In der Blase und draussen oder: Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters [Update]

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Während des Frühstücks nach der Nachtschicht sah ich mich in der Medienblase um.

Warum Trump die Wahl gewonnen hat
Das Magazin (mit recht naiven Statements des Autors): „Der Psychologe Michal Kosinski hat eine Methode entwickelt, um Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook minutiös zu analysieren. (…) Das Smartphone, stellt Kosinski fest, ist ein gewaltiger psychologischer Fragebogen, den wir konstant bewusst und unbewusst ausfüllen. (…) Ab Juli 2016 wird für Trump-Wahlhelfer eine App bereitgestellt, mit der sie erkennen können, welche politische Einstellung und welchen Persönlichkeitstyp die Bewohner eines Hauses haben. Wenn Trumps Leute an der Tür klingeln, dann nur bei jenen, die die App als empfänglich für seine Botschaften einstuft. Die Wahlhelfer haben auf den Persönlichkeitstyp des Bewohners angepasste Gesprächsleitfaden bereit. Die Reaktion wiederum geben die Wahlhelfer in die App ein – und die neuen Daten fliessen zurück in den Kontrollraum von Cambridge Analytica.“

Schon klar. Das ist nicht neu. Steht genau beschrieben (fast wörtlich) bei Stefan Schulz: Redaktionsschluss: Die Zeit nach der Zeitung.

Frage: Warum machen die Linken nicht so einen Wahlkampf? Wenn sie sich dem verweigern, werden sie gnadenlos untergehen. Just saying.

[Update] Lars Fischer nimmt das auf Scilogs mal auseinander.

Obligatorisch: Katzenbilder

And now for something completely different Katzenbilder.

Divida et impera

And now for something completely different. The Intercept: „Hillary Clinton’s “Corrupt Establishment” Is Now Advising Donald Trump“. Wer hätte das jetzt gedacht? In den deutschen Medien jammern immer noch die Clinton-Groupies herum, (vor allem in der taz und anderen neokonservativen Blättchen). Die kapieren es nicht. Trump oder Clinton – das sind nur verschiedene Fraktionen der herrschenden Klasse der USA. Und nichts anderes ist interessant.

Unter Schnappatmenden

Was ist eigentlich Schnappatmung? Henryk M. Broder zitiert die Aachener Zeitung: „Zunahme von Krätzefällen in der Region“. Die Zeitung frage: „Gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg von Krätzefällen und der Flüchtlingswelle im vergangenen Jahr? Es ist kein Geheimnis, dass Immigranten während ihrer Flucht und danach teilweise monatelang unter beengten Bedingungen gelebt haben. Bedingungen, unter denen sich Krätze gerne ausbreitet.“

Ja, warum sollte man sich darüber aufregen? Damit hätte man rechnen müssen und sich vorbereiten können. Broder ist natürlich ein begnadeter Polemiker, der genau weiß, auf welche Knöpfe man drücken muss, um bei seinen „Freunden“ Schnappatmung auszulösen wie bei einem Pawlowschen Hund. Seine Überschrift lautete: „Wir bekommen die Krätze geschenkt.“ Man kann Broder gar nicht verteidigen, weil gleich der irrationale Beißreflex folgt(e): Broder suggeriere den bekannten rechtspopulistischen Textbaustein „man wird doch doch noch sagen dürfen.“ Mitnichten. Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters.

In Wahrheit macht Broder sich über die lustig, die Einwanderer und Flüchtlinge pauschal als Geschenk bezeichnen, womöglich als eines der Vorsehung oder eines höheren Wesens. Das ist so grober Unfug. Flüchtlinge sind einfach da, und unsere herrschenden Klasse und ihre ökonomischen Helfershelfer haben kräftig dazu beigetragen, dass sie ihre Heimat verlassen mussten und immer noch müssen.

