The place for independent, rugged, Indiana Jones types

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Die Fotos habe ich 1982 in Georgetown, Guyana, gemacht.

Wenn man etwas über Guyana erzählen will, greifen die Gesprächspartner zur nächsten Landkarte. Mittelamerika? Nein, Süd, dort wo die Franzosen ihre Raketen starten? Auch falsch, das ist Französisch-Guyana und Teil Frankreichs. Und Surinam ist das ehemalige holländische Guyana. Wer das vormals britische Guyana kennt, erinnert sich vielleicht an den Massenselbstmord von Jonestown. Nur zum Mitschreiben: Guyana ist das einzige englischsprachige Land Südamerikas. Die Kaieteur-Wasserfälle sind um ein Dreifaches grösser als die Niagara-Fälle. Und auch sonst ist Guyana ein Geheimtipp. Ich bin zwei Mal dort gewesen, beim ersten Mal, 1979, ohne Kamera, weil ich in Brasilien mit derselben in einen Fluss – den Rio Branco gefallen war…

Nach Guyana reist man nur über zwei Wege: direkt mit dem Flugzeug nach Georgetown oder über den Nordosten Brasiliens. Ich bin von Manaus am Amazonas nach Boa Vista im brasilianischen Bundestaat Roraima gefahren, die Stadt, in der Papillon nach seiner Flucht von der Teufelsinsel Zuflucht suchte. Damals, 1979 und 1982, war der Ort ein verschlafenes Nest: Der Goldrausch in Roraima hatte noch nicht begonnen.Guyana
Ein vergilbtes kleines Schild der Guyana Airways Corporation hängt hinter mir an meinem Bücherregal: Baggage Tag steht darauf. Ich kann mich noch erinnern, dass ich ziemlich viele Guyana Dollar für das Übergewicht meine Rucksackes zahlen musste. Kleine, unwichtige Ereignisse, die Gefühle auslösen, Erinnerungen, den Wunsch, dorthin zu reisen und nachzusehen, was sich seitdem geändert hat. Die Fluggesellschaft gibt es nicht mehr, alle Flüge wurden eingestellt. Heute fliegt Trans Guyana Airways die kleine Orte abseits der Küste an.

Von Lethem in der Rupununi-Savanne flogen wir nach Georgetown, der Hauptstadt Georgetowns. Das Wahrzeichen Georgetowns ist der Stabroek Market (Bild oben), dessen schöner Turm das Stadtzentrum überragt. Über den historischen Stabroek Market heisst es auf der Website des National Trust – so etwas wie der Denkmalschutz von Guyana:
This ward of the city of Georgetown has an oblong form being one fourth of a mile broad and one mile long. It was established by the French in 1782 on the Company’s reserve and was named by the Dutch after Nicholas Gleevinck; Lord of Stabroek, the then President of the Dutch West India Company in 1784.

Die Stadt hieß früher Stabroek und wurde erst 1812 umbenannt. Wer eine exotische Mischung aus französischer, holländischer und englischer Architektur des 19. Jahrhunderts sehen will, ist in Georgetown gerade richtig.

1982 quartierte ich mich im Rima im Stadtteil Cummingsburg ein, in genau demselben Guest House, in dem ich schon 1979 eine Woche verbracht hatte – ein altes zweistöckiges Haus (2. Foto von oben, linkes Haus) im colonial style; es gab englisches Frühstück und strenge Ermahnungen des grauhaarigen schwarzen Besitzers, der um seine Gäste besorgt war, keine Fremden mitzubringen und in der Stadt extrem vorsichtig zu sein. Falls jemand der wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser jemals nach Guyana kommt: das Rima Guest House ist erste Wahl und unter Hardcore-Globetrottern als Treffpunkt in Georgetown beliebt.

