TTIP oder die Ideologie des freien Handels

TTIP

„In Europa verfügen 10 Prozent der Bevölkerung über 60 bis 70 Prozent des vorhandenen Vermögens“, sagt die Ökonomin Alexandra Strickner der hier noch nie zitierten Tiroler Tageszeitung. Und: „Politiker wissen erschreckend wenig über Zusammenhänge“.

Wer hätte das gedacht. Man ist ja schon froh, dass es Wirtschaftswissenschaftler gibt, die nicht religiös sind, die also nicht der Glaubensgemeinschaft Freier Markt(TM) angehören, sondern ernsthaft versuchen, Ökonomie zu verstehen und zu erklären.

Ich wurde auf das Thema Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) durch einen Artikel im aktuellen Print-Spiegel aufmerksam: „Zahltag für die Geier“. Telepolis hatte schon im Dezember ein Beispiel gebracht.

Beim TTIP geht es darum, dass die Konzerne gegen Staaten klagen können, wenn ihre Gewinne sinken.

Wie meinen? fragt man sich. Wer kann denn so einen Quatsch in Gesetzesform gegossen haben? Wer wohl! Die ahnungslosen Politiker eben, die von der Lobby des Kapitals zu deren Büttel gemacht werden und sich dagegen nicht wehren, weil sie desinteressiert, zu dämlich oder a priori willens sind, sich missbrauchen zu lassen, anstelle den Begriff „Volksvertreter“ ernst zu nehmen. Natürlich wird alles noch in Geheimverhandlungen beschlossen. Das blöde Volk muss draußen bleiben.

Ich muss gestehen, dass ich die Details nicht kannte. Es gibt aber gute Quellen, die die Fakten darlegen, leider sind die meisten schwer zu lesen: „Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt – Was steckt hinter dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP?“, (Verdi, Dezember 2013, pdf) ist eine davon (daraus auch die Grafiken).

TTIP

Man kann mit Fug und Recht sagen: Das Kapital erpresst die Politik, um mehr Profite machen zu können und – was noch unerträglicher ist – um Gesetze zu erlassen, die selbst dann die Gewinne garantieren, wenn der Profit sinkt. Das ist Kapitalismus at its best, wie aus einem Marxschen Lehrbuch.

Strickner: Ja, in der derzeitigen Situation mit der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa, gepaart mit Massenarbeitslosigkeit in vielen Ländern, ergreifen global agierende Konzerne die Gelegenheit. Eine Deregulierung der Arbeitsmärkte ist jetzt viel leichter durchzusetzen. Dazu ein kleines Beispiel: In den USA haben Arbeitnehmer durchschnittlich nur Anspruch auf zwei Wochen Urlaub pro Jahr, in Europa sind es meist vier Wochen. Der Druck wird steigen, diese „Standards“ aneinander anzugleichen – mit Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit.

Wikipedia: „Kritisiert wird außerdem, dass das TTIP geheime Schiedsgerichtsverfahren – Investor-State Dispute Settlement (ISDS) – vorsehe, in dem Konzernen die Möglichkeit gegeben wird, Staaten zu verklagen, etwa wenn durch staatliche Eingriffe Gewinnerwartungen geschmälert worden seien.“ Die Streitfälle werden aber nicht „vor ordentlichen Gerichten verhandelt, sondern vor geheim tagenden internationalen Schiedskommissionen“, schreibt der Spiegel: „Als Richter fungieren teilweise Anwälte, die sonst in Kanzleien arbeiten. Ihre Urteile sind unangreifbar“. Das Kapital kümmert sich eben nicht um geltendes Recht.

Da deutsche Medien ungern Quellen verlinken, muss ich das selbst tun. Der Artikel im Print-Spiegel basiert zu einem großen Teil auf der Analyse von Cecilia Olivet und Pia Eberhardt (pdf): „Profiting from Crisis – How corporations and lawyers are scavenging profits from Europe’s crisis countries“ (Amsterdam/Brussels, March 2014, published by the Transnational Institute and Corporate Europe Observatory).

Man sieht sehr schön, was geschähe, würden die großen Konzerne enteignet. Ich fordere es trotzdem.

Leider habe ich keine ernst zu nehmende linke Partei gefunden, die das unterstützte. Vielleicht sollte ich der „Linken“ anbieten, dort „Kapital“-Kurse zu geben. Früher gab es noch MASCh – nach der Maxime „Jeder kann alles lernen!“. Heute muss man vermutlich bloggen. Niemand kann sagen, er oder sie hätten es nicht gewusst.