Wir müssen diese Bilder und Videos zeigen

Aus aktuellem Anlass poste ich hier eine Beitrag, den ich auf burks.de vor neun Jahren (12.05.2005) geschrieben hatte (leicht gekürzt).

So ist der KriegMan ahnt schon die Schlacht in den Feuilletons voraus. Philosophen, Chefredakteure und andere Sesseltäter werden mit gewichtigen Worten das Für und Wider ausfechten. Darf man eine Enthauptung live zeigen? Aber das interessiert keinen. Man macht es einfach, weil der Clip ohnehin im Internet ist. Die Scheindiskussion um journalistische Ethik in diesem Fall zeigt, dass es um etwas ganz anders geht: Können JournalistInnen noch so tun, als hätten sie die moralische Legitimation, denn sittlich gefährdeten Surfer Fakten vorzuenthalten, die den interessieren?

Der Link zum Video des enthaupteten US-Amerikaner wurde auf der Website al-ansar.biz zuerst veröffentlicht. Bis jetzt haben die deutschen Medien weder den Film vollständig gezeigt noch Links publiziert, wo er downgeloadet werden kann. Die meisten Websites, die in der Vergangenheit Al Qaida-Dokumente im Original publiziert haben, sind zu Zeit nicht zu erreichen (…) Online-Portale in So ist der Kriegden USA jedoch bieten das grausame Exekutions-Video an: www.evote.com warnt aber ausdrücklich davor, den Clip anzusehen. Das Video der Enthauptung Nick Bergs wurde von Aaron Weisburd, dem Direktor der „Internet Haganah“ zur Verfügung gestellt. In den letzten Tagen kursierten auch im Usenet Links, unter anderem in den Newsgoups alt.religion.islam, soc.culture.usa, soc.culture.britain und soc.culture.iraq. (…).

Das Online-Video vom Mord an Berg provoziert die Frage, ob man Bilder äusserster Grausamkeit der Öffentlichkeit zumuten kann. Die Medien in Deutschland haben sich entschieden, dass sie es nicht tun. Das ist inkonsequent und verlogen. Der US-Fernsehsender CBS hat schon angekündigt, weitere Fotos von Folter und Misshandlungen von Irakern durch US-Soldaten zu zeigen. Journalisten sind nicht weniger oder mehr sittlich gefährdet als andere Menschen. Wenn sie dokumentarisches Material bekommen, das eventuell die Menschenwürde verletzt, ist es trotzdem ihre Pflicht, die Quellen nicht im So ist der Kriegeigenen „Giftschrank“ zu verschließen. Das mediale Nachrichtenmonopol, selbst entscheiden zu können, was der Öffentlichkeit preisgeben wird, hat im Zeitalter des Internet jede Bedeutung verloren. Evote.com schreibt: „People have the right to see it, and it seems wrong for other media outlets to go on and on and on about it and not show it. If it’s that horrific, it’s historical and should be available – not for shock value, but so that people won’t view the issue as just more bad news from Iraq.“

Grausame Bilder von Kriegshandlungen sind seit jeher aus den unterschiedlichsten Motiven publiziert worden. Das Foto eines vietnamesischen Offiziers, der einen Gefangenen erschießt – eines der berühmtesten Kriegsfotos überhaupt – ging um die ganze Welt und war maßgeblich dafür verantwortlich, das sich die öffentliche Meinung in Europa gegen den Krieg wendete. Die „Vietnam Legion Veteran’s Association“ hat auf ihrer Website eine Aufnahme aus dem Jahr 1943: der Sergeant Len Siffleet wurde in Neu Guinea von einem Japaner enthauptet. Das Foto diente als propagandistischer Beweis für die Grausamkeit des damaligen Kriegsgegner der USA.
So ist der Krieg

Schon vor 200 Jahren schockierten die Gemälde des spanischen Malers Francisco de Goya die Öffentlichkeit, insbesondere der Zyklus „Los desastres de la guerra“ („Die Schrecken des Krieges“) – über den Krieg der Spanier gegen die Intervention Napoleons. Getöte Menschen mit abgehackten Gliedmaßen hängen auf Bäumen, das gegenseitige Abschlachten wird in jedem Detail gezeigt. Augenzeugen berichteten von Gewalttaten, die den heutigen Folterszenen in nichts nachstanden. Die Bilder Goyas, entstanden zwischen 1810 und 1820, unterscheiden sich in ihrer Wirkung auch nicht von den schrecklichsten Kriegsfilmen, die heute gezeigt werden.

Eins ist unstrittig: je grausamer die Bilder waren, um so mehr bekamen die Recht, die gegen einen Krieg waren. Daraus kann man nur das Fazit ziehen, dass die Medien den Krieg nicht „embedded“ zeigen dürfen, sondern ihn so darstellen müssen, wie er wirklich ist. Klaus Theweleit sagt in der Süddeutschen: „Es mag hart klingen, aber mich haben diese Bilder nicht besonders entsetzt. Ich habe solche Szenen im Kopf, etwa aus den KZ’s, aus Splatter- und Pornofilmen. Wir können diese Bilder verdrängen, aber dann geben wir uns jener Illusion hin, die die harmlosen Ausgaben der Tagesschau verbreiten: dass wir in einer halbwegs zivilisierten Welt leben. Aber eine Öffentlichkeit, die immer noch so tut, als hätte sie nicht gewusst, welche Verwüstungen der Krieg anrichtet, ist scheinheilig. Neu ist einzig die Zirkulation im So ist der KriegInternet, in den elektronischen Medien, in Zeitungen. […] Wenn man sie in einem Kontext nach dem Motto „Oh, wie entsetzlich“ sieht, dann bleiben sie belanglos.“

Aber das wird in Deutschland niemand tun – alle warten darauf, dass jemand anfängt. Nur bei Telepolis und natürlich hier sieht man das anders. Vermutlich würden manche Abstimmungen in Parlamenten anders ausgehen, wenn diejenigen, die andere in den Krieg schicken, währenddessen live mitansehen müssen, was auf den Schlachtfeldern der Welt geschieht.