(K)eine Alternative für Deutschland – unter Vulgärokonomen und Geldfetischisten

heilige Kuh des Kapitalismus

Die Abbildung zeigt eine Pflichtveranstaltung der Erstsemester im Fachbereich Volkswirtschaftslehre in deutschen Universitäten

Ich habe mir das Wahlprogramm der so genannten „Alternative für Deutschland“ und deren „wissenschaftlichen“ Beirat angesehen. Nicht, dass mich die AfD interessiert hätte, aber es immer gut zu wissen, welche Fraktionen der Apologeten des Systems warum miteinander im Streit liegen. Für Menschen, die ernsthaft wissen wollen, wie Ökonomie funktioniert, ist das so wichtig wie für Atheisten der Zoff zwischen Papt Paul II. und Marcel Lefebvre.

Durch pseudo-seriöses Mainstream-Outfit bin ich schon gar nicht zu beeindrucken. Wenn jemand einen professoralen Titel trägt und einen Schlips, dann ist der vermutlich Talkshow-kompatibel, aber kann trotzdem ein Idiot sein. Also vorab ein Wort zur so genannten „Volkswirtschaftslehre“. Allein schon der Begriff ist eine Heuchelei und schmiert einem Senf in die Augen: Wer suggeriert, es gebe in der kapitalistischen Ökonomie ein „Volk“ von kleinsten ökonomisch handelnden „gleichen“ Einheiten, argumentiert bewusst boshaft und zynisch: Ob jemand Produktionsmittel besitzt oder nicht, ist nicht naturgegeben, und es stimmt auch nicht, dass man nur hart genug arbeiten müsse, um reich und glücklich zu sein. (Wer etwas über die Geschichte nachlesen will, schaue unter „Ursprüngliche Akkumulation“ nach.)

Die „Volks“wirtschaftslehre ist unstrittig Vulgärökonomie, weil sie den Anspruch, die Ökonomie wissenschaftlich erklären zu wollen, gar nicht erhebt. Es gibt auch nicht die Lehre, etwa wie in der Physik oder Chemie – die sich immerhin auf die Naturgesetze berufen können -, sondern zahllose mehr oder minder anspruchsvolle „Schulen“, wie Ökonomie zu beschreiben und zu verstehen sei, die sich gegenseitig wiedersprechen. Die „Volks“wirtschaftslehre muss sogar hinter der Niveau der klassischen bürgerlichen Ökonomie von Adam Smith oder David Ricardo zurückfallen. Diese haben sich noch ernsthaft bemüht, die Wirtschaft zu beschreiben, und Marx wäre ohne ihre Forschungen nicht denkbar. Alles nach Marx ist nur noch Apologetik eines säkularen Glaubenssystems, das sogar seine eigenen Wurzeln verleugnen muss, weil es ausschließlich darum geht, den Kapitalismus und das ihm immanente Ausbeutungsverhältnis zu verherrlichen. Die Methoden der Vulgärokonomie gleichen etwa denen katholischer Theologen, die gegen Galilei antraten.

Die Vulgärökomonie hat bisher Marx und diejenigen, die sich auf seine ökonomischen Lehren berufen können, nicht widerlegen können. Das geht auch gar nicht, weil die „Volks“wirtschafter erstens sogar die Arbeitswerttheorie der klassischen Nationalkönomie ablehnen und zweitens wie ein Vampir Kreuz und Knoblauch fürchten, sich mit Marx auseinanderzusetzen. Es geht ausschließlich darum, dass ihnen das Ergebnis der Marxschen ökonomischen Lehre nicht gefällt, und deshalb darf man sich damit nicht beschäftigen.

Die Briten sind da wesentlich entspannter: „Yes, Karl Marx is going mainstream – and goodness knows where it will end“. So etwas würde sich ein deutscher „Volks“wirtschaftler nie trauen zu sagen, genausowenig wie ein Christ zugeben würde, dass zwei Drittel seiner Glaubenslehre vom Judentum abgeschrieben wurde und der Rest aus dem Mithras-Kult stammt.

Der Marxsche Begriff Geldfetisch zum Beispiel beschreibt die (falschen) Bewusstseinsformen, die ökonomisches Handeln im Kapitalismus notwenig erzeugt. Das ist eine These, die die Wahrnehmungspsychologie leicht bestätigen könnte, wüsste die von Marx und blickte sie ins Wahlprogramm der so genannten „Alternative für Deutschland“. Marx verfügte noch nicht über das wissenschaftliche Instrumentarium der Psychologie; er musste also einen Begriff aus der Völkerkunde oder Theologie wählen, wie etwa den „Fetisch„: Einem Ding wird eine Eigenschaft zugesprochen, die es nicht hat, über die sich aber eine Gruppe von Menschen geeinigt hat, daran zu glauben. Bei dem „niederen“ Wesen „Markt“ – eine der wichtigsten Gottheiten der „Glaubensgemeinschaft Freier Markt“ – denken die Anhänger sich: Wenn man den Markt nur in Ruhe und allein handeln ließe, dann wäre alles in Butter. Es ist wie bei Esoterikern: Man kann mit Gläubigen nur schlecht rational argumentieren.

