Germanische Esskultur oder: Abyssus abyssum invocat

sonnenblumen

Distinktion über Immobilienbesitz ist riskant, aber Distinktion über das moralisch richtige Essen ist noch möglich, und erlaubt Herabblicken auf Dumme, Ungebildete und Unzivilisierte: Da geht dann wirklich alles durch. Auch in den Medien für gebildete Stände. (Don Alphonso, hinter der Welt Paywall)

(Ja, ich habe die Welt abonniert, weil ich die Artikel von Deniz Yücel lesen will und habe also Don Alphonso, Alan Posener und Henryk Marcin Broder gleich dabei. Das Stammpublikum weiß es schon und den Nachgeborenen und Herumschweifern, die eine Laune des Schicksals hierher getrieben hat, sei es gesagt: Ich lese gern Meinungen, die der meinen nicht entsprechen, was in jedweder Medienblase die Ausnahme zu sein scheint, aber diese müssen elegant, vergnüglich und in gutem Deutsch geschrieben sein, wobei jegliches Abgesondertes von der Nominalstil-Facharbeiterin Katja Kipping von vorn herein ausscheidet).

Zur Kolumne des Don Alphonso wäre einiges anzumerken, zumal auch Tacitus und Latein vorkommen, welchselbiges mich schmunzeln lies – obwohl diese bilderungsbürgerliche Attitude, in meinem Fall die des gefühlten sozialen Aufsteigers, genau in dem Klassismus-Verdacht steht, den ich auch dem obigen Zitat des Don unterschieben kann. (Wer das nicht glaubt, muss Norbert Elias von vorn bis hinten durchlesen.)

deutsches Brotdeutsches Brot
Zwischenfrage: Mein Teller mit Goldrand ist laut Unterseite von der schlesischen Porzellanmanufaktur Carl Tielsch. Darf man aus der Porzellanmarke schließen, dass er aus der Zeit zwischen 1888 und 1908 stammt?

Anlass für die Kolumne über Esskultur war ein offenbar recht dämliches Interview im „Zeit“-Magazin mit dem Ernährungspsychologen Johann Christoph Klotter Der sagt: „Die Deutschen haben keine Esskultur. Schon der römische Historiker Tacitus hat sinngemäß geschrieben: Die Germanen ernähren sich sehr einfach. Wenn man sie nicht mit Waffen besiegen könne, müsse man ihnen nur Bier geben, bis sie umfallen. Die vergleichsweise geringe Wertschätzung für gutes Essen hat sich bis heute gehalten. Süddeutschland ist traditionell noch ein bisschen besser aufgestellt, Norddeutschland ist wirklich zappenduster.“

Langer Schreibe kurzer Sinn: Der Don Alphonso haut dem Klotter die linkgestützten Argumente um die Ohren dergestalt, dass man kopfschüttelnd meint, die „Zeit“ bzw. die veranwortlichen Redakteure für das Interview hätten einen an der intellektuellen Waffel, da alles kompletter Unsinn ist, was der gute Mann da verzapft.

Aber Tacitus (kann man alles samt Übersetzung in diesem „Internet“ nachlesen) ist natürlich lustig. Der hat auch sinngemäß das nicht geschrieben, was Kotter behauptet. Das hindert schlichte identitäre Gemüter, die zudem noch Mohamed heißen und „Biodeutsche“ und „PoC“ sagen, nicht daran, den – obzwar der Vertreter der damals herrschenden Klasse – armen Römer ebenso zu verhackstücken. („Eure Heimat ist unser Albtraum“ echoet er auf Hengameh Yaghoobifarah.)

mohamned amjahid

Don Alphonso kann auch den Tacitus besser:
…die Frage, ob das Zitat von Tacitus überhaupt stimmt. Die Antwort ist: Nein. Tacitus schreibt in Kapitel 23: „cibi simplices, agrestia poma, recens fera aut lac concretum: sine apparatu, sine blandimentis expellunt famem.“ – Die Speisen sind einfach: wilde Baumfrüchte, frisches Wildbret oder Käse aus Milch. Ohne besondere Zubereitung, ohne Gaumenkitzel vertreiben sie ihren Hunger.“ Hier ist aber der Kontext wichtig: Tacitus schreibt für seinesgleichen, die 0,1-Prozent-Oberschicht im Römischen Reich, und in Bezug auf deren Lebensstandard. Dass mit „simplices – einfach“ aber nicht ein Mangel an Kultur gemeint ist, erschließt sich aus dem ebenfalls falsch zitierten zweiten Teil des Satzes: „adversus sitim non eadem temperantia. si indulseris ebrietati suggerendo, quantum concupiscunt, haud minus facile vitiis quam armis vincentur.“ (…)

Sinngemäß sagt Tacitus also, dass die Germanen auf Gaumenschmeichelei und Delikatessen verzichten und lobt das als Tugend der Temperantia, der Mäßigung. Wer sich ein wenig mehr mit Tacitus beschäftigt, erfährt auch, dass er den Entwicklungen im römischen Kaiserreich kritisch gegenüberstand und sich die strenge Moral der früheren Republik zurückwünschte: Das Kapitel über die Sittenstrenge der germanischen Frau und Familie liest sich streckenweise wie eine harsche Kritik an den verlotterten Zuständen im Rom seiner Zeit. An keiner Stelle behauptet Tacitus, es gäbe keine Esskultur…

Das musste mal gesagt werden. Abyssus abyssum invocat, Mohamed Amjahid!

