothese: Die Sklavenhaltergesellschaft des römischen Reiches schuf die „besten“ Voraussetzungen für den Ruin der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und somit für deren Abhängigkeit vom Grundherrn – die Basis des entwickelten Feudalismus. (Man müsste das anhand der chinesischen Geschichte verifizieren oder falsifizieren – da kenne ich mich aber zu wenig aus.)

gladiatoren
Gladiatorendarstellung auf einem Mosaik in Leptis Magna, heutiges Libyen, etwa 80 bis 100 n. Chr.

Noch ein Detail – ich musste meine Meinung zu den Gladiatoren ändern. Flaigs These: Die Spiele und die Kämpfe der Gladiatoren hatten rituellen und einen politischen Charakter. Spiele waren ein Barometer, das die aktuelle Popularität der Senatoren anzeigte. Sie waren genauso wichtig wie die contiones und die Stimmversammlungen comitia. Die Gladiatoren galten als exemplum römischen Verhaltens – die sozialen Regeln wurden durch eine Art Referenzkultur eingeübt und durchgesetzt (der Vergleich mit dem britischen Common Law liegt nahe).

„Die Verfemten und Ausgestoßenen fungierten als lebendige mnemische Zeichen, Eben die Verfemten, deren Leben eigentlich verwirkt war, führen nun ein Verhalten vor, das von römischen Werten gesteuert wurde, von Disziplin, Technik, Gehorsam und Todesverachtung. Ausgestoßene und Kriminelle inszenierten römische Werte, choreografierten römische Tugenden. (…) Tierkämpfe (venationes) Hinrichtungen und Gladiatorenkämpfe wurden wahrscheinlich erst am Ende der Republik zu einem kanonischen Ensemble kombiniert, in welchem – nach Tageszeichen geschieden, die römische Ordnung sich darstellt. Morgens bei der Tierhatz als siegreicher Kampf der Kultur gegen die Natur, mittags bei den Hinrichtungen als schonungslose Ausmerzung der nicht integrierbaren Feinde, diese Ordnung nach nachmittags bei der Gladiatur als disziplinierender Rahmen, innerhalb dessen Verfemt und Geächtete eine Chance hatte, unter Einsatz ihres Lebens sich vor einer versammelten Öffentlichkeit zu bewähren.“

Die historische Realität war – wen wundert’s – anders als in ausnahmslos allen Gladiatorenfilmen: Die meisten Gladiatoren überlebten die Kämpfe, obwohl manche fast nie siegten. „Georges Ville hat geschätzt, dass im ersten Jahrhundert ein Gladiator pro Kampf im Durchschnitt eine 80-prozentige Chance hatte, zu überleben, allerdings verschlechterten sieh die Chancen im dritten Jahrhundert, wo sie durchschnittlich nur noch 50% betrug.“ Es gibt keinerlei Hinweise oder Quellen, dass das Publikum jemals unterschiedlicher Meinung gewesen ist, ob ein Besiegter begnadigt wurde oder nicht – das ist merkwürdig und muss erklärt werden: „…die römische Plebs verfügte über keine Organe und kein Forum, wo sie ihren politischen Willen in einem institutionalisierten Kommunikationsprozess hätte bilden können. Doch im Amphitheater konnte sie das tun.“ Es war also das Gegenteil der Comitien: „Dort legte der Magistrat eine rogatio vor, das Volk stimmte zu und führe mit der Zustimmung ein iussum populi, einen Volksbeschluss herbei; im Amphitheater richtete das Volk seine Bitte an den Spielgeber (…), das Volk stellt mit dieser Bitte einen Antrag, eine rogatio, an den Spielgeber; der stimmte normalerweise zu…“ Der Spielgeber musste bestätigen, dass er mit den Grundwerten der römischen Bürger übereinstimmte.

Das Ritual änderte sich natürlich im Lauf der Jahrhunderte. Caesar zum Beispiel befahl, dass besiegte Gladiatoren schlicht die Arena zu verlassen hatten, auch wenn das Volk deren Tod wollte – er sparte sie für weitere Kämpfe auf. Wie wichtig das Ritual des Gladiatorenkampfes war, beweist, dass Augustus ein Gesetz erließ, das Kämpfe verbot, die keine Begnadigung (missio) vorsahen. Die Senatoren kämpfen auch verbittert dagegen, dass Adlige als Gladiatoren auftraten. Kaiser Tiberius erließ sogar ein Gesetz, dass dafür die Todesstrafe vorsah, auch für die Verwandten des Adligen, der es übertreten hatte. Flaig spricht von einem „Kulturkampf“ in Rom gegen die Hellenisierung der Gladiatorenkämpfe. Nur Kaiser Nero sah das anders, er gestaltete „….gezielt den sozialen Rahmen de Rituals um. Er scheiterte letztlich an der stadtrömischen Bürgerschaft, welche sich den kulturellen Zumutungen des Kaisers erbittert widersetzte. Der Kampf um die politische Symbolik der römischen ludi endete mit einer totalen Niederlage der Hellenisierer.“

