Pontos Euxeinos

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Le Déluge von Léon-François Comerre, Musée d’Arts de Nantes

Was und zu welchem Ende studieren wir die Urgesellschaft Steinzeit? Ich bin eher durch Zufall auf das Thema gekommen: Seit Wochen quäle ich mich unter anderem durch Heide Wunders (Hrsg.): Feudalismus – 10 Aufsätze – dort wird eine interessante Diskussion innerhalb der marxistischen Geschichtswissenschaft der 60-er Jahre referiert. Thema: Wie definiert man vorfeudale Gesellschaften, die weder durch Sklavenhaltung geprägt sind noch im Marxschen Sinne eine „Orientalische Despotie“ bzw. „asiatische“ Produktionsweise sind?

Eckehard Müller-Mertens vertrat die Thesen, dass 1) „die Durchbrüche zu weltgeschichtlich weiterführende Entwicklungen“ meist in „verhältnismäßig rückständigen Randgebieten“ erfolgt sei“, was die Frage aufwerfe, ob der Feudalismus in Europa vielleicht nur eine „primitive Variante“ einer Gesellschaftsformation ist, „die feudale und andere, nichtfeudale, vorkapitalistische Produktionsverhältnisse“ einschließe, und 2) was das okzidentale „Mittelalter“ so besonders gemacht habe, dass sich daraus – und nur dort – der Kapitalismus entwickelt habe? („Trotz seines marxistischen Weltverständnisses konnten sich seine Werke in den Leitdarstellungen der DDR-Geschichtswissenschaft nicht durchsetzen“ – wahrscheinlich hatte er also mit seinen Thesen recht.) Je detaillierter man das diskutiert, um so komplizierter wird es. Da es in Deutschland keine marxistischen Historiker mehr gibt, bleibt das Problem vorerst ungelöst.

Marx schreibt in den Grundrissen: „Nicht die Einheit der lebenden und tätigen Menschen mit den natürlichen, unorganischen Bedingungen ihres Stoffwechsels mit der Natur, und daher ihre Aneignung der Natur – bedarf der Erklärung oder ist Resultat eines historischen Prozesses, sondern die Trennung zwischen diesen unorganischen Bedingungen des menschlichen Daseins und diesem tätigen Dasein, eine Trennung, wie sie vollständig erst gesetzt ist im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital.“

Wann man aber von einer „Einheit“ sprechen kann oder, wie Marx es oft nennt, von „ursprünglichen“ oder „naturwüchsigen“ Bedingungen der Produktion“, ist unklar – der Begriff „Urgesellschaft“ kann alles bedeuten – eine Horde Neandertaler oder diejenigen Zivilisationen, die mehrere Jahrtausende vor dem antiken Griechenland außerordentliche komplexe Kunstwerke geschaffen haben, wie sie bei Marija Gimbutas: Göttinnen und Götter des Alten Europa: Mythen und Kultbilder bewundert werden können. (Ein großartiges Buch! Offenbar gibt es gar kein anderes, das die Kunst Alteuropas – also vor der Einwanderung der Indoeuropäer – so zusammenfasst.)

Wie ich schon erwähnte, stieß ich dann auf Harald Haarmanns Das Rätsel der Donauzivilisation: Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas. Diese Zivilisation, die auch Alteuropa“ genannt wird, habe die „Voraussetzungen für den rasanten Aufstieg der griechischen Kultur im ersten Jahrtausend v. Chr. geschaffen“. Ohne diese wiederum ist das heutige Europa nicht zu denken. Was wissen wir über die sechs oder gar mehr Jahrtausende davor?

donauzivilisation

Übersicht: Haarmann: Das Rätsel der Donauzivilisation

Schon zu Beginn der Lektüre musste ich bei mir große Bildungslücken entdecken. Noch weniger war mir zum Beispiel bewusst, dass es ca. 6700 v. Chr. eine Sintflut gab – das Mittelmeer brach durch die heutigen Dardanellen, ergoß sich in das Schwarze Meer und überflutete weite Landstriche der Ufer. Auf Grund des heutigen geologischen Forschungsstandes kann man davon ausgehen, dass es keine Hypothese mehr ist, sondern ein Faktum.

Black Sea

Das Dunkelblaue zeigt die ursprüngliche Größe des Schwarzen Meeres – im Altertum als Pontus Euxeinos bekannt -, das Hellblaue die überfluteten Regionen ab Ende des 6. Jahrtausends v. Chr..

Haarmann diskutiert, dass vor der großen Flut eine Migration von Anatolien nach Thessalien (und auch in die Gegenrichtung) stattgefunden habe, was unter anderem auch die Humangenetik beweisen kann, und dass die Technik des Ackerbaus so in das heutige Nordgriechenland gelangte. „Die Besiedelung Thessaliens durch sesshafte Ackerbauern markiert den Beginn einer Ära, die man als Inkubationszeit der Donauzivilisation bezeichnen kann“ (Haarmann, S. 22) Diese frühe Phase des Neolithikums kannte noch keine Töpferei, die entstand erst ab ca. 6500 v. Chr..

alteuropa

Credits: David W. Anthony: Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World

Das ökologische Gleichgewicht der Schwarzmeerregion änderte sich nach der Sintflut dramatisch. Um ca. 6200 v. Chr. erlebten die Menschen eine „kleine Eiszeit„. „Solange die Kälteperiode anhielt, blieb die Kultivierung von Nutzpflanzen auf Gebiete südlich der Dobau beschränkt. In Anatolien war die Verschlechterung der klimatischen Bedingungen noch drastischer als in Europa. Die feuchten Niederungen rings um Çatalhöyük – die um 7400 v. Ch. gegründete, nach Jericho zweitälteste Stadt der Alten Welt -, trockneten aus, ebenso die in der Nähe der Stadt bebauten Felder.“ Çatalhöyük wurde ca. 6000 v. Chr. von den Einwohnern verlassen.

Um 5800 v. Chr. erwärmte sich das Klima wieder – und die Bewohner Thessaliens gründeten zahlreiche Siedlungen (oder brachten die Idee des Ackerbaus dorthin) „in den Schluchten des Balkan“ und an der Donau, zum Beispiel Karanovo im heutigen Bulgarien oder Lepenski Vir in Serbien. (Die Ortsnamen hatte ich noch gehört…)

Ich habe mir gleich noch das Standardwerk für das gekauft, was danach – in der Bronzezeit – spannend und interessant wird: David W. Anthonys Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World.
Anthony gives a broad overview of the linguistic and archaeological evidence for the early origins and spread of the Indo-European languages, describing a revised version of Marija Gimbutas’s Kurgan hypothesis. Anthony describes the development of local cultures at the northern Black Sea coast, from hunter-gatherers to herders, under the influence of the Balkan cultures, which introduced cattle, horses and bronze technology.

When the climate changed between 3500 and 3000 BCE, with the steppes becoming drier and cooler, those inventions led to a new way of life in which mobile herders moved into the steppes, developing a new kind of social organisation with patron-client and host-guest relationships. That new social organisation, with its related Indo-European languages, spread throughout Europe, Central Asia and South Asia because of its possibilities to include new members within its social structures.

david w. Anthony

Demnächst mehr in diesem Theater. Nun der Vorhang zu und alle Fragen offen.