Auskunftsrechte kennen und nutzen

Sebastian Heiser: „Auskunftsrechte kennen und nutzen – So kommt man an Aktenschätze“ (pdf)

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Avatare sehen Dich an

scoundrel

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Wertpapiere, oder: Banken im Kapitalismus, revisited

richardplatz

In meinem letzten Artikel „Unter Schnellballsystemikern und Couponschneidern“ vertrat ich die These, das Prinzip der Staatsanleihen sei ein Schnellballsystem. Das muss ich insoweit relativieren, als ich nur meinte, es funktioniere strukturell als ein solches. Das bedeutet nicht, das ein Zusammenbruch automatisch erfolgen müsste. Die Diskussionen der wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser verfolge ich natürlich aufmerksam und wäge die Argumente in meinem Herzen hin und her.

Das Handelsblatt („Pflichtblatt der Wertpapierbörsen“ liest sich immer wieder nett*) ist heute voll von Artikeln, die sich hervorragend eignen zu erklären, wie der kapitalistische Finanzmarkt funktioniert und wie der von Marx analysierte quasireligiöse Geldfetisch die Köpfe vernebelt. Zur Erinnerung: „Einem Fetisch werden Eigenschaften oder Kräfte zugeschrieben, welche dieser von Natur aus nicht besitzt.“

Geld arbeitet nicht und schafft keine Werte. So weit zu den Fakten. Und jetzt zu dem, was die Wirtschaftsredakteure der Medien daraus machen.

„Nur Bares ist Wahres“, titelt das Handelsblatt hingegen. Oder: „Die Sorge des guten Kaufmanns“ – „Konzerne ziehen Milliarden Euro Bares aus dem Euro-Raum ab und transferieren ihr Geld in sichere Dollar-Anlagen. Was soll ein Finanzchef auch sonst tun? Er muss die Liquidität sichern.“ Oder: Kauft Wertpapiere aus „Schwellenländern“. Am untersten Ende des theoretischen Tiefgang und des intellektuellen Niveaus steht Spiegel online mit Spiegel online mit Wolfgang Münchau: „Somit gibt es auf die Frage nach dem optimalen Schuldenstand nur die unbefriedigende Antwort: Es kommt darauf an.“

Gibt es bald eine Revolution oder nicht? Geht der Kapitalismus nun unter oder nicht? Es kommt darauf an.

Der Artikel „Kauf von Staatsanleihen 1975 – Als die Bundesbank ein Tabu brach“ bestätigt übrigens, dass man gar keine Ahnung haben kann und trotzdem etwas über „Wirtschaft“ veröffentlichen darf. Die Bundesbank „stemmt sie sich heute vehement dagegen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsanleihen aus Euro-Krisenländern aufkauft“, heisst es da. Die kennen noch nicht einmal Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der der EZB genau das verbietet.

Wertpapiere – o welch ein schönes Wort! Wie funktioniert das also mit den Banken, die dem Staat Geld leihen – und welche Rolle spielt die Bundesbank?

Banken arbeiten nach dem Prinzip der Teilreserve – ein Lieblingsthema für obskure Zins-Theoretiker und ihre Groupies, „eigentümlich freie“ Ökonomie-Astrologen und Verschwörungstheoretiker aller Sorten. Teilreserve ist nichts Geheimnisvolles, sondern bedeutet ganz einfach: Das offizielle Geld, das gesetzliche Zahlungsmittel, darf in Deutschland nur die Bundesbank herausgeben. Die leiht es den anderen Banken. Jenes ist das Zentralbankgeld, dieses das Buchgeld. Man kann auch sagen: Zentralbankgeld und „Geschäftsbankgeld“.

Kurze Unterbrechung, weil ich gerade zwei Stunden mit einer bezaubernden jungen Dame (live – nicht virtuell!) über dies und das plauderte, sonst wäre dieses Posting schon längst fertig.