Die Gladiatorenkämpfe nahmen erst in der späten Kaiserzeit ab; die Bürger des Reiches hatten zunehmend Angst um ihre zivile und politische Sicherheit, „so wurde ihnen der öffentlich inszenierte tödliche Kampf inmitten einer befriedeten Gesellschaft immer unzumutbarer.“ Das Christentum gab den Gladiatoren und auch den Tierkämpfen den Rest.




Die heißblütige Seele Havannas

Cuatro estaciones en La Habana

Deutsche Filme bei Netflix schaue ich gar nicht mehr, ich wurde immer nur enttäuscht. Bei Criminal sind die englischen, spanischen und französischen Version gut und solide Krimi-Kost, die deutsche hingegen unausstehlicher Quatsch mit gestelzten Dialogen und lächerlichem Plot. Die Schauspieler können nichts dafür. Ähnlich ist es in The Team: einige Darsteller werden synchronisiert, andere sprechen deutschen, die Handlung ist vorhersehbar und hüpft im Minutentakt zwischen den Schauplätzen in halb Europa hin und her, als wollte man die fehlende Weltläufigkeit so kompensieren. Ich haben nur eine halbe Stunde ausgehalten, dann hatte ich es satt.

Noch schlimmer waren andere Fehlgriffe. Das Imperium der Wölfe hat einen geradezu hanebüchenen Plot, der zwischen Mystery, Fantasy und Thriller schwankt, so dass noch nicht einmal Jean Reno das wieder wettmachen kann. Auch sehen sich zwei wichtige Frauenfiguren (Araceli Jover und Laura Morante vom Typus her so ähnlich, dass man immer genau hingucken muss, wer da gerade agiert.

Ich muss auch verschämt zugeben, dass ich eine Stunde Der Nebel ausgehalten habe. Der Plot stammt immerhin von einer Novelle Stephen Kings.

Vermutlich wird man als aufgeklärter Europäer US-amerikanische Filme bald gar nicht mehr anschauen können, weil sie nach dem immergleichen Muster aufgebaut sind, ganz gleich, um welches Genre es sich handelt. Am – oft quälend langatmigem – Anfang steht die wahlweise intakte oder zerbröselnde Kleinfamilie aus der Mittelklasse, deren Zusammenhalt mit dem pädagogischen Holzhammer beschworen wird, und die sich in der Krise bewähren muss. Außerdem geht mir das triefende christliche Gedöns und der Sermon der Pfaffen, das nie fehlt, auf die Nerven.

Cuatro estaciones en La Habana

Ich empfehle die sehenswerte spanisch-kubanische Mini-Serie Four Seasons in Havana, auf die ich zufällig gestoßen bin. Havanna ist immer ein interessanter und origineller Schauplatz (außer in US-amerikanischen Filmen, die ohne antikommunistische Propaganda nicht auskommen). Man merkt, dass die Schauspieler spanisches Spanisch sprechen – ich konnte manche Dialoge ohne Untertitel verfolgen. Die Kubaner sprechen aber im Original meistens einen Slang vom Feinsten und so schnell, dass ich, als ich 1984 in Havanna war, nur selten was mitbekommen habe.

Witzig sind auch die uralten Telefone. Es gibt keine Smartphones, und die Computer laufen mit DOS (vermutlich ist das heute ein bisschen anders), Die Polizei tritt viel weniger martialisch auf als in den USA und Europa. Während bei der Brücke – Transit in den Tod jede Festnahme mit einem Sondereinsatzkommando vonstatten geht, rennen in Havanna sogar die Chefs ohne Schutzweste und höchstpersönlich hinter den Verdächtigen her. Das liegt natürlich daran, dass Kuba eines der sichersten Länder ist und das sicherste in ganz Lateinamerika, insbesondere für Reisende.

Bonus: Natürlich sehen fast alle Frauen umwerfend aus und laufen fast immer in kurzen Höschen oder Minirock herum. Die kurvige Dame auf dem unteren Screenshot ist aber eine Italienerin – Yessica Borroto.