Unter Fremdenhassern

„Der Täter äußerte sich fremdenfeindlich“. Oder: „Autofahrer verletzt aus Fremdenhass vier Menschen.“ Was für ein Unsinn.

Ich schrieb in Nazis sind Pop (2000):

Der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ – auch „Xenophobie“ – wird meistens in suggestivem Sinn gebraucht: man vermutet, es gäbe ein dem Homo sapiens angeborenes Gefühl, jemandem, der unbekannt ist, „automatisch“ zu fürchten oder ihm aggressiv zu begegnen. Die These vom angeborenen „Fremdenhass“ entstammt einer falschen Analogie aus dem Tierreich und wird von einigen rechtskonservativen Forschern wie Irenäus Eibl-Eibesfeld vertreten. Der „Hass“ gegen das oder den Fremden sei ein evolutionsgeschichtliches Überbleibsel, eine Art Instinkt, der die eigenen Vorräte zum Überleben vor dem Zugriff Fremder schütze. Der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeld behauptet, „Fremdenfeindlichkeit“ sei „stammesgeschichtlich“ angeboren. Jedes Volk wehre sich gegen „Überfremdungen“.

Den „Fremden“ an sich gibt es nicht – genausowenig wie „Fremdenfeindlichkeit“. Soziale und physische Aggression eines Kollektivs gegen bestimmte Gruppen von Menschen setzt voraus, dass man sich vorher darüber verständigt hat, welche Eigenschaften diejenigen haben sollen, gegen die man negative Gefühle wie Hass zeigt. Die „Fremden“ werden immer konstruiert, durch Gesetze oder durch den gesellschaftlichen Diskurs, der sich bestimmter Vorurteile bedient. Die Theorien, die die Begriffe „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Xenophobie“ vertreten, reduzieren den Menschen auf Natur und interpretieren soziale Tatsachen biologistisch.

Auch die oft vertretene These, die so genannte „Fremdenfeindlichkeit“ läge in der menschlichen Pyche begründet, ist schlicht grober Unfug. Wer „Fremdenfeindichkeit“ psychologisch definiert, muss auch Rassismus und Antisemitismus aus der Seele ableiten, womöglich aus der deutschen, brasilianischen oder chinesischen Seele ganz speziell. Als „fremd“ gelten manchen Leuten auch Behinderte, Obdachlose, emanzipierte Frauen oder Angehörige bestimmter Subkulturen wie Punks oder Grufties. Im allgemeinen Sprachgebrauch benutzt man „Fremdenfeindlichkeit“ jedoch meistens für Immigranten mit oder ohne deutschen Pass. Psychologische Spekulationen, die „Fremdenfeindlichkeit“ als abweichendes Verhalten klassifizieren zu wollen, bleiben oberflächlich. Sie lassen ausser acht, dass auch „normale“ und unauffällige Menschen Vorurteile haben, also Gruppen von Menschen zu „Fremden“ machen können.

Wer „Fremdenfeindlichkeit“ bestimmen will, muss genau sagen, welche Gruppe als „fremd“ angesehen wird, wie sich diese „Feindschaft“ äussert, und wie sie sich von anderen „Feindlichkeiten“ wie rassistischen und antisemitischen Vorurteilen oder sexueller Diskriminierung unterscheidet. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahr 1913 bestimmt zum Beispiel, dass eine deutsche Frau, die einen Ausländer heiratet, automatisch zu einer Fremden, das heisst Ausländerin wird… Die deutschen Juden wurden durch 1933 durch das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, die so genannten „Nürnberger Rassegesetze“, juristisch zu Fremden gemacht. (…)

„Fremdenfeindlichkeit“ ist eine politisch bewusst gewollte soziale Ausgrenzung und kann „künstlich“ erzeugt werden. Wird eine Gruppe von Menschen per Gesetz oder durch soziale und wirtschaftliche Diskriminierung ausgegrenzt, zieht sie automatisch Vorurteile nach sich. Wer von der Gesellschaft ferngehalten wird, entwickelt automatisch alternative Existenz- und Verhaltensweisen, die der Mehrheit fremd sind. Soziale Diskriminierung erzeugt „Fremdheit“ auf beiden Seiten – der Mehrheit und der Minderheit. Dafür gibt es den Begriff der „Selbstethnisierung“: Im Kampf um Anteile an der gesellschaftlichen Macht muss sich jeder eine Gruppe zugehörig fühlen, um eine Chance zu bekommen, gemeinsam mit anderen etwas zu erreichen. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es schon lange eine Diskussion darüber, wie und ob die urspründlich „Fremden“, zumeist die Einwanderer und deren Nachfahren, die Nachteile ihrer Herkunft in das Gegenteil zu verkehren.