In der Bürgerwolke

bürgercloud

Screenshot: Gutachten: Universität Passau, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und ecsec GmbH: Eine „BürgerCloud“ für mehr Partizipation – Rechtliche Rahmenbedingungen und Ansätze zur Umsetzung

Ich habe mir das von Heise zitierte Gutachten der Universität Passau über „Online-Wahlen“ einmal genauer angesehen. Es ist natürlich einfach, die Bürokraten, die sich pseudo-Technik-affine Begriffe wie „ePerso“, „Bürgercloud“, „eID-Broker“ und „SkiIdentity“ ausdenken, mit Häme zu überschütten. Da reden Blinde von Farben, und sie meinen es noch nicht einmal gut. Zum Glück gibt es klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wann Wahlen noch demokratisch sind. Die zitiert das Gutachten auch [die Links musste ich selbst zusammensuchen]:

Jenseits der bisher noch eher theoretischen Frage, ob bestimmte Vorstellungen einer Liquid Democracy mit den konkreten Vorgaben des Grundgesetzes (beispielsweise der Unabhängigkeit von Mandatsträgern) kollidieren, hat das Bundesverfassungsgericht [BVerfG09] insbesondere in der Entscheidung zu elektronischen Wahlgeräten Grenzen für den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik bei staatlichen Wahlen und Abstimmungen gezogen (dazu z.B. [BuRo09], [Rich12]; zur Weiterentwicklung bzgl. Internetwahlen auch [BGRR13]).

Das Gericht leitet aus Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl ab: jeder Wähler muss die Möglichkeit haben, sich selbst zuverlässig von der Rechtmäßigkeit des Wahlakts zu überzeugen. Dazu müssen die wesentlichen Schritte der Wahl ohne besondere technische Vorkenntnisse nachvollziehbar sein.

Online-Wahlen werden also, wie auch die Gutachter zugeben „in Deutschland bis auf weiteres auf Vereine, Aktiengesellschaften, Kirchen und andere nichtstaatliche Institutionen beschränkt bleiben“. Ich habe bekanntlich das Piraten-Projekt Liquid Feedback für eine Totgeburt gehalten und bin dafür übel beschimpft worden; aber ich habe natürlich recht gehabt und behalten. Bei einer der nationalen Minderheiten Deutschlands gibt es, soweit ich weiß, aber noch keine Beschwerden über das Procedere.

In Vereinen sind Online-Wahlen mittlerweile gang und gäbe, aber man muss gewährleisten, dass alle, die teilnehmen, sich eindeutig identifizieren können und jeder Zugang hat. Bei Vereinen ist das kein Problem, da die ihre inneren Angelegenheiten weitgehend selbst gestalten dürfen und etwas nur vor Gericht landet, wenn sich jemand beschwert und der interne Beschwerdeweg ausgeschöpft worden ist. Im Gutachten heißt es:

Die durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Beschränkungen gelten dem Grunde nach auch für Abstimmungen (Bürgerentscheide). Das Gericht hat aber keine Aussagen für sonstige direktdemokratische und partizipative Mechanismen getroffen.

Da liegt der Hase im Pfeffer bzw. schwebt der Bürger in der Bürgerwolke. Wenn Online-Wahlen per „sicherer“ Bürgercloud sich erst eingebürgert haben, dann wird es einen neuen Versuch à la Söder geben, Wahlen insgesamt durch „sichere“ Technik machen zu lassen. Eine Alternative sieht das Gutachten im Umweg über die EU:

Damit der neue Personalausweis und ähnliche europäische Ausweiskarten in einer effizienten Art und Weise in der BürgerCloud genutzt werden können, soll (…) der im SkIDentity-Projekt entwickelte eID-Broker eingesetzt werden. Die Unterstützung der Ausweiskarten unserer europäischen Nachbarn ist wichtig, da elektronische Bürgerbegehren in der Europäischen Union eine besondere Bedeutung erlangen könnten. Denn hier ermöglicht Art. 11 Abs. 4 EUV seit dem Vertrag von Lissabon ein europäisches Bürgerbegehren [GoAs11]: Wenn sich mindestens eine Million Unionsbürger aus einer „erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten“ zusammenfindet, können sie die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu unterbreiten, die in Rechtsakte der Union münden können.

Einschränkend muss man sagen, dass das oben zitierte Gutachten als Thema zunächst Bürgerbegehren in Bayern hatte, und primär die dortigen Landesgesetze untersucht, ob sie für Online-Wahlen etwas taugen. Und diejenigen, die sich an „Online-Petitionen“ beteiligen, sollten nicht jammern. Dort bestehen alle Probleme, die gegen Online-Wahlen sprechen, jetzt schon:

Art. 2 Abs. 1 Satz 3 bis 5 BayPetG regelt die Voraussetzungen einer zulässigen OnlinePetition zum Bayerischen Landtag. Neben der elektronischen Form ist danach die Schriftform gewahrt, wenn der Urheber und dessen Postanschrift ersichtlich sind. Zudem muss das im Internet zur Verfügung gestellte Formular verwendet werden, in das neben Name und Adresse eine gültige E-Mail-Adresse des Petenten eingetragen werden muss. Die weitere Kommunikation kann dann per E-Mail stattfinden. Eine Überprüfung der Identität erfolgt nicht.

Online-Petitionen in Bayern kann man also leicht fälschen und verfälschen. Zur „Bürgercloud“ ist das Gutachten auch sehr vorsichtig:

Die Nutzung einer Infrastruktur, die ganz oder teilweise nicht zumindest innerhalb der EU oder des EWR angesiedelt ist, scheidet im Bereich sensibler, auf Partizipation und hoheitliche Gewalt ausgerichteter Verarbeitung personenbez ogener Daten dabei von vornherein aus …

Meine These: Wenn man die Details des Gutachtens liest und auch dessen Zusammenfassung, suggerieren die Juristen, dass der Staat eine Art mobile Wahl-Technik zur Verfügung stellen soll, um Kosten zusparen: „es können entsprechende Dienste von einem dafür spezialisierten Anbieter in einem Software-as-a-Service-Modell bezogen werden.“

Schon klar. Am besten von Microsoft in Kooperation mit Siemens oder der Telekom. Das obige Gutachten stammt ja auch schon teilweise von einer Firma. Ersec ist ein „spezialisierter Anbieter von innovativen Lösungen im Bereich Sicherheit in der Informations- und Kommunikationstechnologie, Sicherheitsmanagement, Chipkartentechnologie, Identitätsmanagement, Internetsicherheit und Elektronische Signatur.“ Der Hinweis, dass das Gutachten nicht wissenschaftlich unabhängig ist, fehlt leider bei Heise.