De omnibus dubitandum

Karsten Krogmann war „Chefreporter“ der Nordwest-Zeitung und ist jetzt „Kommunikationschef“ beim Weißen Ring. (Schon komisch, welche Titel in der Medienblase vergeben werden.) In einem Interview mit dem „Branchendienst“ Kress (von dem ich aus mehreren Gründen nicht viel halte) sagt er einige kluge Dinge:
Und wie unabhängig ist eine Magazinredaktion, die Aktivisten eine Ausgabe gestalten lässt, wie das der „stern“ gerade zusammen mit Fridays for Future gemacht hat? Viele Journalisten lösen doch selbst nicht ein, was sie als Anspruch formulieren. Ich glaube, dass in der sich rasant verändernden Medienwelt ein Kriterium zunehmend wichtiger wird als Unabhängigkeit, nämlich Transparenz. Das bedeutet, Interessen und Abhängigkeiten sichtbar zu machen… (…)
Ich habe aber erlebt, wie in der Redaktion zunehmend alles auf den Prüfstand kommt: Es wird genau gemessen, welche Themen wie viele Abos generieren, welche Beiträge die größte Reichweite erzielen oder die stärksten Socal-Media-Reaktionen auslösen. In vielen Häusern rücken Vertrieb und Marketing immer näher an die Redaktionen heran. Ich habe die Zeitung zu einem Zeitpunkt verlassen, zu dem immer sichtbarer wurde, dass sich die ganze Branche in diese Richtung entwickelt und die wichtigsten redaktionellen Kriterien mittlerweile Verkaufbarkeit und Reichweite heißen.

Das ist nicht neu. Ich hätte aber vor gut 30 Jahren nie gedacht, dass ich erleben würde, dass der klassische Journalismus, wie ich ihn später auch lehrte, fast komplett abgeschafft wird bzw. sich selbst abschafft. Journalismus lebte immer von der Illusion, „objektiv“ zu sein und „wahrheitsgetreu“ zu berichten. Dem stehen der Klassenstandpunkt und die soziale Herkunft der Journaille entgegen, die sich gerade in Deutschland immer schon den Herrschenden angebiedert hat. Nicht zufällig ist das lächerliche „autorisierte Interview“ eine deutsche Erfindung.

Vom schreibenden Journalismus kann man nicht leben, wenn man unabhängig bleiben will wie ich, also keine „feste“ Stelle hat. Wer etwas anderes behauptet, hat entweder Lebensabschnittsgefährten, die notfalls mit durchfüttern und die Miete bezahlen, oder wurde schon mit einem Silberlöffel im Mund geboren. Oder lügt und hochstapelt. Oder ist Aufstocker.

Ich verdiene mit diesem Blog nichts. Amazon zahlt alle drei (!) Monate eine niedrige zweistellige Summe für Klicks auf Links zu manchen Büchern. Ich verdiene etwas durch die Seminare, die ich an verschiedenen Einrichtungen gebe, und bald auch hier solo und online, aber nicht soviel, dass ich davon meinen Lebensunterhalt komplett bestreiten könnte. Das macht mein Job in der Sicherheitsbranche. Pro Jahr kommt immer noch ein dreistelliger Betrag von der VG Wort. Ich werde nichts erben, meine Eltern hatten kein Häuschen. Solange ich arbeiten kann, werde ich das also tun müssen, es sei den, ich schriebe einen Bestseller.

Solange ich keine Gicht bekomme oder dement werde, werde ich also bloggen, und zwar genau so, wie das Publikum es gewohnt ist: Niemand redet mir rein, ich nehme keine Rücksichten, ich schone niemanden, und ich lege mich mit jedem an, der mir dumm kommt. Ich muss niemandem nach dem Mund reden. Descartes (Cartesius) schrieb: An allem ist zu zweifeln. Das ist gut und richtig so. Es gilt auch hier das Marxsche Motto aus dem „Kapital“:

Jedes Urtheil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegenüber den Vorurtheilen der s.g. öffentlichen Meinung, der ich nie Koncessionen gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des grossen Florentiners:
Segui il tuo corso, e lascia dir le genti!
[„Geh deinen Weg und lass die Leute reden“, abgewandeltes Zitat aus Dante, „Die göttliche Komödie“, „Das Fegefeuer“, 5. Gesang].

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Kommentare

8 Kommentare zu “De omnibus dubitandum”

  1. Wolf-Dieter Busch am Oktober 28th, 2020 11:05 am

    Ich hätte aber vor gut 30 Jahren nie gedacht, dass ich erleben würde, dass der klassische Journalismus, wie ich ihn später auch lehrte, fast komplett abgeschafft wird bzw. sich selbst abschafft.

