Kritik der Kritischen Kritik

Garbor Steingart

Die Neue Zürcher Zeitung interviewt den Journalisten Gabor Steingart (nach dem beliebten Motto: Journalisten interviewen Journalisten oder auch Journalisten bepreisen andere Journalisten). Es geht auch um Steingarts Blog Das Morning Briefing.

„Der profilierte Journalist“ – wait a minute – gibt es auch unprofilierte Journalisten? In der Tat, leider werden die nie interviewt. Oder sitzen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten ein und schreiben mit Gendersternchen, dass es nur so in den Ohren klingelt.

Im Ernst – mich interessierte das, weil Steingart gute und richtige Dinge sagt und ich mit burks.de natürlich genau so profiliert sein möchte, wenn ich mal groß bin. Ich werde aber nicht, das kann ich jetzt schon prophezeien, mit Fotos glänzen, die mich zusammen mit Vertretern der herrschenden Klasse zeigen – das wäre mir zu deutschjournalistisch. Burks und Putin, womöglich beide mit nacktem Oberkörper – was sollte mir ein Künstler damit sagen? Und was will mir Steingart mit einem ähnlichen Bild mitteilen, nur bekleidet? Die da oben reden mit mir? Ach Gottchen, da kommen mir die Tränen.

„Im Vergleich zum Branchendurchschnitt herrscht hier eine geradezu ansteckend gute Laune.“ Woher wollten Martin Beglinger und Marc Tribelhorn von der schweizer Zeitung das wissen? Vielleicht lächeln die dort nur aus Angst vor ihrem Chef? „Durchschnitt“ verlangt nach einer belastbaren Statistik, oder es ist nur Fantasy Lyrik. Lässt schon wieder Relotius grüßen?

„…seine so elegant wie scharfsinnig formulierte morgendliche Weltschau“. Vielleicht hat der vorher mein Blog studiert und sich rhetorische Tricks abgeschaut? Oder ist ab Werk schon so toll? Oder ich bin gerade auf einer Ölspur ausgerutscht?

Wenn jemand sagt, er lese gern auf Papier, ist das keine Meinungsäusserung, sondern eine Altersangabe. (…)

Aber dass jetzt Haltung zu unserem Hauptanliegen werden soll und wir nicht über Klimaschutz berichten, sondern ihn einfordern und Journalisten sich als Aktivisten verstehen, das halte ich für falsch. (…)

Full ack.

Alle kommen aus denselben Klöstern. Zumindest vom Ressortleiter an aufwärts wohnen alle in denselben Stadtteilen. Altbau, Stuckdecke, SUV, wenn möglich mit Hybridantrieb. Grün wählen, aber abends «fine dining». Wir sind uns alle viel zu ähnlich.

„Alle“? Einspruch, Euer Ehren. Vielleicht die Festangestellten und die, die ihr Schäfchen finanziell im Trockenen haben, wie eben Garbor Steingart. Man sollte ihm seine Mittelschichts-Herkunft aber nicht zum Vorwurf machen: Friedrich Engels war Sohn eines Fabrikanten Unternehmers und hat sich dennoch nicht zugunsten des Kapitals geäußert.

Die Leser sind vielen Journalisten lästig, sobald sie mitreden wollen. (…) Wir müssen von der für uns sehr schmerzhaften Tatsache ausgehen, dass unsere Leser nicht dümmer sind als wir.

kritik der kritischen kritik
Symbolbild für die Kritik der kritischen Kritik

SCNR: Die meisten Journalisten sind so dumm wie ihre Leser. Ich zweifele an der Schwarmintelligenz, zumal sich online und anonym oft Leute zu Wort melden, die die direkte verbale Konfrontation scheuen würden. In einer Gruppe verhält sich die übergroße Mehrheit irrational, auch gegen ihre Interessen. Das Schwarmverhalten hat seine eigenen Gesetze – ob im DJV, einer beliebigen Partei oder im Internet. Wer’s nicht glaubt, frage Elias Canetti.

Hält Steingart das, was er ankündigt? Ich habe mir ein paar Artikel angesehen.

Pate Putin ist erste Wahl. Putin. Putin. Putin. Das ist ja fast schon wie die Hitler-Besessenheit von N-TV oder N24. Große Männer machen nicht die Geschichte. Und dann wieder die russischen „Hacker“. Ab da habe ich nicht weitergelesen. (Zum Glück, beim Herunterscrollen sah ich unten noch Bilder von Mitgliedern des britischen Königshauses.)

Warum die Welt Deutschland braucht. Also nee. Was für ein Quatsch. Aber ich bin vermutlich weder eine werberelevante Zielgruppe noch überhaupt eine für Steinhart. Ich hätte hingegen gern eine öknonomische Analyse, etwa auf dem Niveau der Neuen Rheinischen Zeitung. Da ist noch viel Luft nach oben. Sätze wie: „Die Realwirtschaft dagegen wird in 2020 erneut durchstarten“ sind Gefasel und Neusprech und schrammen an meinem Wanderpokal Lautsprecher des Kapitals nur knapp vorbei.

Fazit: Das Morning Briefing ist deshalb populär, weil es persönlich ist wie ein Blog, also ein humanoides Gesicht hat, weil es – wie eine gedruckte Zeitung – ein Kaleidoskop unterschiedlicher, fast immer irgendwie politischer Themen anbietet (im Gegensatz zu burks.de, wo die wohlwollenden Leser und geneigten Leser sogar mit Second Life und anderem irrelevantem Unfug belästigt werden), und weil es viel kürzer ist als die Politik-Seiten eines der großen Medien. Die Sprache ist um Klassen besser als zum Beispiel ausnahmslos jedes publizistische Machwerk der „Linken“ mit deren verschrobenem Mischmasch aus Bürokraten- und Soziologenjargon.

Ohne Steingart wäre das Morning Briefing gleich futsch, wie auch die Konkret ohne Gremliza nur ein Schatten ihrer selbst ist (und von mir abbestellt wird, da die jetzt Gendersprache einführen – als Tribut an den gefühlten sprachesoterischen Szene-Mainstream).