Was noch beim Frühstück? Irgendwas mit Medien

focus

Ja. Focus eben. Warum sollte ich mich echauffieren? Ich erwarte nichts anderes. Es ist Kapitalismus, Honey. Gesetzmäßige Charaktermasken, Honey. Nothing personal. Der Journalismus ist tot, mausetot. Die Idee, dass die Bevölkerung „aufgeklärt“ werden könne und womöglich sogar „objektiv“, war von Anfang an eine Lebenslüge. Journalisten vertreten ideologisch die Klasse, aus der sie stammen, also mehrheitlich die Kleinbourgeoisie, und neigen dazu, die Interessen der herrschenden Klasse als die Interessen aller zu verkaufen. Das sagt die Wissenschaft, und das will natürlich niemand hören. Die Devise ist einfach: Weiter so, es wird schon niemand merken. Das stimmt auch innerhalb der Blase (inklusive Fratzenbuch).

Im Kapitalismus gibt es keine Objektivität, auch nicht, wenn man audiatur et altera pars ernst nimmt. Und die Rezipienten schert es eh nicht.

Was macht eigentlich die Arbeiterklasse?

Und nun verlassen wir die Blase und wenden uns der Realität zu. Gestern Nacht habe ich lange einem Kollegen zugehört, der, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt, sich gern unfreiwillig als dumm und rechts outet, ohne das zu merken. Das macht aber nichts. Man muss den Leuten zuhören (nein, ich habe nicht gesagt, man müsse mit ihnen diskutieren). Man lernt viel. Kleinbürgerliche Arroganz – die typische Attitude von Journalisten gegenüber dem Proletariat – ist fehl am Platz.

Der Kollege erzählte mir, wo er schon überall gearbeitet hat, quer durch Deutschland, immer auf der untersten Stufe der Lohnskala und fast immer als Leiharbeiter. Spannend, das geschildert zu bekommen. Das nur, weil irgendwelche Pappnasen hie und da behaupten, die Arbeiterklasse existiere nicht mehr. Ach ja? Wisst ihr, wie und wo die Plastikverschlüsse von Shampooflaschen hergestellt werden? In welchen Fabriken? Wie arbeitet man da? Wo und wie werden Rasierklingen gemacht? Wo und wie Herzkatheter? (Nur ein paar Beispiele.)

Die Arbeiterklasse ist überall, aber sie existiert weder in der Medienblase noch in den Medien. Wenn das Proletariat vorkommt, zum Beispiel im „Tatort“, dann nur im pseudoromantischen Bergarbeitermilieu (das es kaum noch gibt). Oder habt ihr schon mal einen Stahlarbeiter oder Bauarbeiter im Film oder als Filmheld gesehen?

Ich habe einiges gelernt. Was wäre aber, wenn es zum Beispiel einen Streik im Sicherheitsgewerbe gäbe? Dann muss man die Leute überzeugen, die oft und unstrittig nicht besonders clever sind (um es vorsichtig auszurücken). Mit Gendersprech, Ökologie, Veganismus-Asketismus und anderen Lifestyle-Themen kommt man nicht weit. Klassenbewusstsein fällt auch nicht immer vom Himmel. Man muss seinen Weg gehen.

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Kommentare

8 Kommentare zu “In der Blase und draussen oder: Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters [Update]”

  1. Martin Däniken am Dezember 4th, 2016 2:52 am

    Graf Zahl aus der Sesamstrasse hat doch eine gewisse Ähnlichkeit mit Genosse Lenin,oder.
    Wusste ich es doch,die Beeinflussung durch das Fernsehen fängt ja früh an…
    Aber wer steckt dahinter?
    Die Kapitalisten,die sich ausrechnen(HA),eine frühzeitige Konditionierung würde sich auszahlen oder die ROTEN,die über die Bande spielen…

  2. ... der Trittbrettschreiber am Dezember 4th, 2016 8:58 am

    „Das nur, weil irgendwelche Pappnasen hie und da behaupten, die Arbeiterklasse existiere nicht mehr.“

