#Denkmalsturz und Ikonoklasmus
„Jede Aufzeichnung wurde vernichtet oder verfälscht, jedes Buch überholt, jedes Bild übermalt, jedes Denkmal, jede Straße und jedes Gebäude umbenannt, jedes Datum geändert. Und dieses Verfahren geht von Tag zu Tag und von Minute zu Minute weiter.“ (Goerge Orwell, 1984)
Die antisemitische Stalinisten-Sekte MLPD stellt sich irgendwie gegen den Trend und stellt ein Denkmal für Lenin auf. Immerhin nicht Stalin, das trauen sie sich doch nicht.
Mir fällt dazu Marcel Mauss Soziologie und Anthropologie I. Theorie der Magie. Soziale Morphologie ein. Der magische Ritus spiele sich „in einem ausdifferenzierten magischen Milieu ab, das sich (…) von anderen Milieus abgrenzt und unterschieden werden soll. Streng genommen genügen eine einfache Haltung, ein Gemurmel, ein Wort, eine Geste oder ein Blick, um anzuzeigen, daß dieses Milieu vorliegt.“
Magie ist nicht „primitiv“, sondern immer und in jeder Gesellschaft, unterhalb der Ebene der Religionen oder ist Teil dieser.
Die Bilder- und Denkmalstürmerei ist selbstredend eine magische Handlung. Vermuteten die Stürmer, dass diese Denkmäler nicht wirkten, brauchten sie diese auch nicht zu zerstören. Die Pointe ist also, dass diejenigen, die am stärksten gegen die Ikonen des jeweils neu zu definierende Böse vorgehen, am meisten daran glauben.
„Wir müssen die Magie als ein System apriorischer Induktionen ansehen, die unter dem Druck von Bedürfnissen von Gruppen von Individuen vollzogen werden.“
Welche Gruppe? Natürlich das neue Kleinbürgertum, das von oben unter Druck steht und das sich „rein“ halten will, weil – so das magische Denken – durch „Purifikation“ (das Bedürfnis) die Gruppe stabil bleibt. Das gilt für Sprache (vgl. Gendersprache), Bilder und Denkmäler bzw. Skulpturen.
Mauss meint einleuchtend, dass die ikonoklastische magische Handlung „der Religion in ihrer Sühnefunktion Konkurrenz macht.“ Schuld und Sühne – etwas Erzprotestantisches, was nicht zufällig in den USA und in Deutschland den Furor der Sitten- und Tugendwächterinnen hervorbringt. „Zwischen dem Wunsch und seiner Verwirklichung gibt es in der Magie keinen Zwischenraum.“
(Man müsste statistisch untersuchen, ob diejenigen, die Denkmäler umwerfen, auch dem Veganismus-Asketismus huldigen vegan essen und Gendersternchen benutzen. Ich will jetzt nicht anfangen zu wetten…)
Ich empfehle einen klugen Artikel von Gesine Krüger: #Denkmalsturz:
Wo soll das alles enden? Wer stünde noch zur Disposition – Churchill, Bismarck, alle Nationalhelden der westlichen Welt? Kant gar? Doch hinter der Frage, wo soll das enden, verbirgt sich oft die Angst, überhaupt anzufangen. Und sie zeigt, dass es tatsächlich erst einmal kein Ende gibt, denn so vernetzt, global die Proteste sind, so vernetzt und global, so tief verankert in der Gesellschaft waren Sklavenhandel und Kolonialismus. (…) Wem wollen wir Denkmäler setzen und in welcher Form? Das ist vielleicht die bessere Frage als die, wer weg soll.
Kommentare
8 Kommentare zu “#Denkmalsturz und Ikonoklasmus”
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„System apriorischer Induktionen“, “Purifikation”, „Soziale Morphologie“…
JA – DAS sind die Phrasen, mit denen man beim Arbeiterstammtisch punktet (oder schnell k.o. geht – je nach Uhrzeit und Pegel)…
>>Man müsste statistisch untersuchen…<<
die Antwort lautet vermutlich eher "Nein"
wie das halt immer so ist – die Drecksarbeit machen dann doch immer die, die sie schon immer gemacht haben.
deine kleinbürgerlichen Freunde stehen lieber mit dem Smartphone und aktiviertem Live-Streaming daneben und schlagen ihr polit. Kapital aus der Arbeit anderer…
btw – in welchem Milieu verortet sich der Burks eigentlich selber? eigentlich isser ja auch n Kleinbürger….
Ich kann keinen Unterschied zwischen denen, die Denkmäler errichten und anderen, die sie niederreißen. Es scheint derselbe Menchanismus am Werke zu sein, der auch den Nationalismus erschafft oder das Recht des zuerst da Seienden. Es gilt, bei aller Zivilisiertheit und Diversibilität das Recht des primitiven Stärkeren. Man schaue sich um – Intelligenz ist ein höchst erfolgreiches Werkzeug der Verdrängung. Was moderne intelligente Geister zu bewirken imstande sind, hat das Beispiel der Krim bestens gezeigt – nichts.
Korrektur: Es sollte nicht heißen Diversibilität sondern noch intelligenter „Diversibilitäterätätää“.
Fehler kommen eben manchmal vor.
Noch ein kleiner Nachtrag zu den Denkmälern:
Ich glaube, Gesine Krüger & Co. überschätzen die Bedeutungen von Denkmälern heutzutage oder auch generell.
Wer guckt sich die Dinger schon groß an?
Wer ließt schon die Texte auf den Tafeln?
Touristen aus dem Bildungsbürgertum bestenfalls. Evtl Studenten, die darüber schreiben müssen.
Große Aufmerksamkeit und viel Brimborium wird nur im Vorfeld beim Streit um die Errichtung und bei einer möglichen Entfernung gemacht.
Grad bei letzterem – der quasi Säuberung des öffentlichen Raumes – hat das eher eine Ventil-, Kristallisations- oder/und Ablenkungsfunktion.
Wo man religiösen Fanatikern noch zusprechen kann, dass sie generell Bildnisse ablehnen, geht es beim gutbürgerlichen Protest doch eher darum, die vermeintliche Wut und den Übereifer auf etwas banales zu lenken.
Die Alternativen wären teeren und federn, lynchen und brandschatzen
Ikonoklasmus hat sich für mich immer nach Astrophysik/Vulkanismus angehört…
Pyroklastischer Strom oder
Protoklasmus oder
Astroklasmus
Oder Endoklasmatisches Retikilium ;-)
Anssonsten statt Denkmäler,die so voriges Jahrhundert sind, wäre ich für Hologramme!
Oder was von dieser nordkoreanischen Firma…
Viele Denkmäler haben ihren Kipp-Punkt erreicht.
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Ich habe mal mit dem Wohnmobil auf einem WoMo-Parkplatz übernachtet, der auf dem Gelände des KZ-Außenlagers Heersbruck angelegt worden war. Das Denkmal und die Informationstafel wurden zum Anleinen von Hunden genutzt. Auch ein Kipp-Punkt.
[…] mich ist so etwas rätselhaft. Wieso fällt mir jetzt anthropomorph ein? Oder besser: Magie? Ein (für mich lächerliches) Objekt, das durch seine – durch einen Gruppenkonsens a priori […]