Diese jämmerlichen Figuren

„…bis dann der PW [prisoner of war] sich endlich aufbäumt und ausruft: „Was wollen Sie eigentlich von mir? Was konnte ich denn tun! Ich bin doch nur ein kleiner Mann. (…)

Nur ein kleiner Mann. Das Kleine-Mann-Thema wird in den ganzen Krieg hindurch beschäftigen (…).Die kleinen Leute, die Armen, die Unterdrückten, sind ja seine Leute; mit ihnen hat er sich immer solidarisiert, denn er hat gewußt, welche Kraft sie sind, geeint: wer war es denn, der die Bastille stürmte und den Winterpalast, wenn nicht die kleinen Leute? Aber wo war nun das andere, das wahre Deutschland, von dem er geträumt und geredet und geschrieben hatte? Sollten es diese etwa gewesen sein, diese jämmerlichen Figuren, die immer nur gekuscht hatten und, nach eigenem Geständnis, in jedesmal eigenen Worten vor ihm abgelegt, nie auch nur auf den Gedanken gekommen waren, nach der eigegen inneren Überzeugung zu handeln, sich zusammenzutun, in den Betrieben, in der Armee, wo immer sie eine Macht hätten sein können, und wenigstens einen Versuch zu unternehmen zu Widerstand, Streiks, Meutereien, Sabotage: Nur ein kleiner Mann – das entband sie ihrer Verantwortung, als Einzelne, als Gruppe, als Nation. (…)

Es hat Jahre gedauert, und ich mußte erst wieder unter Deutschen leben, bis ich verstand (…) und bis ich die Manipulierbarkeit des Menschen durch den Menschen in ihrer ganzen Vielfalt begriff.“

(Stefan Heym in seiner Funktion als US-amerikanischer Offizier über die Vernehmung deutscher Kriegsgefangener 1944 in der Normandie, aus: „Nachruf„)

Sehr aktuelle Sätze…