Varus, gib mir meine Logistik wieder!
Streitkräfte und Strategien. Roms militärische Reaktion auf die clades Variana von Stefan Burmeister/Roland Kaestner in: Stefan Burmeister/Salvatore Ortisi (Hrsg.), Phantom Germanicus. Spurensuche zwischen historischer Überlieferung und archäologischem Befund. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens 53 (Rahden/Westf. 2018) 95–136, 2018
Der Artikel ist richtig spannend, zeigt er doch die antike Großmacht nicht aus der Perspektive „Große Männer machen die Geschichte“, sondern verrät eine Menge darüber, welche materiellen Voraussetzungen der militärischen Macht Roms zugrunde lagen. Es geht natürlich um Logistik, Straßen, Transport, Vorräte.
Diese Satz packte mich: „Im Sommer [12 v. Chr., Cassius Dio (54, 32] erfolgte ein Großangriff auf die Cherusker. Die Römer kamen mit acht Legionen über die Nordsee.“ Moment? Über die Nordsee? Mit acht Legionen? Das sind sind mehr als 40.000 Mann, den Tross nicht mitgerechnet. Wie haben die das logistisch gemacht? Und sie mussten auch noch durch das Delta des Rheins, am späteren Lugdunum Cananefatium vorbei. (Das Forum Hadriani wurde erst ein halbes Jahrhundert nach dem Feldzug des Germanicus gegründet.)
Für den Transport war die Classis Germanica zuständig. [Film dazu] Drusus führte zu diesem Zweck die Rheinflotte im Zusammenhang mit den Drusus-Feldzügen (12 bis 8 v. Chr.) durch einen – oder mehrere – neu gegrabene Kanäle von der Zuidersee in die Nordsee (fossa Drusiana). Da Friesen und Chauken nur über primitive Einbäume verfügten, konnte er mit seinen weit überlegenen Kräften ungehindert in die Mündung der Weser (Visurgis) einlaufen und danach beide Stämme rasch unterwerfen. Der Vorstoß des Tiberius an die Elbe (Albis) im Jahre 5 n. Chr. wurde mittels einer kombinierten See- und Landoperation bewerkstelligt.
Der Witz ist, dass die Römer über keine räumlich korrekten Karten verfügten. Warum nicht? Die wenigen überlieferten Karten die wie Tabula Peutingeriana, die nur eine Kopie ist, oder das Itinerarium_Antonini sind viel jünger, aber das Weltreich war schon um die Jahrtausendwende bis fast an die Grenzen der bekannten Welt vorgedrungen. Man konnte natürlich die Entfernung und die Dauer der Wegstrecke, die man zurücklegen musste, messen und weitergeben. Aber wie war das in unbekanntem Gebiet? Woher wussten die Römer von der Weser oder gar von der Elbe? Velleius Paterculus schreibt:
Unsere Heere durchzogen ganz Germanien, Völker wurden besiegt, die kaum vom Namen her bekannt sind, und die Chauken wurden in die Obhut des römischen Volkes aufgenommen. Geschlagen wurden auch die Langobarden, ein Volk, dass sogar die Germanen an wildem Kriegsmut noch übertrifft. (…) Ein römisches Heer wurde mit seinen Feldzeichen 400 Meilen vom Rhein bis zum Fluss Elbe geführt, der durch das Gebiet der Semnonen und Hermonduren fließt. Und dem bewundernswerten Glück wie der Vorsorge des Feldherrn sowie seiner genauen Beobachtung der Jahreszeiten war es zu danken, dass sich ebendort die Flotte wieder mit Tiberius Caesar und seinem Heer vereinigte. Sie war die Meeresbuchten entlang gesegelt, war aus diesem zuvor völlig unbekannten Meer in den Elbefluss hinein und stromaufwärts gefahren und brachte außer Siegen über zahlreiche Volksstämme auch eine reiche Fülle von Lebensmitteln aller Art mit sich. [Original]
Das Ausgangsproblem: Nach gegenwärtigem Kenntnisstand waren die Legionen nicht in der Lage, sich aus dem Operationsgebiet heraus zu versorgen. Die germanische Subsistenzwirtschaft erzielte nicht die Erträge, die für die Versorgung der römischen Einheiten erforderlich gewesen wären.