Die so genannte „Alternative für Deutschland“ hat überhaupt kein ernst zu nehmendes Wirtschaftsprogramm, sondern beschränkt sich weitgehend auf den Währungs- und Finanzsektor. „Wir fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde. Die Wiedereinführung der DM darf kein Tabu sein“, schreiben die da. Du meine Güte! Da hat Angela Merkel ja vom Kapitalismus zehn Mal mehr verstanden!

Ich zitiere eine des linken Gedankenguts völlig unverdächtige Zeitung – Cicero, das Zentralorgan für konservative Oberstudienräte, die für die „Zeit“ keine Zeit haben:
Die Bundesrepublik hat weit mehr von der Eurokrise profitiert als bisher angenommen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben sich auf Kosten des Südens saniert. (..) Die Bundesregierung erzielte nicht nur satte Zinsgewinne auf die Notkredite, die sie an die Krisenländer zahlte. Mehrere hundert Millionen Euro wurden 2012 allein von Griechenland abkassiert.

Wohlstand

Liebe Geldfetischisten von der „Alternative für Deutschland“: Der Euro nützt dem deutschen Kapital! Die Währungs“gemeinschaft“ schützt die deutsche Wirtschaft davor, dass die ökonomisch „schwachen“ Staaten Südeuropas ihre Produkte hierzulande billig anbieten können! Ist das so schwer zu verstehen? Lernt man noch nicht mal das im „Volks“wirtschaftsstudium?

Ich zitiere noch einmal mich selbst („Unter Schnellballsystemikern und Couponschneidern“, 03.08.2012):
„Deutschland ist bekanntlich der größte Exporteur in Europa. Was geschähe, wenn zum Beispiel Griechenland aus der Europäischen Union austräte und die Drachme wieder einführte? Die Zeit, die des Linksextremismus ganz unverdächtig und dem Marxschen Gedankengut abhold ist, schreibt im Januar 2012:
Laut dem gerade veröffentlichten Rüstungsexportbericht 2010 sind die Griechen nach den Portugiesen – auch ein Staat kurz vor der Pleite – die größten Abnehmer deutscher Kriegswaffen. Spanische und griechische Zeitungen verbreiteten gar das Gerücht, Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hätten Griechenlands Ex-Premier Giorgos Papandreou noch Ende Oktober am Rande eines Gipfeltreffens daran erinnert, bestehende Rüstungsaufträge zu erfüllen oder gar neue abzuschließen.

Nach einem Austritt Griechenlands oder dem Zerfall der Union würde das deutsche Kapital weit weniger Profite machen, da die Landeswährungen abgewertet würden. Es wäre genauso wie das Verhältnis zwischen Dollar und Euro. Ein schwacher Euro ist gut für den Export: „European companies are rubbing their hands at the sales boost they should get from the euro’s 10% decline against the greenback in recent weeks“.“

Ganz typisch für Geldfetischisten sind die Sätze aus dem Wahlprogramm der so genannten „Alternvative für Deutschland“: „Wir fordern, dass die Kosten der sogenannten Rettungspolitik nicht vom Steuerzahler getragen werden. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger sind die Nutznießer dieser Politik. Sie müssen zuerst dafür geradestehen.“

Als wenn es das gute „schaffende“ Kapital und das „böse“ Finanzkapital gebe! Eines gehört zum anderen wie der Schatten zum Licht. Man kann auch keine katholische Kirche fordern, die auf den Glauben an ein höheres Wesen verzichtet! Will man dem Finanzkapital verbieten, Profite auf seine Weise zu machen? Was sagt denn der Freie Markt(TM) dazu? Ist das nicht schon Gottstehunsbei Kommunismus? Zur Erholung ein Originalzitat von Marx:

Im zinstragenden Kapital ist daher dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes, zu sich selbst. Statt der wirklichen Verwandlung von Geld in Kapital zeigt sich hier nur ihre inhaltlose Form. […] In G-G‘ haben wir die begriffslose Form des Kapitals, die Verkehrung und Versachlichung der Produktionsverhältnisse in der höchsten Potenz: zinstragende Gestalt, die einfache Gestalt des Kapitals, worin es seinem eignen Reproduktionsprozeß vorausgesetzt ist; Fähigkeit des Geldes, resp. der Ware, ihren eignen Wert zu verwerten, unabhängig von der Reproduktion – die Kapitalmystifikation in der grellsten Form. (Marx: Das Kapital Bd. 3, MEW 25: 405)

„Grell“ ist ein schönes Adjektiv für den Unfug, den man bei der AfD liest. Was mir aber nicht ganz klar ist: Welche Fraktion der Kapitalisten hätte eigentlich einen Vorteil davon, wenn einige dieser Forderungen umgesetzt würden?

Da müssen die Kapitalismus-kundigen Leserinnen und Ökonomie-geschulten Leser jetzt ran.