Lügenpresse, revisited [Update]

Der Spiegel entlarvt einen eigenen Redakteur als Betrüger: „Ein Reporter des SPIEGEL hat in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert. Durch interne Hinweise und Recherchen erhärtete sich in den vergangenen Tagen der Verdacht gegen Claas Relotius – der inzwischen Fälschungen zugegeben und das Haus verlassen hat.“

Relotius hat auch für andere Medien im In- und Ausland gearbeitet. Er publizierte in seiner Zeit als freier Journalist unter anderem in „Cicero“, der „Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag“, der „Financial Times Deutschland“, der „taz“, der „Welt“, im „SZ-Magazin“, in der „Weltwoche“, auf „Zeit Online“ und in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Schadenfreude ist nicht angebracht. Wie sieht es denn in anderen Medien aus, die ihren Schreiberlingen nicht so genau auf die Finger gucken?

Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre. Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-„Journalist of the Year“ gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der „30 under 30 – Europe: Media“ – und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen.

Unfassbar. Ich weiß schon, warum ich Preise für Journalisten für Bullshit halte.

[Update] „Letztlich steckt hinter dem „Fall Relotius“ aber ein viel grundsätzlicheres Problem. Ausgezeichnet und gedruckt werden hauptsächlich Reportagen, die kompliziertere politische Zusammenhänge und Szenarien auf rührselige und psychologisierende Einzelgeschichten runterbrechen. Dann sind plötzlich nicht mehr die jahrelange Dürre in Syrien, ökonomische Fehlentwicklungen in Folge der Weltfinanzkrise, geopolitische Fragen und Interessen sowie damit verbundene ausländische Interventionen für den Bürgerkrieg in Syrien verantwortlich, sondern ein Jugendlicher, der eine Parole an die Wand schreibt und ein blutsaufender Diktator, der so ist, weil er eben gerne Blut säuft. Und genau diese Form von Journalismus hat Relotius bedient. Wenn der jetzt verschwindet, wird sich an diesem grundsätzlichen Webfehler des deutschen Journalismus nichts ändern. Im nächsten Jahr hat dann halt ein anderer das verlogene Rührstück geschrieben, dem der Preis verliehen wird.“ (Christian Y. Schmidt)