Heil Moskau

ernst thälmann
Ernst Thälmann im Gefängnis Berlin-Moabit, 1939

Ich habe aus Neugier ein winziges Buch erworben: Der Personenkult um Ernst Thälmann. Eine Betrachtung mithilfe Max Webers Konzept der charismatischen Herrschaft (nur 17 Seiten, eine Studienarbeit im Fach Geschichte, 2015).

War „Teddy“ (so wurde Thälmann genannt) ein charismatischer politischer Führer, der sich durch eine charismatische Herrschaft auszeichnete? Handelt es sich um einen „Thälmann-Mythos“, der erst nach seinem Tod im Konzentrationslager (KZ) Buchenwald geschaffen wurde oder war der ernst thälmannParteivorsitzende bereits zu Lebzeiten ein Führer, der eine so emotionale Bindung zu seiner Gefolgschaft besaß, dass sich ein Kult in diesem Ausmaß entwickeln konnte? Laut des Soziologen Max Weber ist ein primär emotionales Verhältnis zwischen Führer und Anhänger ein Indiz für eine charismatische Herrschaft.

Die Antwort: Nur ein bisschen. Aber deswegen habe ich die Arbeit nicht gelesen. Ich habe ein wenig recherchiert, ob es überhaupt etwas zum Thema „Personenkult“ um Thälmann gibt. Mitnichten. Wo soll man suchen? Bei den Historikern, Soziologen, Politologen, Antropologen, oder reicht es, Theweleit zu lesen? Die „Linke“ wäre zuständig, aber dort finde ich auch (natürlich?) nichts.

Wenn man wissen will, warum die Nationalsozialisten die Macht ergreifen konnten, trotz der damals in ganz Europa am besten organisierten Arbeiterbewegung, trotz einer kommunistischen Partei, die zeitweilig mehr als 300.000 Mitglieder hatte – also vier Mal so viel wie heute die „Grünen“ – dann muss man jeden Stein in der Geschichte umdrehen, um die Ursachen herauszufinden.

Ich habe ein schreckliches Buch in meiner Bibliothek, irgendwann auf einem Flohmarkt für wenig Geld erworben: Zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands – Eine Auswahl von Materialien und Dokumenten aus den Jahren 1914-1946, hg. vom Marx-Engels-Lenin-Stalin-Institut beim Zentralkomitee der SED, Berlin 1954. Genau so wie sich das anhört, ist es auch – das Grauen. Interessant ist es nur als Quelle, und auch die Fotos (in sehr schlechter Qualität) habe ich noch nie woanders gesehen. Man denkt, man habe es mit einer säkularen Religion, ja einer durchgeknallten Sekte zu tun: Keine Spur von Selbstkritik, nur ein Hurra nach dem anderen, im Lautsprecherduktus.

Ich hatte im September 2018 auf ein vergleichbares Werk hingewiesen, obwohl es 1973 erschienen ist: Alexander von Plato: Zur Einschätzung der Klassenkämpfe in der Weimarer Republik: KPD und KOMINTERN, Sozialdemokratie und Trotzkismus. Nichts gelernt, obwohl man damals in der BRD schreiben und forschen konnte, wie es beliebte – jedenfalls kritischer, als es in der DDR erlaubt worden wäre. Ich habe noch zwei ähnliche, die man auch zum Fall Thälmann vielleicht heranziehen würde (sollte man aber nicht und herrje, das gibt es sogar bei Amazon!): Die Bolschewisierung der KPD (das ist positiv gemeint), 2 Bände, hg. Verlag Rote Fahne 1970. Ich wiederhole mich: Nichts gelernt und nichts begriffen.

Ich wüsste zu gern, ob man in der DDR etwas über die Wittorf-Affäre erfahren durfte?! Da muss ich von einem kleinen und vermutlich jungen Studenten heute eine völlig richtige Analyse lesen: Ernst Thälmann und seine Abhängigkeit von den Direktiven Stalins und der Kommunistischen Internationale waren eine Katastrophe für die KPD. Genau so muss man es sehen. Vermutlich wäre Paul Levi erfolgreicher gewesen.

Und dann müsste man erforschen, warum die KPD zeitweilig mehr damit beschäftigt war, „Abweichler“ auszuschließen als die Nazis zu bekämpfen, und warum nicht nur damals die lächerliche Herumsektiererei angesagt war und was uns das heute lehrt.

Jonas Kolthoff schreibt: „Wie sehr die KPD unter Vorsitz Thälmanns nun auf Stalin und dessen Politik eingeschworen war, zeigte ein symbolischer Vorgang auf dem letzten Parteitag in der Weimarer Republik 1929. Hier wurde Ernst Thälmann mit einem „dreifachen Heil Moskau“ begrüßt. (Quelle: Der Thälmann-Skandal) O mein höheres Wesen – das ist ja furchtbar.

Das Beste, was es IMHO zur Zeit – lesbar, also kein Wälzer! – gibt, ist ein Artikel aus der Zeitschrift Z – Marxistische Erneuerung von Harald Jentsch – erfreulicherweise online: „Die KPD 1919 bis 1924 – Teil I: Zwischen Offensivtheorie und Einheitsfronttaktik“. Der 2. Teil ist leider nicht online.

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