Im Sprachdschungel oder: 45 gewinnt gegen 43

blub
Im Sprachdschungel (Symboldbild)

Ich schrob auf Fratzenbuch:
Diese marginalisierten pseudointellellektuellen Sesselfurzer an deutschen Universitäten, die sich „links“ fühlen, weil sie Sternchen in unschuldige Wörter pressen, aber den tendenziellen Fall der Profitrate nicht von der asiatischen Produktionsweise unterscheiden können und den Warenfetisch für eine sexuelle Vorliebe halten, sind mir ein Gräuel.

Das ist ein schöner Kleistscher, aber verkasematuckelter Satz. Neun Wörter sind noch verständlich – according to science – , darüber hinaus wird es kompliziert. Mehr als die Hälfte aller Erwachsenen versteht keine gesprochenen Sätze mit mehr als 14 Wörtern. Ein Hilfsverb statt eines starken Verbes? Vade retro! Und dann am Schluss gut versteckt? Geht gar nicht. Da muss ich jetzt handwerklich noch etwas nachbessern.

Pseudointellektuelle Sesselfurzer sind mir ein Gräuel. [Sechs Wörter] Wer tut was? haben wir schon. Das marginalisiert ist hässlich und machte – kombiniert mit pseudointellektuell – den Beginn des Satzes zu lang. Was zusammengehört, darf nicht durch mehr als drei Sekunden Lesedauer getrennt werden. Für diese ekelhaften Wortungetüme spricht, dass a) das hiesige Publikum meine Schreibe gewohnt ist und b) vielleicht der ironische Unterton interessant wirkt, etwa wie eine Katachrese, also ein Stilmittel, mit dem Dröges aufgehübscht wird.

Vorschlag: Die Sesselfurzer werden näher erklärt, aber im Nachsatz. Diese marginalisierten Existenzen an deutschen Universitäten pappen Sternchen in unschuldige Wörter [elf Wörter, es könnte ein Komma oder Semikolon folgen] und fühlen sich dabei wahnsinnig „links“. [Der zweite Teil hat sechs Wörter, das und trennt zwei Einheiten und verbindet sie gleichzeitig. Das kann man verstehen.] Sie können aber den tendenziellen Fall der Profitrate nicht von der asiatischen Produktionsweise unterscheiden. Den Warenfetisch halten sie für eine sexuelle Praxis.

Version eins – ein Satz mit 43 Wörtern:
Diese marginalisierten pseudointellellektuellen Sesselfurzer an deutschen Universitäten, die sich „links“ fühlen, weil sie Sternchen in unschuldige Wörter pressen, aber den tendenziellen Fall der Profitrate nicht von der asiatischen Produktionsweise unterscheiden können und den Warenfetisch für eine sexuelle Vorliebe halten, sind mir ein Gräuel.

Version zwei – vier Sätze mit insgesamt 45 Wörtern:
Pseudointellektuelle Sesselfurzer sind mir ein Gräuel. Diese marginalisierten Existenzen an deutschen Universitäten pappen Sternchen in unschuldige Wörter und fühlen sich dabei wahnsinnig „links“. Sie können aber den tendenziellen Fall der Profitrate nicht von der asiatischen Produktionsweise unterscheiden. Den Warenfetisch halten sie für eine sexuelle Praxis.

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Kommentare

14 Kommentare zu “Im Sprachdschungel oder: 45 gewinnt gegen 43”

  1. ... der Trittbrettschreiber am September 20th, 2020 1:51 pm

    Also ein Dildo oder zweckentfremdeter Elektroschneebesen haben doppelt etwas mit dem Warenfetisch zu tun:
    1. die unter der dinglichen Hülle von Amazon verpackten Phantasmagorien der gesellschaftlichen Wertzuweisung,
    2. die immer wiederkehrenden und gleichzeitig multiplen bildungsbürgerlichen (auch queren) Orgasmen beim Besteigen der genannten Arbeitsprodukte.

    Nur in Begleitung von Zischlauten verschwindet der Warencharakter vorübergehend in einem weiteren, Darmzotten gesteuerten noch mehr Mehrwert schaffenden Arbeitsprozess. Erst nach der Zuführung eines gänzlich neuen Produkts in die Warenwelt der Glyphosat feindlichen alternativen Landwirtschaft erkennt auch der Silo erfahrene Bauer, um was für ein geiles Zeug es sich bei der braunen Düngemasse handelt (also nach dem Entzug von Restflüssigkeit und evtl. Spuren von Hopfen).

  2. Fritz am September 20th, 2020 6:06 pm

    Die Sache mit dem tendenziellen Fall der Profitrate habe ich nie verstanden.

    Kannst du etwas dazu empfehlen?