    Ich erinnere mich deutlich an eine Titelseite in den Siebzigern, ein Tableau mit Fotos von Frauen, Titel Wir haben abgetrieben. Vor mehr als dreißig Jahren schon nicht mehr neutral, sondern Haltung.

    Politische Situation sah damals so aus: die echten ʼ68er waren bereits am absterben, stattdessen wurde die „Frauenpower“ entdeckt von den damaligen Jungspünden, heutigen Untoten im Mainstream.

    Ich gestehe, dass ich in den Siebzigern den „Stern“ mochte. Ist lange her.

  2. Jorg am Oktober 28th, 2020 1:40 pm

    Solange ich keine Gicht bekomme oder dement werde, werde ich also bloggen, und zwar genau so, wie das Publikum es gewohnt ist: Niemand redet mir rein, ich nehme keine Rücksichten, ich schone niemanden, und ich lege mich mit jedem an, der mir dumm kommt. Ich muss niemandem nach dem Mund reden. Descartes (Cartesius) schrieb: An allem ist zu zweifeln. Das ist gut und richtig so. Es gilt auch hier das Marxsche Motto aus dem “Kapital”:

    Und genau deshalb lese ich dich.

  3. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 28th, 2020 4:32 pm

    … nur eben nicht so rasen. Denk an die Schwachen, die dem Wind und dem Wetter ausgesetzt sind – draußen auf dem Trittbrett…

  4. Detlef Borchers am Oktober 28th, 2020 5:19 pm

    Vielleicht möchtest du die Aussage zum Journalismus einschränken bzw. überdenken: es gibt noch etliche Fach-Sparten, in denen es sich als freier Journalist gut leben lässt, ganz ohne Aufstocken und subventionierende Lebensabschnittspartner. Ich bin seit 1982 freier Journalist, habe Kinder großziehen und auch sonst auskömmlich leben können. Die Rente wird etwas mau ausfallen, aber dafür können wir ja weiterschreiben, bis sie unsere kalten starren Finger von der Tastatur pulen müssen.

  5. Juri Nello am Oktober 28th, 2020 8:02 pm

    Es ist halt nicht jeder für Foodporn oder Schminktipps geeignet.

  6. flurdab am Oktober 29th, 2020 11:10 am

    „Wesssen Brot ich ess, dessen Lied ich sing“.
    Früher hate man ja noch die Wahl zwischen unterschiedlichen Meinungen und konnte sich selbst so orientieren, das der eigene Verstand nicht übermässig in Aufruhr geriet.
    Seit Frau Merkel die Alternativlosigkeit als Brandmauer in den deutschen Denkhorizont eingezogen hat, wie vormals Thatcher in GB, ist das Denken einfach einfacher geworden. Es sei den man ist ein übler Widerporst.
    „Demokratie ist, wenn es nur eine Meinung gibt- CDU“.
    Aber im Grunde ist dies bereits jetzt Geschichte denn Sie haben es wieder gemacht.“Wenn man nur einem Hammer hat wird jedes Problem zu einem Nagel“.
    Das Putschregime aus Kanzlerin und Ministerpräsidenten haben beschlossen in Deutschland afghanische Lebenswelten einzuführen.
    Kein Tanz, keine Musik, kein Alkohol, Verschleierung geschlechtsübergreifend, Ausgangssperren und über 30% Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit, damit auch ein fröhliches T’schüss an den Sozialstaat und wohl auch die abendländisch- christlichen Wurzeln, denn Weihnachten wird bestimmt noch unter Quarantäne gestellt.

    Unter diesen Umständen braucht man sich um die Zukunft keine Sorgen machen, da sie nicht mehr planbar ist.

    Aber um doch noch auf deinen Artikel einzugehen:
    „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“ Karl Marx
    Das bedeutet also das mit Journalismus schlicht kein grüner Zweig zu erlangen ist.
    Bei der Propaganda verhält es sich nun ganz anders.

  7. Detlef Borchers am Oktober 29th, 2020 4:04 pm

    In einer Art Ergänzung zu meiner Antwort hat mich ne Mail meiner Gewerkschaft dju erreicht, die auf ein Forschungsprojekt zur Prekarisierung im Journalismus hinweist.

    Der Fragebogen für Journalisten ist hier

    https://survey.ifkw.lmu.de/Journalismus_und_Prekarisierung/

  8. flurdab am Oktober 29th, 2020 4:24 pm

    Mal etwas fürs Herz und den Journalisten.

    https://www.youtube.com/watch?v=Y29nPpEU-tU

    Hinreissend, einfach entzückend…

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