Deutschland im Herbst

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Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818

Ist ist zum Terroranschlag schon vieles von allen gesagt worden. Wenn man die so genannte rechtsextreme Szene seit 30 Jahren im Blick hatte (meine erste Reportage zum Thema schrieb ich 1989), fällt zuvörderst auf, dass sie die von Politikern, „Experten“ und den üblichen Verdächtigen abgesonderten Sprechblasen immer und immer wiederholen. Es gibt noch nicht einmal einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was genau das Problem sei.

Vor 20 Jahren gab es einen Aufstand der Anständigen, mit großem medialen Getöse – was ist daraus geworden? Was hat der bewirkt? Ich schrieb:

„Einen »Aufstand der Anständigen« kann es somit gar nicht geben, denn ein Aufstand ist immer unanständig. In den Augen der Herrschenden jedenfalls. Und seit wann macht die Mehrheit einen Aufstand? Und gegen wen? Ein »Aufstand der Anständigen« ist so sinnig, als forderten die Scientologen die Kassenzulassung.

Dennoch, ein Erfolg hätte so aussehen können: Der Rassismus und der Antisemitismus hätten abgenommen, vielleicht nicht, was die Einstellungen angeht, aber wenigstens das Verhalten betreffend. Die Anständigen waren sich aber noch nicht einmal einig, dass es gegen den Rassismus ging. Und heute befinden wir uns in einer Situation, die zu der Frage anregt: Warum hat sich trotz der zahlreichen Gesichtzeiger und der »Programme gegen Rechts« nichts geändert? Man könnte das »trotz« durch »wegen« ersetzen, wenn man nur boshaft genug wäre.

Oder darauf hinweisen, dass es ohne die Programme und unzähligen, meist unpolitischen Aktionen auf Volkshochschulniveau noch viel schlimmer gekommen wäre und die Braune Armee Fraktion schon in Bataillonsstärke ihre Wehrsportmanöver durchführte. Der »Aufstand der Anständigen« war ein gruppendynamisches Kuschelereignis mit dem kathartischen Effekt einer Beichte: Wir bekennen, dass wir böse waren, und nehmen, ganz christlich, die Schuld der braunen Kameraden auf uns, die leider beim Aufstand nicht mitmachen, und versprechen, fürderhin so brav zu sein, wie wir schon immer waren.

Der Antisemitismus wird ohnehin gern vergessen. Natürlich ist es anständig, auf Friedhöfen nicht die Grabsteine umzuwerfen. Darauf, und auf den Appell, bitte keine Gewalt und keine Synagogen abzufackeln, einigt man sich schnell. Solange Juden auf Friedhöfen liegen und ihre Habseligkeiten in Museen verstaut sind oder man nur ihre restaurierte Architektur vor sich hat und ein bisschen Klezmer für Pfarrerinnen und Fans der völkischen Folklore, gibt es keinen Streit. Aber sobald andere unangenehme Details zur Sprache kommen, etwa israelische Fahnen vor Gemüseläden im schönen deutschen Berlin oder Werbebanner der israelischen Armee auf deutschsprachigen Websites, fällt die Moral in sich zusammen. Und der Aufstand verkrümelt sich genau so schnell.“

Das hiesige Publikum erwartet hoffentlich nicht von mir, dass ich mich mit dämlichen Sprüchen befasse, die sich irgendwie mit Radikalisierung im Internet beschäftigen. Das ist unter meinem Niveau, wie Gerhard Polt richtig sagt. Ich kann mich sogar einem Kommentar der Bild-Zeitung anschließen:

„Vor wenigen Tagen noch ließen die Behörden in Berlin einen Attentäter laufen, der mit einem Messer eine Synagoge überfallen wollte – kein Haftgrund.

Wenn Juden in Deutschland angegriffen werden, fallen die Strafen meist lächerlich gering aus. Wenn Juden in Deutschland nicht an Bord einer arabischen Airline gehen dürfen, tut die Politik NICHTS“.

Interessanter Aspekt, der aber außer von mir so nirgendwo gesagt werden wird: Wozu haben wir einen Inlandsgeheimdienst, wenn es nur „Einzeltäter“ à la Breivik gibt? Ceterum censeo: Verfassungsschutz esse delendam.

Weiteres Fazit: Es gibt offenbar keine Journalisten mehr, die das rechte Milieu professionell beobachten. Der Spiegel schreibt: „Im Internet ist auch ein Manifest aufgetaucht, in dem detailliert Anschlagspläne beschrieben werden. Experten des International Centre for the Study of Radicalization (ICSR) in London haben es in einem rechten Forum entdeckt.“

Im Internet. In einem rechten Forum. Das ist ja supergeheim, das finden deutsche Journalisten natürlich nie.

Mehr fällt mir dazu nicht ein.