    Danke, schön, der Schuh zum Anziehen – ich frage mich nur(andere traue ich mich schon lange nicht mehr zu fragen),wieso diese Arbeiterklasse immer so vollständig verblödet und gegen sich selbst entschlossen aufrecht auftritt, einer von ihnen hat hier sogar einen Knüppel in der Hand. Und hinterher, nach dem Leckerli, dass vom Tisch (Klopfgeräusche mit einem Baseballschläger am Tischbein nerven ab einem gewissen Zeitpunkt)runtergesabbert kam und das den Magen des schnellsten und skrupellosesten Klassenbewussten füllte, singen alle die Leiharbeiterhymne noch devoter. Den größten Lachanfall(ebenfalls beim Frühstück) hatte ich während der Nachrichten, die aus meinem standesgemäß bereits etwas krächzenden „Folks“ – Empfänger (Laptop) hervorkrochen: Siemens-Chef für Grundeinkommen! Wer ist dagegen? Die Gewerkschaft. Selbstverständlich übersteigt die Taktik beider Protagonisten des Kapitalismus meinen klassenverneinenden Horizont, dennoch – ich weiß jetzt wieder, dass es lohnt, die Dummheit zu lieben. Alles andere wäre einfach unfair gegenüber dem Kabarett. Wie allerortens zu sehen ist, ist Intelligenz eine omnipräsente Form eben dieser Dummheit(Cybereingreiftruppe).

    PS Das perspektivische Denken und Wahrnehmen ist ein Derivat der Eklektik, die anmaßend unterstellt, dass die Pizza, auf der von allen anderen Pizzen (Pizzas?) etwas drauf ist, am besten schmeckt.
    Wieder ein Argument, der Dummheit zu huldigen. Denn die hat wenigstens (manchmal) noch Zweifel (oder unbegründete Brechreflexe).

    :O)… Der Online-Schönheitschirurg meines Misstrauens sagt, meine Nase sei noch okay – tja, auch er hat es nicht einmal mehr nötig…

  3. Martin Däniken am Dezember 4th, 2016 6:46 pm

    Da es meineserachtens keine Arbeiterklasse gibt-ist mit den letzten Schimanski-Tatorten ausgestorben((Bergmannschöre ausgeschlossen)-sondern nur ein Prekariat das mit Hängen und Würgen aber ohne Stolz auf Eigenleistung dahin ichweisskeinverbdafür.
    Aber vielleicht habe ich Wahrnehmungsdefizite…
    Die gehen soweit das ich die Gangster aus „Peaky Blinders“ als der Arbeiterklasse zugehörig sehe?!
    Nun gutanders die Berliner Ringvereine.
    Schon seltsam.
    Also ich verbinde mit A.k. den Stolzt auf eigene Schöpfungen,Zukunftvisionen und sein Ding zumachen und das alle Welt den Begriff verwendet,bis er zur totalen Aushöhlung von jedermann gedankenlos/herzlosabgenickt wird…

  4. Godwin am Dezember 5th, 2016 8:16 pm

    was schrieb Bill Buford über die englische (Nicht-Mehr-)Arbeiterklasse:

    “ . . . It is still possible, I suppose, to belong to a phrase–the working class. A piece of language that serves to reinforce certain social customs and a way of talking, and that obscures the fact that the only thing hiding behind it is a highly mannered suburban society stripped of culture and sophistication and living only for its affectations: a bloated code of maleness, an exaggerated, embarrassing patriotism, a violent nationalism, an array of bankrupt anti-social habits. This bored, empty, decadent generation consists of nothing more than what it appears to be. It is a lad culture without mystery, so deadened that it uses violence to wake itself up. It pricks itself so that it has feeling, burns its flesh so that it has smell.“

  5. blu_frisbee am Dezember 5th, 2016 11:39 pm

    Das Wort Proletariat (2h20m) steht für eine Gesellschaftsdiagnose. Sämtliche Bestimmungen dieser Klasse existieren nach wie vor daß es nur so kracht.
    Aber vom Bewußtsein her und als gesellschaftliche Kraft existiert es nicht mehr und ist damit auch für Soziologen nicht mehr vorhanden.

  6. blu_frisbee am Dezember 5th, 2016 11:44 pm

    Cambridge Analytics hypet durchs Netz. Beim SPON gibts Kritik die auf Wired verweist und wieder a bissl abkühlt.

  7. trung tam bao hanh kbvision am Dezember 6th, 2016 1:18 am

    trung tam bao hanh kbvision

    In der Blase und draussen oder: Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters [Update] : Burks' Blog

  8. Facebook und die drei Siebe des Sokrates : Burks' Blog am März 24th, 2018 11:20 pm

    […] diskutierte ich mit engen Freunden über so genannte „soziale Netzwerke“. Am 03.12.2016 (also vor zwei Jahren) schrieb ich […]

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