Aus dem Fenster blickte ich direkt auf die Botschaft von Trinidad und Tobago (3. Bild links). Imposant war die St. George’s Cathedral, eines der höchsten, wenn nicht das höchste Holzhaus der Welt (5. Foto). Ein sehenswertes und filigranes Gebäude ist die City Hall (4. Bild rechts) – ein Muss für jeden Reisenden in Georgetown.

Leider ist die Sektendichte in Georgetown ungefähr so wie in den USA. In manchen Stadtvierteln ist jedes dritte Haus irgendein religiöser Versammlungsort. Am kleinen Hafen schrie mir ein Schild entgegen: Be a muslim now!

1979 schlenderte ich mit meinem damaligen Reisepartner dort entlang, wir sahen Hafenarbeitern zu, die Schiffe entluden. Zwei Weiße erblickten uns und riefen uns zu: „May we help you?“ Sie hielten uns wohl für Amerikaner und lachten sich darüber kaputt. Wir verstanden aber ihr Sächsisch – es waren Ingenieure aus der DDR. Als wir in Deutsch antworteten, waren sie völlig verblüfft, wollten aber nicht mit uns reden. Guyana kooperierte damals mit sozialistischen Staaten. Bei meiner zweiten Reise 1982 konnte ich im Zoo Georgetowns eine Ausstellung über „30 Jahre DDR“ bewundern. Dafür hätte ich nicht nach Südamerika reisen müssen…

Direkt vor der US-Botschaft (Bild unten) musste ich mich mit einem Straßenräuber prügeln. Ich hielt eine Flasche Rum in der Hand, die ich gerade gekauft hatte, als jemand mir von hinten einen Arm den Hals legte und mit dem anderen versuchte, in meine linke Hosentasche zu greifen, wo ich eine kleine Kamera hatte. Ich hätte ihm mit der Flasche auf den Kopf schlagen können, aber irgendwie verspürte ich keine Angst, sondern warf sie auf den Rasen – schon mit dem Gedanken, es sei schade um den schönen Rum. Wir rangen ein wenig herum, waren wohl beide gleich stark. Als ich versuchte, dem Räuber in das Gemächt zu greifen, liess er von mir ab und rannte davon. Der einzige Versuch eines Überfalls, den ich während meine Reisen in Südamerika – insgesamt mehr als zwei Jahre – erlebt habe.

In einem Buch über die Geschichte Guyanas heisst es:
Dutch and British colonization made an indelible mark on Guyana, leaving behind a now dilapidated colonial capital, a volatile mix of peoples and a curious political geography. The country’s natural attractions, however, are impressive, unspoiled and on a scale that dwarfs human endeavor. Guyana has immense falls, vast tropical rainforest and savanna teeming with wildlife. If the government doesn’t destroy the environment in a bid to pay off its huge foreign debt, Guyana could be the eco-tourism destination of the future. Right now, it’s the place for independent, rugged, Indiana Jones types who don’t mind visiting a country that everybody else thinks is in Africa.

Ich habe hier noch einen fast verblassenen Fotoband von Robert J. Fernandes, einem Fotografen aus Georgetown, über den Google nur einen Link findet. Visions of the Interior heisst das schmale Buch mit einem Einband aus Pappe: zwei Dutzend Fotos der Wasserfälle im Innern Guyanas – Fotos von überwältigender Schönheit.

Guyana ist etwas für echte Globetrotter: Ich spüre die Riemen des Rucksacks auf meinen Schultern knirschen, höre das sanfte Plätschern, wenn der Aussenborder mit halber Kraft das Boot einen schmalen Flussarm aufwärts treibt, höre die durchdrehenden Reifen eines Jeeps, der in einem Wasserloch feststeckt, die Propeller eines kleinen Flugzeugs, das in sanftem Bogen über die Savanne fliegt, die Abendsonne im Hintergrund, sehe die Termitenhügel der Rupununi und die blauen Berge der Guyana Highlands.

Wenn es sich irgendwie machen lässt, werde ich nach Guyana zurückkehren.