Klassenkampf, literarisch gesehen, oder: Der Feind im Inneren

klassenkampf

Neu in meiner Bibliothek: David Peace: „GB84“ bei Liebeskind.

Wikipedia: „This is a fictional portrayal of the year of the UK miners‘ strike (1984–1985). It describes the insidious workings of the British government and MI5, the coalfield battles, the struggle for influence in government and the dwindling powers of the National Union of Mineworkers. The book was awarded the James Tait Black Memorial Prize for literature in 2005.“

(Tut mir leid, die deutschen Wikipedia-Artikel zum Thema „Klassenkampf“ sind meistens unpolitisch und treffen auch nicht den Kern der Sache. Allein die Tatsache, dass der Begriff „Klassenkampf“ offenbar nicht vorkommen darf, sagt schon genug aus. Der Deutsche wird eben mit der antikommunistischen Schere im Kopf schon geboren – die muss später erst duch das Lesen von Burks‘ Blog operativ entfernt werden.)

Euan Ferguson hat das Buch im Observer rezensiert:
His research has been scrupulous, comprehensive, awesome. Working from cuttings libraries in Japan, where he now lives, he has painstakingly reconstructed the ways in which the strike was provoked and fought and broken. (…) We learn, or we remember, how the strike was provoked: how the 1983 election majority gave the Tory government carte blanche to change the country in any way it decided

Sukhdev Sandhu schreibt im Telegraph:
GB84 is a horrible novel. Dark to the point of being dystopic. Joyless and unremittingly nasty. A bloated profanosaurus that seems even longer than its 460 pages, it is obscene, almost entirely lacking in humour, and repetitive to the point that most readers‘ eyes will glaze over. (…) He wants us to feel the era viscerally as much as to understand it intellectually. Reportage soon gives way to jeremiads. There’s barely a comma in the whole book. Each sentence is like a jab between the eyes. We search in vain for someone with whom we can identify, but it’s almost impossible.

Ich glaube, das Buch wird mir gefallen. „Jeder Satz ein Stoß in die Augen.“ Har har. Dass es überhaupt solche Bücher gibt und dass es sie nicht in Deutschland gibt, beweist wieder einmal den jämmerlichen Zustand der deutschen Literatur, die die Arbeiterklasse und den Klassenkampf total ignoriert und sich stattdessen mit den Befindlichkeiten der Mittelklasse beschäftigt.

Das Buch sollte eigentlich auch Pflichtlektüre eines jeden deutschen Gewerkschaftlers sein; die sind aber vermutlich zu sehr mit ihren „Tarifpartnern“ beschäftigt. „Wilde Streiks“ und Klassenkampf sind bei deutsche Gewerkschaftsfunktionären so populär wie Kinderpornografie.

Auf meiner Einkaufsliste für den nächsten Monat steht Rafael Chirbes: „Am Ufer„. Chirbes hatte ich hier schon zitiert: „Die Lektüre von Marx hat mir geholfen zu begreifen, was jede Gesellschaft am meisten bewegt. Um ein guter Schriftsteller zu sein, sollte man sich einen Standpunkt erarbeitet haben. Ich bin, trotz aller Verbrechen, die in Marx‘ Namen verübt wurden, Marxist und Materialist. In einer Zeit, in der die Religion den meisten Leuten egal ist, in der es keine Ideale mehr gibt, bleibt einem keine andere Wahl.“

Ein deutscher Schriftsteller, der so etwas öffentlich zu sagen wagte, würde hierzulande sofort geächtet und vom Feuilleton ignoriert. Genau so funktioniert die Schere im Kopf. Ich nenne das freiwillige Selbstkontrolle Zensur. Die funktioniert viel effektiver als Zensur seitens der Obrigkeit.