Lord of the underworld, revisited

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Die Bilder wurden 1984 in Llallagua in Bolivien gemacht. Das obige Foto zeigt den Eingang der Zinnmine Catavi-Siglo XX, die meine damalige Freundin und ich besichtigt hatten. Catavi war das größte Bergwerk Lateinamerikas. Die Mine war für Touristen geschlossen, wir hatten uns aber eine Sondergenehmigung der Comibol in La Paz geholt. Das war zu der Zeit weder einfach noch angenehm: Wir, die wir eindeutig als gringos zu erkennen waren, mussten uns den Weg durch eine aufgebrachte Menge von Bergleuten zum Gebäude der Comibol (Corporación Minera de Bolivia) bahnen, die gerade – während des Generalstreiks – die Straße blockierten.

Der Grund, warum man uns nach stundenlangen Verhandlungen den Besuch erlaubte, war vermutlich: Ich kannte schon die Mine in Oruro und stamme aus einer Bergarbeiterfamilie – schon mein Ururgroßvater Wilhem Stöver war Bergmann – und konnte das glaubhaft machen.

Das Städtchen Llallagua ist das „Herz“ der bolivianischen Linken. Die mineros dort waren immer am besten organisiert, linksradikal und revolutionär – inklusive militanter Politsekten – der 1965 „verschwundene“ und ermordete Arbeiterführer Isaac Camacho war zum Beispiel Trotzkist.

Die Zinnbergwerke bei Llallagua gehörten zu den größten und reichsten Erzlagerstätten der Welt, hier gründete der Zinnbaron Simón I. Patiño sein Weltimperium, hier befand sich das größte Bergwerk Lateinamerikas. Nach dem Zusammenbruch des Zinnmarktes in den 1980er Jahren wurden die bolivianischen Bergwerke reprivatisiert und viele nach und nach geschlossen, auch Siglo XX. Heute leben in Siglo XX noch viele Mineros, die auf eigene Faust oder in kleinen Kooperativen in den alten Bergwerksstollen unter miserablen Sicherheitsbedingungen arbeiten oder den Schutt der riesigen Abraumhalden nach Zinnresten durchsuchen.

Aus meinem Reisetagebuch, April 1984:
Als wir in Llallagua ankommen, schüttet es in Strömen und es ist richtig saukalt [Lllallagua liegt 3895 Meter hoch in den Anden.] Dafür ist das alojamiento sehr billig – ist aber auch danach [das kleine Foto unten rechts zeigt den Ausblick von unserem Zimmer]. Ich bin das Scheißen in der Hocke mittlerweile so gewohnt, dass mir saubere Fußtritte und ein einigermaßen großen Loch im Boden fast luxuriös erscheinen.

Llallagua ist mit seinen engen und auf und ab führenden Gassen auch architektonisch ungewöhnlich. Mitten durch den Ort führt eine gewundene Fußgängerzone inklusive eines Marktes bis zu der Plaza del Minero“ Siglo XX“ und dem sozialistisch realen Denkmal eines Arbeiters mit Gewehr und Presslufthammer und einer Tafel, die an die proletarische Revolution erinnert. Das riesige Kino der Gewerkschaft mit Bänken statt Stühlen zeigt Masada – das ziehen wir uns natürlich rein.

Die Atmosphäre ist so, wie ich mir den 20-er Jahre im Ruhrgebiet vorstelle – proletarische Kultur pur. Man tut viel für die Bildung der Arbeiter, und die Straßen der „Vorstadt“ erinnern mich an Altenbögge [ehemaliges Bergarbeiterstädtchen im Ruhrgebiet und Heimat meines Großvaters mütterlicherseits].

Wir sehen an dem Flüsschen [Rio Athata] viele Leute auf eigene Rechnung schuften [unterstes Foto], die nach metallischen Resten suchen. Abends bleibt uns nichts anderes übrig, als die kleine Hauptstraße rauf- und runterzulaufen und abwechselnd Api und dulce zu trinken bzw. zu essen, dazu papas rellenas. Es gibt zum Beispiel eine Spritzmaschine, die einen fertigen Teig in eine Schüssel spritzt, der sich dann zu einer dünnen Wurst formt, die dann zerschnitten und mit Puderzucker bestreut wird. Es laufen jede Menge Männer und Frauen in bunten Ponchos herum, die Männer oft mit bestickten Westen und viele mit Charangos.

Am nächsten Tag zur Mine – erst zur superintendencia, die schickt uns per Schrottbus nach Catavi, dort fragt man lange nach der gerencia, die – welch ein bürokratischer Glücksfall – Montags und Donnerstag geöffnet ist. Dort neue Schreiberei. Wieder zurück zur superintendencia. Dort sagt man uns: Morgen früh um 6.30 Uhr.

Wir schaffen das, weil die Sirene der Mine morgens um fünf laut trötet. Es ist noch ein gutes Dutzend anderer Besucher da – einige Schüler und Studenten, die sich für ein Gruppenfoto positionieren. Ich kriege sogar passende Gummistiefel, dazu Schutzkleidung und Grubenhelm. Wir düsen hinein, zusammengequetscht mit den mineros, und latschen stundenlang durch eisige Stollen mit Pfützen. Zuerst kriegen wir untertage die Kirche, dann den tio mit Riesenpimmel zu Gesicht (leider tut es das Blitzlicht der Kamera nicht). Nur die älteren Bergleute opfern dem tio angeblich noch, sagt man.

Die Abbaumethode ist wie in Oruro: Von unten nach oben wird penetiert, dann gesprengt, und das Zeug poltert durch die vorbereiteten Kanäle nach unten. Es arbeiten immer zwei zusammen. (…)

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Kommentare

One Kommentar zu “Lord of the underworld, revisited”

  1. André Dreilich am September 4th, 2020 1:18 pm

    Die Bergwerksbesichtigung erinnert mich an das hierzulande bis vor wenigen Jahren geltende „Frauenverbot“ unter Tage. Das diente zwar eigentlich dem Arbeits-/Gesundheitsschutz, trieb aber kuriose Blüten. Während meines Studiums hatte ich mehrfach in Bergwerken zu tun. In meiner Seminargruppe gab es auch weibliche Wesen, die zwar in ein Besucherbergwerk zB in Freiberg einfahren durften, nicht aber in ein „aktives“. Was es alles gibt … bzw gab.

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