Welche Gesellschaft soll das abbilden?

schutzweste

Die Firma sorgt sich um die Sicherheit der Mitarbeiter. Also tragen wir jetzt hieb- und stichfeste Westen in der Notaufnahme. Ein Kollege wurde neulich so schwer verletzt, dass er für Monate ausfallen wird. Vor kurzem ging jemand mit einer abgebrochenen Flasche vor dem Krankenhaus auf Leute los.

Wäre ich Boris Palmer, würde ich fragen: Welche Gesellschaft soll das abbilden?

Eine Gesellschaft, die von vielen Einwanderern und deren Nachfahren geprägt ist, deren Werte und Verhalten nicht mit denen des gefühlten Mainstreams übereinstimmen. Zum Beispiel Leute, die in Deutschland geboren wurden, aber Fans des Diktators Erdogans sind. Leute, die hier Zuflucht gefunden haben, aber keinerlei Regeln akzeptieren (weil sie Regeln nie kennengelernt haben). Männer der „südländischen“ Art, die ausflippen, wenn Krankenschwestern (!) oder Ärztinnen (!) sie etwa anweisen zu tun. Mit denen habe ich täglich zu tun. Man muss es sportlich sehen, aber niemand wird mich daran hindern, die Dinge zu benennen.

Besonders lustig ist es natürlich, jetzt die Kommentare der Krawallzeitung Bild über Tübingens Oberbürgermeister und seine Kritik an der Multikulti-Werbekampagne der Deutschen Bahn zu lesen: „Boris Palmer ist eine notorische Krawallnudel und ziemlich eitel verliebt in seine eigenen Provokationen.“ Har har. (Ich finde den Namen des Kommentators nicht.) „Denn das Bild, das die Bahn von Deutschland und den Deutschen entwirft, ist nicht das, was die große Mehrheit der Deutschen täglich sieht. In der Nachbarschaft. Am Arbeitsplatz. In der Eisenbahn.“ Ist aber richtig und wahr.

Der Tagesspiegel zitiert Palmer zum aktuellen Thema: Menschen wie ich, also alte, weiße Männer, tauchen auf dieser Bildauswahl nicht auf“, sagte er. „Das finde ich erst mal erklärungsbedürftig.“ Offen und bunt heiße nicht, dass Personen, die aussähen wie er, auf einmal keinen Platz mehr zugewiesen bekämen.

Palmer weiß genau, auf welche Knöpfe er drücken muss, damit diejenigen, die er meint, Schnappatmung bekommen. Meinungstyrannen ist der richtige Begriff für Leute (oder schmallippige verletzte Frauen), die gar nicht mehr kontrovers diskutieren können oder wollen und die nur tolerant gegenüber der eigenen Meinung sind. (Beifall von der falschen Seite – etwa von den Salonfaschisten der AfD – sollte man ohnehin ignorieren.)

Ich habe eine Sache, zu der ich stehe und die ich weiterhin für richtig halte, falsch kommuniziert, weil ich mir nicht mehr als eine Minute Zeit genommen habe, um die Wirkungen meiner Formulierungen zu durchdenken.

Das ist natürlich gelogen. Palmer weiß genau, was er tun muss, um in sozialen Milieus, die nicht „grün“ sind, Stimmen bei der nächsten Wahl zu fangen. Der Mann ist ein Naturtalent. Im Gegensatz zu ihm würde ich aber nicht so weicheirig etwas verwässern oder zurücknehmen, was ich gesagt habe.