Euthanasie [Update]

Special Selection

Ich habe einen Grund, warum ich das ziemlich teure Buch von Anika Burkhardt Das NS-Euthanasie-Unrecht vor den Schranken der Justiz: eine strafrechtliche Analyse gekauft habe. Ich rege mich immer noch auf.

1965 leitete Fritz Bauer ein Ermittlungsverfahren gegen sechzehn hochrangige Juristen ein, die am 23./24. April 1941 an einer Besprechung in Berlin teilgenommen hatten. Dort hatten sie offiziell von der Tötung Geisteskranker erfahren und danach widerspruchslos die Anordnung befolgt, Strafanzeigen unbearbeitet ans Reichsjustizministerium abzugeben. Die Voruntersuchungen wurden 1970 eingestellt. (…) Von 438 ‚Euthanasie‘-Strafverfahren, die bis 1999 eingeleitet wurden, endeten nur 6,8 % mit rechtskräftigen Urteilen, darunter zahlreichen Freisprüchen.

Ich erwähnte hier schon im Oktober 2017, dass mein Großonkel Helmuth Schröder, der jüngste Bruder meines Großvaters,im Zuge des Euthanasie-Programms von den Nazis ermordet wurde, weil er an Epilepsie litt. Leider wurde das Landesarchiv Berlin auf der Suche nach Unterlagen darüber nicht fündig, die Akten aus Westpreußen sind verstreut oder ungeordnet in Polen.

Der Ermordung unheilbar Kranker und Behinderter hatte Adolf Hitler im Oktober 1939 mit einem auf den 1. September zurückdatierten und auf seinem Privatbogen verfassten Schreiben die Ermächtigung gegeben: ‚unheilbar Kranken … [sollte] der Gnadentod gewährt werden‘. Die Rückdatierung des Erlasses verdeutlichte, dass mit Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 auch der innere Krieg gegen Menschen begonnen hatte, die dem Rassenideal der Nationalsozialisten nicht entsprachen und somit als „schädlich“ und „wertlos“ galten. (LEMO)

Die Zentrale Stelle für Justizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen riet mir, ich solle mich an den International Tracing Service (ITS) wenden, da man in Ludwigsburg nur für die Täter zuständig sei – die vermutlich schon alle tot sind.

Bei der ITS in Arolsen habe ich heute einen Antrag gestellt, nach den Akten über meinen ermordeten Großonkel zu suchen.

Ich bekam vorgestern noch eine Nachricht, die mich aufgewühlt hat.

…habe gestern mit der Tochter (…) vom letzten Bürgermeister (…) aus Mittenwalde telefoniert. (…) Sie kennt Deine Urgroßeltern Gustav und Emilie Schröder. Sie wußte auch, dass 3 Töchter und ein Sohn in dieser Zeit auf dem Hof waren. Die eine Tochter hieß Lina und war geistig behindert. Sie ist später abgeholt worden und der Euthanasie zum Opfer gefallen.(…). Sie kann sich nur daran erinnern, daß diese Lina immer laut geschrieen hat und sie immer Angst hatten auf den Hof zu gehen. (…) Abgeholt wurde Lina ab Ende 1940. Zeitgenau konnte sie sich auch nicht erinnern. Als Kind achtet man da nicht so darauf.

Deine Urgroßeltern hat sie als liebe und nette Menschen in Erinnerung. Nur vor der Tochter hatte sie Angst, weil sie halt so laut geschrien hat. Es gab noch eine Familie Pansegrau, deren Tochter hatte einen sehr großen und unförmigen Kopf. Diese Tochter ist ebenfalls abgeholt worden.

Niemand hat jemals darüber ein Wort verloren. Wenn es stimmt, werde ich das herausfinden, wenn es möglich ist, auch wenn das Jahre dauerte. Mord verjährt nicht.

[Update] Mir wurde mitgeteilt, dass die Suche bis zu einem Jahr dauern kann.