Die rote Fahne

Wie eng verbunden die SPD-Stadträte mit den Nazis in der Praxis sind, zeigt folgende Zuschrift:
„Die Arbeiterin Agnes Linke, Liegnitzer Straße 20, erhielt folgenden Brief vom Bezirks-Wohlfahrts- und Jugendamt des Bezirkes Kreuzberg:

Berlin S59, den 23. März, 1932
Wie Ihnen bereits am 21. März mündlich mitgeteilt wurde, wird die weiter Unterstützungszahlung von der Ausübung der angeordneten Pflichtarbeit im Gesundheitshaus am Urban, Berlin S59, Am Urban 10/11, abhängig gemacht. wie werden dort täglich vier Stunden mit Ausnahme von Sonnabends beschäftigt und erhalten als Gegenleistung die Unterstützung in bisheriger Höhe. Ihre Pflichtarbeit beginnt am 1. April 1932 um 10 Uhr. Wir sind bereit, ihr Kind in einem Kinderhort aufzunehmen und stellen anheim, mit einem Hort in der Nähe ihrer Wohnung in Verbindung zu treten.
I.A. Unterschrift (unleserlich)

Die Arbeitern wandte sich an die Kommunistische Partei. Als ein Genosse mit ihr zum Wohlfahrtsamt ging, bekam er folgenden Bescheid: Diese Verfügung wäre auf besondere Veranlassung des Stadtrates Zachow, einem Sozialdemokraten, getroffen worden, da der Arbeitswille der Arbeiterin bezweifelt werde. Dabei könnten die Beamten nicht bestreiten, daß die Arbeiterin Linke sich selbst eine Portierstelle besorgt hat, so daß ihr Unterstützungssatz herabgesetzt werden konnte.

Der Mann der Frau Linke sitzt bereits seit drei Jahren im Zuchthaus. Als die Arbeiterin erklärte, daß sie auf keinen Fall Zwangsarbeit mache, eher gehe sie in den Kanal und stehlen, zuckten die Beamten nur mit der Schulter.

Die kommunistische Bezirksverordnetenfraktion beschäftigt sich mit diesem ungeheuerlichen Fall sozialdemokratischer ‚Wohlfahrtspflege‘.“

Quelle: Die Rote Fahne, 15.Jg. Nr. 69, 01.04.1932