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Von mir selbst gemachte Kirschmarmelade!

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Kommentare

6 Kommentare zu “Germanische Esskultur oder: Abyssus abyssum invocat”

  1. ... der Trittbrettschreiber am Juli 4th, 2020 11:46 pm

    „Die Deutschen haben keine Esskultur“

    Na also wenn Pökelfleisch zu Kartoffelbrei, Erbsensuppe mit Speck, Eisbein mit Sauerkraut, Saumagen und Maultaschen, Cürriiiwuuaast mit Pommes rotweiß zu Berliner Weiße oder Rixdorfer Fassbrause, Braunat und Schweinepfötchen, Himmel und Erde zu Doublefischmac und Chicken McNuggets und Erdbeerdöner zu Vanilleshisha keine Esskultur beweisen, dann sei mir der leise Hinweis auf die zur Durchführung gebrachte Einnahme von Eloquenz steigernden Getränken, gebraut nach alten geheimen Rezepten in nicht immer nur wohltemperierten Gewölben der vorkapitalistischen, den Imperialismus verhöhnenden Plattenbauten erlaubt.
    Kultur ist meist fremdfinanzierte kollektive Selbstbestätigung durch verinnerlichte Handlungen, die im Wachzustand nicht erklärbar sind. Deshalb sind kulturelle Events ohne Flüssigkeitszufuhr undenkbar.

    Thüringer Klöße gehören nicht zur Kultur – die sind ess- und genießbar, machen glücklich und sollten im Gegensatz zum Allgemeingusto nur wahren Gourmets vorbehalten bleiben.

  2. Corsin am Juli 5th, 2020 12:59 am

    Die Deutschen haben wie auch die Briten ihre Esskultur durch die zwei idiotischen Weltkriege und die Umweltverschutzung im 20. Jahrhunderts vielleicht nicht ganz verloren aber doch zu einem großen Teil eingebüßt.

    Ein Leipziger Allerlei etwa ist im 19. Jahrhundert ein Festschmaus gewesen, bestehend aus Flusskrebsen, Morcheln, Spargel, Erbsen, Möhren und frischen Kräutern. Nach Jahrzehnten des Sparens blieben am Ende nur noch die beiden billigsten Zutaten erhalten.

    Und jedem ausländischen Besucher fällt sofort die deutsche Besessenheit für Paprika auf — offenbar ein Erbe aus jenen Zeiten, als nur noch Ungarn Gewürze nach Deutschland lieferte.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Bei vielen alten deutschen Gerichten lohnt sich eine Recherche zu den ursprünglichen Zutaten — bevor Mangel und Not zur immer weiteren Reduzierung zwang und die alten Rezepte schließlich in Vergessenheit gerieten.

  3. flurdab am Juli 5th, 2020 8:15 am

    Ich sage nur „Dampfnudel“.
    Die haben sogar die Kinesen kopiert.

    Wirklich Schlimm haben die Dauerkochsendungen im TV gewirkt, nun meint jeder, der nur mit größter Mühe Wasser ohne anbrennen heiß kriegt, eine Meinung haben zu müssen.
    Nebenbei, ohne Indien wäre die Kulinarik in den wüsten Wüstenstaaten wüst.

    Es ist aber sehr wahrscheinlich dass Mohamed A. Seitan- Fleischersatz für genießbar hält, sofern der Weizen rituell geschächtet wurde.

    Attila Hildmann beweist ja gerade sehr eindrucksvoll wie gefährlich Mangelernährung ist. Veganern fallen nicht die Zähne aus wie beim Skorbut, denen schwinden Hirnzellen.
    Vitamin B- Mangel tritt man am Besten mit Hefeweizenbier entgegen.

  4. flurdab am Juli 7th, 2020 7:40 am

    Für Interessierte ein Link zu wikisource, eine Sammlung historischer „Kochbücher“ die bei diversen Universitäten digital gesichert sind.
    https://de.wikisource.org/wiki/Kochb%C3%BCcher

  5. Rano64 am Juli 7th, 2020 11:05 am

    dieses Zeit-Interview war wirklich selbst für ZON von herausragend schlechter Qualität. Und der Interviewte ist ein Idiot, der sich vor lauter antideutschen Vorurteilen nicht einmal die geringste Mühe gibt, etwas in die Tiefe zu dringen.
    Denn in Wahrheit sind es die Protestanten (und Calvinisten, Anglikaner u.ä.), die keine Esskultur haben. Die Niederländer z.B. haben jahrhundertelang eine bedeutende Rolle im Gewürzhandel gespielt und haben was genau daraus gemacht? Nichts außer Geld.
    Im süddeutschen Raum gibt es jedenfalls jede Menge ganz tolle Esskultur und ich freue mich immer, wenn ich mal dahin komme.

  6. flurdab am Juli 7th, 2020 12:47 pm

    Das ist doch bestimmt Rassismus.
    Jede Randgruppe hat ein eigenes Schnitzel.
    Der Wiener, der Jäger, der Zigeuner sogar der Gouda/ Schweizer mit dem Cordon Bleu.
    Nur Negerschnitzel, Negerschnitzel gibt es nicht.
    Das ist doch bestimmt Rassismus.

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