Von deinem getreuen

anna seghers schilfrohr

Nein, der Charakter eines Schriftstellers zählt nicht, nur seine Werke. Wenn sie gut sind, erzählen Bücher mehr als der Autor geplant hat: „Zeitlos“ heisst, dass man sie auch dann noch mit Gewinn lesen kann, wenn der Verfasser schon längst tot ist oder wenn er die Gesellschaft, in der seine Bücher verkauft werden, nicht hat vorhersehen können.

So beurteile ich auch Anna Seghers – eine großartige Schriftstellerin, deren Bücher man kennen sollte. Das waren andere Zeiten, mit denen man sich befassen muss, um manche merkwürdigen Verirrungen in linken Biografien erahnen zu können. (Wer alles in einem Buch haben und auch noch gut unterhalten werden will, lese Stefan Heyms Nachruf.)

Ihre Bücher bekommt man sehr preiswert, vermutlich, weil sie nicht mehr im offiziellen Bildungskanon auftauchen darf. Ich habe mich jetzt mit den Werken, die ich von ihr noch nicht hatte, eingedeckt.

Bei der Kurzgeschichte Das Schilfrohr (Erzählungen 1957-1965) stutzte ich: Irgendjemand, ich glaube, es war Stefan Heym, hatte kritisiert, dass der Plot technisch nicht möglich sei – man könne, wenn man unter Wasser sei, durch ein Schilfrohr nicht atmen, weil das Rohr eben Knoten besäße. Die Stelle lautet bei Seghers:
…hatte sie jemand gerettet, sie wußte nicht mehr vor wem und warum, indem er unter das Wasser getaucht war und durch ein Schilfrohr geatmet hatte, solange sie nach ihm suchten. Kurt Steiner sagte, das sei erfundenes Zeug, das sei in Wirklichkeit nicht möglich. (…) Und sie zwang ihn, ins Wasser zu kriechen, und sie schnitt ein geeignetes Schilfrohr ab.

Die Frage, ob es möglich sei, stellten sich schon andere, ohne die Geschichte zu kennen. Fazit: „Bei Karl May oder James Bond geht das ganz gut – ein Schilfrohr abschneiden, abtauchen und atmen. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch realistisch, schließlich nutzen auch Gerätetaucher in bestimmten Fällen Schnorchel. Das klappt aber nur bis zu einer geringen Tiefe.“

Deswegen ist das Wort geeignet genau richtig.

widmung

In einem der gebrauchten Bücher der Anna Seghers fand ich die obige Widmung. Es wäre spannend zu erfahren, wer sich dahinter verbarg und wie es diesem Menschen ergangen ist. 1923 geboren – zwei Jahre älter als meine Mutter, die noch als Kind die Weimarer Republik erlebt hat und sich an Ereignisse, zumal sie durch – leider sehr wenige – Fotos gestützt werden, erinnern kann. Und wer mag der „Getreue“ aus Zwickau gewesen sein, der Bücher von Seghers verschenkte?