Die acht Legionen im Einsatz brauchte für die Soldaten und die Tiere ca. 150 Tonnen Getreide am Tag, ohne das Grünfutter für die Pferde und Maulesel. Die Hilfstruppen sind hier noch nicht mitgerechnet. Planmäßig führten die Legionen 17 Tagesrationen mit; für Nachschub hätte demnach erst ab dem 18. Tag gesorgt werden müssen. Das heißt: Die Legionen konnten für rund zwei Wochen gut 150 Kilometer operieren; wenn sie unterwegs Nachschub bekamen, war ihr Radius gut 200 Kilometer. Das ist aber nicht so viel – ungefähr die Entfernung von Köln zum Teutoburger Wald.
Wir wissen schon, was jetzt kommt: Die römischen Pioniere bauten Straßen und Brücken. Das konnten die Germanen nicht. Eine Legion, die mit sechs in einer Reihe marschierte, war fast drei Kilometer lang – und dann kam noch der Tross. Die drei Legionen des Varus, die nicht auf römischen Straßen marschierten, sondern vermutlich über Trampelpfade, müssen also einen Heereszug von mehr als zwanzig Kilometer ergeben haben. Man brauchte sogar als Reiter eine ganze Weile vom Ende an die Spitze und umgekehrt – und das auch noch im Wald!
Der Autor des zitierten Artikels zweifelt daran, dass ohne ein komplexes Raumverständnis die militärischen Operationen der Römer in Germanien möglich gewesen seien. Es fällt schwer, das geographische Raumverständnis der Römer und damit deren Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Planung von komplexen militärischen Operationen zu rekonstruieren. Neben punktuellen oder sehr generalisierten Landesbeschreibungen liegen uns heute vereinzelt Itinerare, Periploi und Karten vor, die alle auf einer linearen Wegeerfassung beruhen. Letztlich handelt es sich hierbei um Wegbeschreibungen als lineare Abfolge von Ortsangaben ohne Lagebezug; ein Raumverständnis lässt sich hieraus kaum gewinnen.
Wir wissen es also nicht wirklich.
Kommentare
16 Kommentare zu “Varus, gib mir meine Logistik wieder!”
Schreibe einen Kommentar
Den Beruf des Whistleblowers gibt es nicht erst seit heute. Sicher hat man den einen Germanen oder anderen Langobarden mit Geschmeide oder bösen Blicken, vielleicht auch mit dem Versprechen auf ein glückseliges Leben auf einem toscanischen Hügelanwesen topographische Geheimnisse entlocken können. Das Gute daran war ja, dass es noch kein GPS gab. Sonst wären sie sogar in Begleitung durch Einheimische blind durch die Sümpfe Westfalens gewatschelt. Salve.
Mit Whistleblowing hat simpler Verrat, simple Informationsweitergabe aber nichts zu tun.
Arminius war ja germanischer Herkunft. Und als Cheruskischer Häuptlingssohn war er eine römische „Geisel“. Nach seiner Ausbildung zu einem Offizier der Römischen Armee, wurde er als Führer für selbige in Germanien eingesetzt (mal ganz grob erklärt).
Arminius wird sicher nicht der einzige gewesen sein, dessen Kenntnisse der Geografie Germaniens sich die Römer zunutze machten.
Nachgewiesen ist jedenfalls, dass die Römer bis in die Emder und den Vorharz (Harzhorn) vorstießen.
Aber Arminius hatte auch keine Karten. Ich gehe davon aus, dass auch die Germanen „Germanien“ nicht kannten, zumal die ständig im Krieg gegeneinander waren.
Vielleicht haben sich die Aliens die Ägyptien aufgebaut haben, einen neuen Verein gesucht?!
