Thesen zum gegenwärtigen Moment und zu flexiblen Formaten

Tagesschau: „Tatsächlich taktiert die NATO um keinen Deut besser als ihr russischer Kontrahent. Offiziell bleibt der Partnerschaftsvertrag mit Russland in Kraft. Aber de facto tut man alles, um ihn auszuhöhlen. Zum Beispiel Kampftruppen in die baltischen Staaten verlegen, was die NATO-Russland-Akte ausdrücklich verbietet. (…) Dasselbe gilt für das multinationale Korps in Stettin. Eigentlich ein Bruch des Vertrages, den man Putin einst abgerungen hatte. Jetzt wird das Korps und damit der Vertrag erweitert, ohne den Vertragspartner zu konsultieren. Wer so agiert, kann kaum moralische Überlegenheit für sich beanspruchen.“

Da war wohl der Zensor gerade austreten.

Die Welt schrieb ungewöhnlich offen am 04.09.2014: „…streitet die deutsche Bundesregierung mit den baltischen Staaten und Polen darüber, wie stark oder ob das Bündnis überhaupt zu einst gemachten Zusagen an Moskau stehen soll.“ Nur um die Fakten zu klären: Der NATO-Gipfel in Madrid (1997) schuf die organisatorische Basis für das Verhältnis zwischen der NATO und der Ukraine. „Als Konsultationsforum wurde der NATO-Russland-Rat (NRR) geschaffen. Dennoch gab es kontroverse Diskussionen um die geplante NATO-Osterweiterung. Russland lehnte diese weiterhin kategorisch ab und plante als Reaktion eine engere militärische Zusammenarbeit mit Weißrussland und den anderen GUS-Staaten.“

Das vertragliche Verhältnis zwischen der NATO und der Ukraine wird also durch die NATO-Ukraine-Charta (1997) geregelt. By the way: „Im April 2008 lehnte ein NATO-Gipfel den Antrag der Ukraine auf Mitgliedschaft ab, obwohl die USA ihn unterstützte.“ (Es wundert mich nicht, dass dieser Vertrag in deutschen Medien weder erwähnt noch online verlinkt wird – dazu hätte man recherchieren müssen.)

Der Vertrag „sichert Moskau unter anderem zu, dass keine größere und vor allem keine dauerhafte Truppenpräsenz in den ehemaligen Ostblockstaaten eingerichtet wird.“ Die NATO hat also schon vor der jetzigen Krise um die Krim und die Ukraine alle Verträge mit Rußland gebrochen.

Ich frage mich aber, was das Wort „Moral“ hier zu suchen hat. Die NATO ist ein Militärbündnis, das – unter der Hegemonie der USA – dazu dient, die Interessen des internationalen Kapitals mit Waffengewalt durchzusetzen.

In Propaganda-Neusprech: „Stabilitätstransfer„. Der Deutschlandfunk übernimmt diese Propaganda-Worthülsen und spricht zum Beispiel von „Stabilisierungseinsätze(n) wie in Afghanistan“. Handelswege am Hindukusch eben – und auch anderswo. Das deutsche Ministerium für Wahrheit nennt das „unter Nutzung flexibler Formate einen Austausch auch mit weiteren Ländern zu pflegen“.

Auch in Russland herrscht Kapitalismus, es gibt also eine Oligarchie wie auch hierzulande, die das Volk mehr oder weniger offen ausplündert. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung heißt die herrschende Klasse Russlands verschämt „bestimmte Eliten“.

Schon das Kommunistischen Manifest (1848) formulierte: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“, welches man ihnen nehmen könne. Schon durch den Weltmarkt, die Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der Lebensverhältnisse werden die nationalen Gegensätze eingeebnet. Wenn die inneren Klassengegensätze aufgehoben werden, gibt es die feindliche Gegenüberstellung der Nationen nicht mehr, weder auf geistiger noch auf materieller Ebene.

Für Linke gibt es also keine relevanten „nationalen Interessen“, die man gegeneinander ausspielen könnte. Es geht nicht für oder gegen Putin oder für oder gegen „den Westen“ (was nur ein nostalgischer, heuchlerischer und pseudo-geografischer Begriff für das internationale Kapital ist).

Die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser werden sich vielleicht fragen, was der erste Teil der Überschrift soll. Sie stammt von den Russen. Die Linke sollte sich ernsthaft daran machen zu diskutieren, ab wann die russische Revolution warum in eine Diktatur überging und ab wann warum die chinesische Revolution „scheiterte“ – in China gibt es heute nur Staatskapitalismus. Auch in der Volksrepublik China existierte eine Linke innerhalb der kommunistischen Partei, die mit der schleichenden politischen und ökonomischen Restauration nicht einverstanden war (Und ich meine nicht die pseudo-linke Viererbande und ihre Groupies).

Wenn man die Fehler der Vergangenheit nicht analysiert, muss man bei Thesen, wie die Zukunft aussehen sollte, sehr vorsichtig und demütig sein.