Patriotischen Arabesken und das deutsche Sündenregister

Die Völker aneinander zu hetzen, das eine zur Unterdrückung des andern zu benutzen und so für die Fortdauer der Herrschermacht zu sorgen – das war die Kunst und das Werk der bisherigen Gewalthaber und ihrer Diplomaten. Deutschland hat sich in dieser Hinsicht ausgezeichnet. Es hat, um nur das 18. und frühe 19. Jahrhundert ins Auge zu fassen, seine Landsknechte für englisches Gold den Briten gegen die für ihre Unabhängigkeit kämpfenden Nordamerikaner überliefert; als die erste französische Revolution losbrach, waren es abermals die Deutschen, die sich wie eine tolle Meute gegen die Franzosen hetzen ließen, die mit einem brutalen Manifeste des Herzogs von Braunschweig ganz Paris bis auf den letzten Stein zu schleifen drohten, die sich mit den ausgewanderten Adligen gegen die neue Ordnung in Frankreich verschworen und sich dafür von England unter dem Titel von Subsidien bezahlen ließen.

Als die Holländer während der letzten drei Jahrhunderte einen einzigen vernünftigen Gedanken faßten, der tollen Wirtschaft des Hauses Oranien ein Ende und ihr Land zur Republik zu machen, waren es wiederum Deutsche, die als die Scharfrichter der Freiheit auftraten. Ja, bis nach Griechenland hin entsandte man deutsche Söldnerscharen, die dem lieben Otto sein Thrönchen stützen mußten, und bis nach Portugal deutsche Polizisten. Und die Kongresse nach 1815, Östreichs Züge nach Neapel, Turin, Frankreichs Unterdrückungskrieg gegen Spanien von Deutschland erzwungen, – die Reaktion in England mit hannoverschen Truppen bewaffnet, Belgien durch deutschen Einfluß zerstückelt …

Mit Hülfe deutscher Soldateska Polen beraubt, zerstückelt, Krakau gemeuchelt. Mit Hülfe deutschen Geldes und Blutes die Lombardei und Venedig geknechtet und ausgesogen, mittel- oder unmittelbar in ganz Italien jede Freiheitsbewegung durch Bajonett, Galgen, Kerker und Galeeren erstickt. Das Sündenregister ist viel länger; schlagen wir es zu.

Die Schuld der mit Deutschlands Hülfe in andern Ländern verübten Niederträchtigkeiten fällt nicht allein den Regierungen, sondern zu einem großen Teil dem deutschen Volke selbst zur Last. Ohne seine Verblendungen, seinen Sklavensinn, seine Anstelligkeit als Landsknechte und als „gemütliche“ Büttel und Werkzeuge der Herren „von Gottes Gnaden“ wäre der deutsche Name weniger gehaßt, verflucht, verachtet im Auslande, wären die von Deutschland aus unterdrückten Völker längst zu einem normalen Zustand freier Entwickelung gelangt.

Jetzt, wo die Deutschen das eigene Joch abschütteln, muß sich auch ihre ganze Politik dem Auslande gegenüber ändern, oder in den Fesseln, womit wir fremde Völker umketten, nehmen wir unsere eigene junge, fast nur erst geahnte Freiheit gefangen. Deutschland macht sich in demselben Maß frei, worin es die Nachbarvölker freiläßt.

Nur wo das materielle Interesse sich verbirgt unter diese patriotischen Arabesken, nur bei einem Teil der großen Bourgeoisie, die mit diesem offiziellen Patriotismus Geschäfte macht, macht der offizielle Patriotismus noch Geschäfte. Das weiß und benutzt die reaktionäre Partei. Soll Deutschlands Blut und Geld nicht länger gegen seinen eigenen Vorteil zur Unterdrückung anderer Nationalitäten vergeudet werden, so müssen wir eine wirkliche Volksregierung erringen, das alte Gebäude muß bis auf seine Grundmauern weggeräumt werden. Wie wollt ihr demokratisch auftreten nach außen, solange die Demokratie im Inland geknebelt ist?

(Karl Marx, „Neue Rheinische Zeitung“ Nr. 33 vom 3. Juli 1848)