Sinn: Marx macht teilweise Sinn

Fall der Profitrate

Die Profitrate für Deutschland bezieht sich auf Westdeutschland 1950–1990 und die Bundesrepublik 1991–2000. Angaben in Prozent (Quelle: IWF). Das Foto von Olga Kurylenko musste sein, weil sonst bei dem Thema jeder sofort weggezappt wäre.

Ich empfehle heute mal „schweren Tobak“, und die geneigten Stammleserinnen und wohlwollenden Stammleser werden sehr überrascht sein, zählen doch die „Volkswirtschaftler“ zu den Berufen, deren Image bei mir vergleichbar ist mit dem von Pfaffen, Kinderschändern und Immobilienmaklern.

„Der Betriebswirt hilft dem Betrieb, und der Volkswirt hilft dem Volk.“ (Hans-Werner Sinn) (Muahahahaha)

Ich empfehle einen Artikel von Hans-Werner Sinn, einem der angesehensten und, weil meistzitierten „Volkswirtschaftler“ Deutschlands. Die Spannung steigt schon? Kann denn das wahr sein? Ich wurde auf diesen Artikel durch ein Interview auf Welt online aufmerksam, in dem Hans-Werner Sinn wettet, dass Griechenland aus der Währungsunion austreten werde. (Sinn hatte Putin noch nicht auf der Agenda. Ich würde den Griechen ja einen offiziellen Staatsbankrott empfehlen. Vermutlich haben die das As schon im Ärmel, denn die Ökonomen der Syriza sind bekanntlich keine Dummköpfe, auch wenn die deutschen Medien das gern herbeischreiben würden.)

Der Der Artikel (pdf) heißt „Das Marxsche Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“, erschienen in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ 131, 1975 (!!), S. 646-696.

Warum ich das empfehle? Zunächst aus dem Grund, weil Sinn Marx offenbar im Original gelesen hat, was für 95 Prozent der heutigen „Volkswirtschaftler“ nicht zutrifft. Er nimmt ihn auch ernst und zerlegt und analysiert jedes Komma in der Marxschen Argumentation, inklusive der ernst zu nehmenden Sekundärliteratur. (Zuerst die „Schlußbetrachtung“ lesen – der Artikel selbst ist nur für Marxisten, Masochisten und/oder Kaltduscher.)

Das Fazit: Die Marxsche Argumentation des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate ist in sich schlüssig und stimmt, allerdings kann man aus ihr nicht ableiten, dass der Kapitalismus notwendig und bald in sich zusammenbräche. (So sehe ich das übrigens aus anderen Gründen auch.)

Das sagen aber auch einige „Marxisten“, die Marx ernsthaft analysieren und die „Das Kapital“ und andere Schriften nicht als theologische Literatur und ewige Wahrheiten ansehen, sondern – wie es Marx es sich gewünscht hätte – als Diskussionsgrundlage.

Da der Artikel Sinns 1975 geschrieben wurde und zum Beispiel von der gegenwärtigen „normalen“ kapitalistischen Überproduktionskrise noch nicht die Rede war, müsste man seine Argumente noch einmal überprüfen. (Auf meine To-Do-Liste gesetzt.)

Für Insider: Immerhin scheint mir die Leninsche Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus widerlegt. In der damaligen Zeit waren internationale Konzerne, die auf Nationalstaaten gar nicht mehr angewiesen sind, kaum vorhanden und auch undenkbar. Lenin hätte mal Google, die Royal Dutch Shell oder Fannie Mae analysieren müssen, dann wäre ihm das selbst klar geworden.