Natürlich nichts gewusst

Das Neue Deutschland fasst noch mal den Stand des NSU-Prozesses zusammen: Jede Menge offenen Fragen, die nie beantwortet werden können.

„Die Bundesanwälte wollten den skandalösen Fall staatlichen Versagens bei der Abwehr von Rechtsterroristen möglichst rasch anklagen. Und dabei den Kreis der Verdächtigen eng begrenzen. Lass es nur kein Netzwerk sein! (…) Und so sammelte man eifrig alle belastenden Indizien gegen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie die anderen vier angeklagten Nazi-Figuren. Das Umfeld verschwamm bis zur puren Unschärfe. (…) Die Forensik spielte bei den Ermittlungen eine große Rolle. »Wir haben viel gefunden«, sagt Greger. Stimmt. Was man allerdings nicht gefunden hat, sind beispielsweise DNA-Spuren von Böhnhardt und Mundlos – tatsächlich: an 28 Tatorten nicht eine einzige. Auch keine Fingerabdrücke.“

Besonders interessant dieses: „Es gibt eine Anweisung von Oberstaatsanwältin Greger, die von Weitblick geprägt gewesen zu sein scheint. Zehn Tage nachdem der NSU aufgeflogen war, verfügte sie, dass keinerlei Ermittlungswissen an den Verfassungsschutz weitergegeben werden darf. Denn es bestehe der Verdacht, dass der NSU der bewaffnete Arm »einer Partei sein oder einen Bezug zur organisierten Kriminalität« haben könnte. Und man wisse ja nicht, wie tief der Verfassungsschutz in solche Sachen involviert sei. Doch diese Anweisung hatte leider nicht lange Bestand.“

Ich hatte früher immer Zweifel, ob es einen organisierten Rechtsterrorismus à la „Barune Armee Fraktion“ gebe, vor allem deshalb, weil alle in Frage kommenden Anführer Spitzel des Verfassungsschutzes waren. Ich traue dieser Behörde ziemlich viel zu, aber so etwas erschien mir doch etwas zu abwegig, da einer ja immer plaudert und das recht schnell ans Tageslicht gekommen wäre. Dachte ich damals. Das war falsch. Das Vertuschen ist offenbar dumm und dreist amtsübergreifend.

Ich schrieb 2003:
Zum anderen vertritt der suggestive Begriff „Braune Armee Fraktion“ eine These, wie das ultrarechte Milieu strukturiert sei. Das vorgebliche Fehlen einer „Struktur“ war immer das wichtigste Argument, den Terror von rechts nicht ernst zu nehmen. Je mehr jedoch rassistische und antisemitische Ideen gesellschaftlich hoffähig sind, um so weniger bedarf es einer „Struktur“ des ultrarechten Milieus. Jeder Neonazi ist ein potentieller Terrorist, aber diese Möglichkeit muss nicht dauerhaft sein. Rassismus ist eine positive Option, ein Versprechen, nach irrationalen Kriterien soziale Grenzen so definieren zu können, dass man selbst einen Vorteil davon hat. Terror, der eine antisemitische und rassistische Motivation voraussetzt, ist immer individuell, weil die Ideologie und „moralische“ Begründung auf der subjektiven und rein irrationalen Entscheidung beruht, wer als der jeweilige Gegner anzusehen sei. Der „linke“ Terror der RAF bedurfte hingegen der theoretischen Legitimation und einer eschatologischen Interpretation der Geschichte, um potentielle Sympathisanten zu gewinnen. Terror, und das scheint hochaktuell, ist immer ein Zeichen der Niederlage der Idee.

Ja, weil wir heute die Salonfaschisten von der AfD haben und Pegida und Konsorten.

Der wichtigste Abschnitt im Artikel des ND ist dieser:
„Der Mann mit dem Arbeitsnamen Lothar Lingen ist jener ehemalige Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der am 11. November 2011 in einer Schredderaktion die Akten von V-Leuten vernichtet hat. Er war stets wortkarg, doch bei einer Vernehmung durch das BKA hatte er 2014 sein Motiv für die Vernichtungsaktion erklärt. Es sei bereits damals ‚völlig klar‘ gewesen, dass die Öffentlichkeit angesichts der vielen Quellen, die der Verfassungsschutz in der Thüringer Naziszene platziert hatte, nie geglaubt hätte, dass der Geheimdienst nichts vom NSU gewusst hat. Im Gegenteil, schon die nackten Zahlen der V-Leute sprachen dafür, ‚dass wir wussten, was da läuft‘.“

Quod erat demonstrandum.