Unangemessen und anstössig

anstößig

Gegen das gesunde Volksempfinden war ich schon immer allergisch, vor allem dann, wenn es von den gutmeinenden pseudolinken LichterkettenträgerInnen formuliert wird. Das sind diejenigen, die noch Anfang des vorigen Jahrhunderts „Heime für gefallene Mädchen“ gegründet hätte.

Wer Bilder verbietet, glaubt an die Macht derselben. Der reformatorische Bildersturm im 16. Jahrhundert war die Großmutter aller Verbote, die heute seitens der Political Correctness gefordert werden. Man verkennt, dass Bilder an sich überhaupt nichts bewirken, weil mediale Rezeption nicht auf antropologischen Konstanten beruht, sondern auf einem a priori hergestellten kulturellen Konsens, der aber nicht bewusst sein muss.

Das Verbot „sexistischer“ Werbung ist nicht anderes als primitive Magie: „die Zuordnung von bestimmten Kräften an Gegenstände Ereignisse oder Lebewesen, die diese normalerweise nicht besitzen. Durch Rituale, Beschwörungen (etwa mittels Zaubersprüchen), Gebete, oder Invokationen sollen diese Kräfte wirksam auf die Umwelt übertragen werden, um das Tun, Wollen und Schicksal anderer Menschen willentlich zu beeinflussen.“

Durch Bilderverbote wird die Welt besser? Das stimmt schon seit dem Neolithikum nicht.

Auf der Website des Berliner Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg (via Werbewatch Wien) erfahren wir, was die Kriterien für „sexistische, diskriminierende oder frauenfeindliche Werbung“ seien: Wenn

a) Frauen oder Männer auf abwertende Weise dargestellt werden;
b) die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Frage gestellt wird;anstößig
c) Unterwerfung oder Ausbeutung [nicht kritisch] dargestellt oder zu verstehen gegeben wird, dass Gewalt oder Dominanzgebaren tolerierbar seien;
d) die Person in rein sexualisierter Funktion als Blickfang dargestellt wird, insbesondere dürfen keine bildlichen Darstellungen von nackten weiblichen oder männlichen Körpern ohne direkten inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt verwendet werden.
e) eine entwürdigende Darstellung von Sexualität vorliegt oder die Person auf ihre Sexualität reduziert wird;
f) Personen abgewertet werden, die nicht den vorherrschenden Vorstellungen über Zugehörigkeit zu einem Geschlecht entsprechen (z.B. intersexuelle, transgender Menschen).
g) Werbung für sexuelle Dienstleistungen darf, soweit sie rechtlich zulässig ist, die Würde von Menschen, insbesondere von SexdienstleisterInnen, KonsumentInnen oder PassantInnen, nicht verletzen. Körper und insbesondere weibliche oder männliche Sexualität dürfen nicht unangemessen dargestellt werden. Dabei ist auch besonders auf die Platzierung und das jeweilige Umfeld des Werbesujets zu achten.

Man muss hier gar nicht erst beginnen, nach der Normenklarheit im juristischen Sinn zu suchen. Man muss nur die Begriffe aneinanderreihen: „in Frage stellen“, „tolerierbar“, „vorherrschenden Vorstellungen“, „unangemessen.“ Das ist der Appell an das gesunde Volksempfinden; in den USA würde man schlicht „anstößig“ sagen. BEEP. Die „Kritierien“ sind reine Willkür.

Erotik oder was man dafür hält findet immer im Kopf des Betrachters statt. Der eine denkt bei Bananen an Südfrüchte, die andere an Oralsex. Nicht zufällig sind Fesselspiele beim Sex, werden sie auf Bildern dargestellt (vgl. Fotos oben und unten), für deutsche Jugendschutzwarte anstößig und jugendgefährdend (ja, ich habe hier ein entsprechendes „Gutachten“), weil diese angeblich den „vorherrschenden Vorstellungen“ (aka dem gesunden Volksempfunden), wie Sex abzulaufen habe, widersprächen.

Sex und Moral kommen bei den aufstiegsorientierten Mittelschichten, die den öffentlichen Diskurs prägen (Alice Schwarzer ist ein Beispiel) immer dann vor, wenn es darum geht, die eigene soziale Position nach oben und unten zu verteidigen. In Zeiten der Krise und der verstärkten Klassenkampfs, wer wieviel vom gesellschaftlichen Reichtum bekommt, propagieren die Mittelschichten Anpassung, Opportunismus und Pädagogik, also Verhaltensdressur.

anstößig

Ich zitiere mich selbst aus der Jungle World vom 01.07.1998 (!): „Die Experten in hochkomplexen Systemen sind dafür da, einem Milieu einleuchtend zu erklären, daß das Böse aus dem jeweils anderen Milieu stammt. Die Experten weisen Schuld zu und aktivieren und entlasten das Milieu, das jeweils bezahlt.

Oder (25.02.2007): „Man will, dass die, die den eigenen sozialen Status potentiell bedrohen, sich an Regeln halten, die man selbst aufgestellt hat. Nur die Mittelschichten fordern von allen anderen, sich an Regeln zu halten, weil sie ‚Angst vor dem Absturz‘ (Barbara Ehrenreich) haben. Wer aufsteigen will, muß die Werte der Gesellschaft verinnerlichen und sich selbst kontrollieren. Beherrsche dich, und nicht etwa andere! Der klassische Radfahrer tritt nach unten, aber fordert gleichzeitig, daß die da oben das nicht tun. Sie sollen ihn dafür belohnen, daß er sich an die Regeln hält.“

Der Diskurs gegen „sexistische“ Werbung und der gegen „Gewalt“ sind zwei Seiten derselben (protestantischen) Medaille.