The Affair, de Twaalf

the affair

Ich empfehle zwei Serien bzw. Miniserien, The Affair (mittlerweile fünf Staffeln, auf Amazon Prime) und De Twaalf (die 12 Geschworenen, Belgien auf Netflix).

The Affair

Ein Kompliment für „The Affair“ ist, dass ich schon bis zur dritten Staffel gekommen bin, obwohl ich mir so etwas normalerweise überhaupt nicht anschaue. Das Thema riecht nach so etwas Ekligem wie „Beziehungsgesprächen“, kindischem Verhalten, spießigen bürgerlichen Normen wie „Treue“ und anderen Dinge, über die ich nicht mehr diskutiere, außer mit wenigen klugen Leuten aus meiner Peer Group. Noch ein Kompliment: Ich kann keinen der Schauspieler leiden, die in „The Affair“ mitspielen, mehr noch: Ich kann sie nicht ausstehen (außer der bildschönen Julia Goldani Telles, die mich als Vater in ihrer Rolle als schwer spätpubertierende Tochter an den Rande des Wahnsinns treiben würde). Ruth Wilson als Heldin Alison Lockhart (nomen est omen) spielt überragend und subtil, aber dieser Art Frau gehe ich realiter lieber aus dem Weg. Und trotzdem gucke und gucke ich weiter und glotz TV.

Die Zeit titelt ganz nett und treffend: „An der Liebe will keiner schuld sein“. Wenn Liebe samt der dazugehörigen Biochemie einfach vom „Himmel fällt“, wie in „The Affairs“, dann kann sie anarchisch alle festgefügten Kleinfamilienidylle sprengen, auch wenn das niemand gewollt hat.

Natürlich fällt die Biochemie nicht vom Himmel, aber die Sache ist eben ziemlich kompliziert und nicht vorhersehbar, selbst von Psychiatern und Psychologen nicht. Die Charaktere in „The Affairs“ werden immer wieder mit ihrem inneren Schranken, ihrer gut gemeinten Heuchelei, ihren dunklen Geheimnissen konfrontiert und handeln manchmal nach dem umgekehrten Faustschen Lehrsatz: Der Geist, der das Gute will, aber das Böse schafft.

Ziemlich genial ist auch der Wechsel der Perspektiven. Dieselbe (!) Geschichte wird mehrfach erzählt, wie die Protagonisten sie (meinen) erlebt (zu) haben, und man muss sich schon sehr anstrengen, um zu merken, dass die wirklich dieselbe Story ist. Das könnte langweilig sein, ist aber es aber nicht. (Der Film erinnerte mich an ein Buch, das ich 1989 geschrieben habe, für das ich getrennte Ehepaare bat, jeweils ihre Version zu schildern – ich kam aus dem Staunen nicht heraus.)

(Zeit online irrt: Auf Amazon kann man den Film auch im Original mit deutschen Untertiteln ansehen – nur Kulturbanausen bestehen auf Synchronisierung.)

Unterhaltsam und wesentlich besser als derartige Filme im Normalfall.

De twaalf

Die 12 Geschworenen

Ich wusste gar nicht, dass die Belgier gute Filme machen. Das hier ist einer. (Zugegeben: Hier habe ich die sychronisierte Fassung geschaut, da ich Flämisch gar nicht verstehe.) Auch hier musste ich mich zunächst beherrschen, weil mich weinerliche, depressive, unterwürfige Frauen – aggressiv machen. Aus einer Rezension:
Immer wieder wird die Suche nach der Wahrheit daher durch Nebenhandlungen unterbrochen, denn die meisten haben privat mit irgendwas zu kämpfen. Mal sind es Probleme mit der Tochter, dann steckt jemand in finanziellen Schwierigkeiten, ein anderer ist einsam und sucht Anschluss in der Gruppe, wird jedoch zunächst ignoriert. Das trägt dazu bei, dass „Die zwölf Geschworenen“ deutlich mehr menschelt, als man es vorab erwarten durfte. Die belgische Produktion, die Ende 2019 bei unseren Nachbarn bereits im Fernsehen lief, ist an vielen Stellen mehr Drama als Krimi, beschäftigt sich stark mit den Beziehungen der Figuren und diversen menschlichen Abgründen. An verabscheuungswürdigen Charakteren mangelt es dabei nicht, vor allem lügen viele wie gedruckt.

Und nichts ist, wie es scheint. Die Miniserie ist mit Abstand tiefgründiger als die üblichen Gerichtsserien aus Hollywood. Bei uns gibt es Geschworenengerichte nicht mehr, in Belgien sollen sie auch abgeschafft werden. Wenn man im Film erlebt, warum manche der „Laien“ wie entscheiden, wird einem Angst und Bange, stünde man selbst vor einem solchen Gericht. „Die zwölf Geschworenen macht sie zu einem der Geschworenen, schreibt Dhruv Sharma bei TheCinemaholic, die Serie schafft es die Zuschauer genauso nichtsahnend zu lassen wie die Geschworenen und lässt Spielraum Entscheidungen zu treffen, die man dann wieder revidieren muss.“ Große Kunst!

Meine „Lieblinge“ sind Josse de Pauw, der Rechtsbeistand der Verdächtigen, der mit seinem Rauschebart wie Karl Marx aussieht und agiert wie ein Anwalt der RAF vor Gericht – er nimmt die Zeugen allesamt nach allen Regeln der Kunst auseinander – sehr unterhaltsam. Aber was macht man, wenn alle lügen? Und natürlich Charlotte De Bruyne als Holly Ceusters, die junge „Vorsitzende“ der Geschworenen, die mit den Männern macht, was wie will, und auch sonst ziemlich kess und nicht auf’s Maul gefallen ist. Aber natürlich lauert auch in ihr ein schreckliches Geheimnis.

Absolut sehenswert! Wer beides nicht mag: Ich habe gerade L’Immortel mit Jean Reno angesehene. Gute Krimi-Kost, und Reno ist wie immer mit seiner physischen Präsenz herausragend. (Bei der Arie Arie Il Dolce Suono bevorzuge ich aber die Callas oder gleich Inva_Mula.)