Nur waren die Römer so clever diesbezüglich keine Spuren zu hierlassen!
https://telemeter.wndsn.com/?d=3._the_quadrant_side/3.4._history.txt
Aber Arminius und viele andere in Germanien geborene „Führer“ hatten vermutlich eine sehr gute Kenntnis der Lage markanter Punkte zueinander wir z. B. Höhenzüge (und deren günstigste Passage), Seen, Flußläufe…
Die Ems liegt nur 50km Luftlinie vom nächsten Kastell (Haltern) entfernt… und die Römer waren sehr gut darin, Flüße zum Transport (und sehr wahrscheinlich auch zur Orientierung) zu nutzen.
Wie jedes westfälische Kind weiß, trafen sich die Germanen allen Kriegen zum Trotz nach den Regeln des Scrums regelmäßig an den Externsteinen zum lippischen Pickertessen und palaverten. Auf dem Nachhauseweg (konnte schonmal nachts und voll des Mets sein) orientierte man sich ausschließlich am Hermannsdenkmal. Deshalb wurde der Kompass auch viel später erst im Teutoburger Wald etabliert und zwar nachdem wirklich wirksame Brauereierzeugnisse konsumiert wurden (Strate z.B.).
https://www.youtube.com/watch?v=OW21_K5sBWA
@Roland B.
https://de.wikipedia.org/wiki/Whistleblower
Ich denke, wenn hier von Allgemeinheit die Rede ist, sind nicht die Hundert Germanendörfer gemeint sondern die Legionen Cäsars. Die Suizidrate unter den Wildschweinen und 16-Endern vor lauter Schock bei deren Anblick möchte ich garnicht wissen.
Die viel wichtigere Frage:
Wo und wann hatte B. auf diesen ganzen Reisen Durchfall?
Wenn man überlegt mit welcher Präzision die Römer ihre Aquädukte in die Landschaft geprotzt haben, kann man sich eine Kartenlosigkeit eigentlich nicht vorstellen.
Vielleicht hatten die Menschen zu dieser Zeit noch anders ausgeprägte Sinne, die bei uns durch die Nutzung von Stadtplänen und GPS verkümmert sind.
Aber vielleicht sind die „Römer“ auch nur ein großer Hoax eines Geisteswissenschaftlers, der sich zu größerem Berufen fühlte.
Kennt man ja, Gender und so.
Wohl eine brauchbare Zusammenfassung des Anlasses sungen wir doch als Jugendliche:
Als die Römer frech geworden,
zogen sie nach Deutschlands Norden.
Vorne mit Trompetenschall,
ritt Herr Generalfeldmarschall,
Herr Quintilius Varus.
In dem Teutoburger Walde,
Huh! Wie piff der Wind so kalte,
Raben flogen durch die Luft,
Und es war ein Moderduft,
Wie von Blut und Leichen
Plötzlich aus des Waldes Duster
Brachen kampfhaft die Cherusker,
Mit Gott für Fürst und Vaterland
Stürzten sie sich wutentbrannt
Auf die Legionen.
Weh, das ward ein grosses Morden,
Sie schlugen die Kohorten,
Nur die röm’sche Reiterei
Rettete sich noch ins Frei‘,
Denn sie war zu Pferde.
O Quintili, armer Feldherr,
Dachtest du, dass so die Welt wär‘?
Er geriet in einen Sumpf,
Verlor zwei Stiefel und einen Strumpf
Und blieb elend stecken.
Da sprach er voll Ärgernussen
Zum Centurio Titiussen:
„Kam’rad, zeuch dein Schwert hervor
Und von hinten mich durchbohr,
Da doch alles futsch ist.“
In dem armen röm’schen Heere
diente auch als Volontäre
Scaevola, ein Rechtskandidat,
Den man schnöd gefangen hat,
Wie die andern alle
Diesem ist es schlimm ergangen,
Eh dass man ihn aufgehangen,
Stach man ihm durch Zung und Herz,
Nagelte ihn hinterwärts
Auf sein corpus iuris.
Als das Morden war zu Ende,
rieb Fürst Hermann sich die Hände,
und um seinen Sieg zu weih’n,
lud er die Cherusker ein
zu ’nem großen Frühstück.