  3. admin am September 20th, 2020 7:48 pm

    @Fritz: Kompliziert und innerhalb der marxistischen Diskussion auch umstritten. Der Wikipedia-Eintrag hilft weiter: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_des_tendenziellen_Falls_der_Profitrate
    „eine Tendenz zur Verringerung der Profitrate im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt“ – nicht mehr und nicht weniger, also eine Aussage zu einer Tendenz.
    Ich meine übrigens, dass das https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_des_tendenziellen_Falls_der_Profitrate#Kritik_des_Gesetzes den Marxschen Überlegungen NICHT widerspricht.
    Sweezy hat Recht: Das Gesetz ist zwar richtig, aber sagt nicht viel oder gar nichts darüber aus, ob und wann der Kapitalismus sich selbst kaputt macht. So „zentral“, wie bei Wikipedia behauptet wird, ist das Gesetz nicht.

  4. Stephan Fleischhauer am September 20th, 2020 9:33 pm

    Warum die alte Hauptsatzform?

    Das hier ist perfekter Twitter-Style – mit der Aussage im Nebensatz – genau so waren die ersten Tweets gebaut:

    Pseudointellellektuelle Sesselfurzer an deutschen Universitäten, die sich “links” fühlen

    Hat was wunderbar Anprangerndes. So metoo-mäßig: Der besorgte Arzt, der mir nach meinem Selbstmordversuch an den Hintern fasste

  5. Fritz am September 21st, 2020 10:15 am

    Besten Dank.

  6. Wolf-Dieter Busch am September 21st, 2020 10:59 am

    Version Zwo – vier Sätze, 45 Wörter – ist die bessere. Von der Auswahl. Aber der zweite Satz ist mir zu lang:

    Diese marginalisierten Existenzen an deutschen Universitäten pappen Sternchen in unschuldige Wörter und fühlen sich dabei wahnsinnig „links“.

    Ich hätte zwei Sätze draus gemacht:

    Diese marginalisierten Existenzen knüppeln Sternchen in unschuldige Wörter. (Punkt!) Sie fühlen sich wahnsinnig „links“ dabei. (Punkt! Rest i. O.)

  7. admin am September 21st, 2020 11:50 am

    @Busch: Guter Einwand. Die zweite Satzhälfte ist aber sinngemäß eher ein Konsekutivsatz: das Sich-Links-Fühlen folgt aus dem Sternchen-in-Wörter-Pappen. Schlechter wäre auf jeden Fall die Version: „Sie fühlen sich „links“, weil sie Sternchen in Wörter pappen.“ Das hätte weniger Spannung. Da also beide Satzhälften zusammengehören, neige ich doch eher zu meiner Version, obwohl sich deine Version rhythmisch besser anhört.

  8. Wolf-Dieter Busch am September 21st, 2020 1:24 pm

    Verstanden. Ich mag freigestellte Konsekutivsätze, sie kommen meinem persönlichen Geschmack entgegen.

  9. flurdab am September 21st, 2020 2:31 pm

    Warum sind diese Existenzen marginalisiert?
    Haben Sie kein Publikum, keinen Einfluss?
    Zum „pressen“ reichts ja, zu unserem Verdruss.
    Der sexuelle Fetisch ist nicht zwingend mit einer Praktik verbunden, der geht je nach Art auch ganz ohne Anfassen.
    Ob Goethe auch so mit seiner Sprache gekämpft hat?
    Und tut dies Not?
    Oder ist dies nur ein Fetisch, den zu pflegen dehnen obliegt, die der Versuchung Eindruck zu schinden nicht entsagen können.

    Die Kunst der eleganten Beleidigung, eine Kulturtechnik die immer mehr schwindet, leider.

  10. Wolf-Dieter Busch am September 21st, 2020 3:43 pm

    @flurdab – Warum marginalisiert? Weil Randexistenzen. Auskömmlich bezahlt zwar aber, zu nichts anderem befähigt als zum Bestehen von Prüfungen, die sie selbst entworfen haben. Im regulären Leben Regaleinräumer bei Aldi.

  11. flurdab am September 22nd, 2020 8:42 am

    @ Wolf- Dieter Busch
    OK, ich verstehe was ihr damit meint. Maginalisiert ist in diesem Zusammenhang also eine Herabsetzung, der Versuch einer Beleidigung.
    Der Postkartenmaler aus Österreich war ja auch eine maginalisierte Randexistenz, das hat ihn nicht gehindert.
    Und wenn diese Personen bereits maginalisiert sind, also unbedeutend, warum schreibt man dann über Sie?
    Ich habe schon den Eindruck das diese Personen Einfluss,Reichweite und Sendungsbewusstsein haben.
    Aber mein Eindruck ist natürlich sehr subjektiv.
    Vielleicht verhake ich mich auch gerade..

  12. admin am September 22nd, 2020 10:38 am

    Sie haben nur Reichweite bei anderen marginalisierten Existenzen derselben Blase. :-)

  13. Wolf-Dieter Busch am September 22nd, 2020 12:21 pm

    @flurdab – warum über die Gestalten schreiben? Missgunst und Bosheit. (Neid aber nicht. Bei denen wollt ich nicht tot überm Zaun hängen.)

  14. flurdab am September 22nd, 2020 2:21 pm

    @ Wolf- Dieter Busch
    Missgunst und Bosheit, sag das doch gleich.;-)

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