Im Auftrag oder: Bürgerliche und andere Presse

sabotierte Wirklichkeit

Habe gerade Marcus B. Klöckners Buch Sabotierte Wirklichkeit: Oder: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird gelesen. Auch wenn man schon Ähnliches zum Thema konsumiert hat, sollte man es kennen.

Ich schrieb am 03.01.2019: „Uwe Krüger zum Beispiel behauptet in seinem Buch Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten, dass die Mehrheit der Journalisten die Sicht der herrschenden Klasse übernehme. Ich gehe sogar weiter: Mehr als 95 Prozent aller deutscher Journalisten haben sich mit dem Kapitalismus nicht nur arrangiert, sondern halten ihn für das teleologische Ziel der Geschichte. Danach kommt nichts mehr, vielleicht nur noch das jüngste Gerücht Gericht.“

Wenn man das „wissenschaftlich“ mit zahllosen Beispielen noch einmal bestätigt haben will und wenn man wissen will, wie offene und verdeckte Zensur funktioniert, muss man Klöckner zu Rate ziehen.

Klöckner setzt die Thesen und Erkenntnisse Pierre Bordieus und seines Opus magnum Die feinen Unterschiede um.

(Für diejenigen des hiesigen Publikums, die eine umfassende humanistische Bildung noch wertschätzen, seien die Books of the XX Century“ des ISA World Congress of Sociology empfohlen – mir reichen aber Elias und Weber. Bordieu muss man kennen, aber Altvater Marx hat das auch schon alles gesagt, nur mit anderen Worten. Die Kritik Bordieus an Marx teile ich nicht: Ohne die „marxistische“ Konzeption der sozialen Klasse und des Klassenbewusstseins gäbe die es die Fragestellung Bordieus gar nicht. Marx hat sich aber mit dem Problem, wie Klassenbewusstsein entstehe und wie sich das im Überbau, zu dem auch die Medien gehören, widerspiegelt, nur marginal beschäftigt. Eribon und Christian Baron sind von Bordieu stark beeinflusst worden und haben auch eine vergleichbare Biografie.)

Zensur in einem System freier Medien bedeutet, dass bestimmte Perspektiven, Meinungen, Themen und Informationen bewusst oder unbewusst von Journalisten aufgrund von sozialstrukturellen, sozialisationsbedingten, weltanschaulichen Ursachen und Antrieben medienübergreifend dauerhaft und weitestgehend nicht dem Diskurs zugänglich gemacht werden. (…) Diese Zensur entsteht dann, wenn eine Vielzahl von Journalisten über eine sehr ähnlich bis identische weltanschaulich geprägte Wahrnehmungs- und Denkweisen verfügen und diese kollektiv handlungsleitend bei der Selektion [sic, „Auswahl“ hätte es auch getan], Einordnung und Gewichtung von Informationen, Nachrichten und Ereignissen sind. (Klöckner S. 25f.)

Beispiel: Wann zuletzt wurden in einer deutschen TV-Talkshow die Begriffe Klasse, Klassenbewusstsein oder gar Klassenkampf (class struggle im Englischen) benutzt? Gar nie. Aber nicht, weil das jemand verboten hätte.

Durch transformierte Verinnerlichung der äußeren (klassenspezifisch verteilten) materiellen und kulturellen Existenzbedingungen entstanden, stellt der Habitus ein dauerhaft wirksames System von (klassenspezifischen) Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata dar, das sowohl den Praxisformen sozialer Akteuer als auch den mit dieser Praxis verbundenen alltäglichen Wahrnemung konstitutiv zugrund liegt. (Die Definition von Bordieu; da das Original Französisch ist, verzichte ich darauf, das Geschwurbel in verständliches Deutsch zu übersetzen.)

„Habitus“ ist nichts anderes als das „marxistische“ Klassenbewusstsein. DerHabitus der Mittelschicht [aus der die große Mehrhheit der Journalisten stammt oder in die sie aufsteigen wollen, B.S..] lässt oft auch den Hang erkennen, sich in die herrschenden Strukturen bestmöglich zu integrieren. (…) Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Akteure, die sich in ihm bewegen, solidarisiert sich, wenn es darauf ankommt, eher mit den oberen Schichten als mit den unteren. (Klöckner, 33ff.) In der diesem Blog eigenen drastischen Sprache könnte man sagen: Allesamt Opportunisten – mit Ansage und mit Ausnahmen.

Das gilt auch für den ebenso von Bordieu stammenden Begriff „Feld“ (der, wenn er kein Fachjargon ist, eher für Bläh- und Furzdeutsch steht). Das Feld hat sichtbare und unsichtbare Grenzen,…die für die Akteure, die sich in ihm bewegen – insbesondere die Neuankömmlinge – nicht oder nur durch intensive Kämpfe überwunden werden können. (Klöckner, S. 60)

Die handlungsanleitenden, tief internalisierten Glaubensüberzeugungen führen dazu, dass viele Journaliste die Zensur, die sie ausüben, als solche nicht ansatzweise erkennen. (Klöckner, S. 65)

Journalisten akzeptieren die zum großen Teil von ihnens elbst in einem Akt des vorauseilenden Gehorsams gezogene „rote Linie“ in der Hoffnung – etwas zugespitzt formuliert – Belohnung „von oben“ zu erfahren. (Klöckner, S. 208)

Jetzt haben wir ein Problem: Fast alles richtig, was Klöckner schreibt. Es gibt aber keine Lösung. Wenn alle Journalisten bewusst oder unbewusst „parteiisch“ sind (Mittelschicht/rotgrünliberal), könnte man das Kind mit dem Bade ausschütten und gerade das gleich fordern. „Was man nicht verhindern kann, kann man auch gleich begrüßen.“ (Japanisches Sprichwort)

In den Staaten, die sich sozialistisch nannten, und im heutigen China ist es ohnehin so – der Rahmen war/ist der „Parteiauftrag“. Objektivität ist also die Lebenslüge des Journalismus, wie Demokratie im Kapitalismus auch nur der formale Rahmen ist, in dem sich die Minderheit der Herrschenden letztlich durchsetzt. Die Medien – ein Teil der Überbaus – sollen das positiv orchestrieren.

Meint jemand ernsthaft, ein Journalist könne die Systemfrage in den Mainstream-Medien stellen? Das macht der nur einmal, danach wird man exkommuniziert, das heisst: vom Diskurs ausgeschlossen. Das fällt nur deshalb nicht auf, weil es auch keine linke Partei gibt, die das macht.

Ceterum censeo: Ich bin dafür, wieder den Begriff „bürgerliche Presse“ zu benutzen. Das bringt es auf den Punkt, obwohl die Nachgeborenen vermutlich mit bourgeois gar nichts anfangen können.