Wild gab’s und westfäl’schen Schinken
Bier, soviel sie wollten trinken
Auch im Zechen blieb er Held
Doch auch seine Frau Thusneld
soff walküremässig
Nur in Rom war man nicht heiter,
Sondern kaufte Trauerkleider;
G’rade als beim Mittagsmahl
Augustus sass im Kaisersaal,
kam die Trauerbotschaft.
Erst blieb ihm vor jähem Schrecken
ein Stück Pfau im Halse stecken,
Dann geriet er ausser sich
und schrie: „Vare, schäme dich
Redde legiones!“
Sein deutscher Sklave, Schmidt geheissen
Dacht‘: Euch soll das Mäusle beissen
Wenn er sie je wieder kriegt
denn wer einmal tot daliegt
wird nicht mehr lebendig
Wem ist dieses Lied gelungen?
Ein Studente hat’s gesungen
in Westfalen trank er viel
drum aus Nationalgefühl
hat er’s angefertigt
Und zu Ehren der Geschichten
tat ein Denkmal man errichten,
Deutschlands Kraft und Einigkeit
kündet es jetzt weit und breit:
„Mögen sie nur kommen!“
Endlich nach so vielen Mühen
ist von Bandels Werk gediehen
Hermann ist jetzt aufgestellt
zusammen kommt die ganz Welt
in dem lippschen Reiche.
Die Frage klärt detailreich https://www.klaus-grewe.de/publikationen.htm insbesondere in „Meisterwerke antiker Technik“. Interessant sind auch die verwendeten Messinstrumente. https://en.m.wikipedia.org/wiki/Groma_(surveying)
@flurdab: Naja, dass die Römer zwischen 50 v.C. und 300 n.C. immer mal wieder auch in Größeren Truppenverbänden durch das heutige Norddeutschland marodierten ist ja durch Funde von Schlachten und Marschlagern hinlänglich belegt aber…
… ob die Germanicus-Feldzüge, und darum geht es je wohl in dem Buch, so stattgefunden haben, ist schon fraglich. Denn einerseits gibt es bisher keinerlei Fund von Schlachten, die Tacitus beschrieben hat (Schlacht bei Idistaviso, Schlacht an den Pontes longi) und zweitens wurde der Mann (Germanicus) als heißer Kandidat des Tiberius gehandelt. Da macht es sich sicher gut, wenn in den Geschichtsbücher steht, er habe die Germanen aufgemischt. Wer hätte da damals das Gegenteil behaupten wollen ;)
@flurdab
Diese Frage finde ich auch sehr spannend – vor allem vor dem Hintergrund, dass die just gerade Lebenden von Natur aus immer mit einem süffisanten Staunen auf die Altvorderen blicken, was fast an Mitleid grenzt. Sowas kannten die schon?(im Germanendorf Oerlinghausen präsentierte uns die Führung ein Kondom aus Katzendarm im Schlafgemach germanischer Eheleute, der nach vorherigem Aufweichen in der nächsten Nacht im knarrenden Eschenkurzbett zur VerwendUNG kam)..oh..oh.
Ich denke simpel und möchte einfach nur den Stock erwähnen, mit dem nicht erst heute Wege, Gebiete und landschaftliche Gegebenheiten in den Sand geritzt werden, wenn man sich auf dem Weg austauscht, wo die Ziegen saftigeres Gras finden als gerade hier. Eine dermaßen hohe Kultur wie die der Römer, hatten meines blind tastenden Erachtens sicher mehr als einen Stock und den zu beschriftenden Sand.
Damals war der Geruchssinn noch sehr ausgeprägt, der heute nur noch rudimentär vorhanden ist…
der Riecher für da dort, wo es was zu holen gab!
https://www.youtube.com/watch?v=-WWDqKljmCU
[…] nördlich der Alpen. Die haben damals aus dem Nichts eine heutige Kleinstadt hingesetzt – Pionierarbeit vom Feinsten. Das wird auch nicht Wochen gedauert haben. Die Legionäre konnten sich ca. 14 Tage […]