Das Buchgeld oder Giralgeld der Banken ist also nur ein Anspruch, eine Forderung an meine Bank, falls ich Bargeld (also Zentralbankgeld) auf mein Konto eingezahlt habe. Deswegen heisst Buchgeld auch Sichtguthaben. „Das Entstehen von Buchgeld aus einer Bargeldeinzahlung kann noch nicht als eigentliche Geldschöpfung verstanden werden, weil hier keine Geldvermehrung stattfindet, sondern lediglich eine Geldform in eine andere umgewandelt wird – Bargeld in Sichtguthaben.“

Jetzt kommt die Pointe: Die Bank kann das von mir eingezahlte Geld wiederum bei der Bundesbank als Sichtguthaben einzahlen – als so genannte Mindestreserve. Meine Bank kann aber mit ihrem Buchgeld ebenso Kredite vergeben oder Vermögen kaufen, aber auch Staatsanleihen! Jetzt wird es lustig: „Auf diese Weise entsteht auf Grundlage des eingezahlten Bargelds ein Vielfaches an Buchgeld, da sich der Prozess wiederholen kann.“

Wenn plötzlich alle, die etwas angezahlt haben, die also über ein Sichtguthaben verfügen, gemeinsam zur Bank gingen und ihr Geld haben wollten, wäre die Bank bankrott, könnte sie sich von der Bundesbank nicht kurzfristig Geld leihen. Sie hatte mehr Geld „ausgegeben“ als sie „hat“.

Genau das läuft auch zwischen der europäischen Zentralbank und den Staaten der Europäischen Union ab. Bei Spiegel Online wurde gerade erwähnt: „Die EZB schlägt den Umweg über die griechische Notenbank ein und erlaubt ihr die Ausgabe von zusätzlichen Notkrediten an die Kreditinstitute des Landes. Diese wiederum sollen für das Geld griechische Anleihen mit kurzer Laufzeit kaufen. Vier Milliarden Euro sollen so zusammenkommen. Die griechische Notenbank akzeptiert die Wackelanleihen als Sicherheit und stattet die ebenfalls völlig maroden Geschäftsbanken des Landes mit frisch gedruckten Euro aus – die letztlich von der EZB kommen.“

Die Europäische Zentralbank (EZB) leiht also den griechischen Banken Zentralbankgeld, und die kaufen damit Staatsanleihen vom griechischen Staat, von denen sie wissen, dass sie nie und nimmer zurückgezahlt werden. Die griechischen Banken, die eh schon pleite sind, produzieren Buchgeld, damit sie noch pleiter werden. Gleichzeitig erklärt die EZB, dass sie selbst keine griechischen Staats-„Wert“papiere akzeptiert. Sehr witzig. Aber so ist er – der Kapitalismus in der Krise.

Das Beispiel Spanien ist auch sehr lehrreich, was das Verhältnis zwischen Zentralbankgeld und Buchgeld angeht. In Spanien benötigte man so gut wie gar kein Eigenkapital, um eine Immobilie zu kaufen. Die Banken produzieren also unglaubliche Summen von Buchgeld – in der Hoffnung, die Besitzer der Häuser würde ihre Raten auch zahlen können. Das ging aber schief. Die Situation ist der so genannten „Finanzkrise“ in den USA nicht unähnlich.

Kurzes Intermezzo: Wie war das mit dem Staatsbankrott Argentiniens 2002?
Am Höhepunkt der Krise (Mitte 2002) stieg die Armutsrate auf 57 %, die Arbeitslosenrate erreichte 23 %. (…) Eine Privatisierungswelle Anfang der 90er Jahre, bei der viele Staatsbetriebe zum Teil unter Wert verkauft wurden, führte dazu, dass weite Teile der argentinischen Wirtschaft vom Ausland abhängig wurden. Dies machte das Land anfällig für Spekulation und Kapitalflucht, ein Phänomen, das Ende 2001 maßgeblich zur Bankenkrise beitrug.“

Übrigens: Griechenland wird zur Zeit dazugezwungen, alle Staatsbetriebe zum Teil weit unter Wert zu privatisieren. Kommt das irgendjemandem jetzt bekannt vor?

Im Jahr 2004 wurden den Vertretungen der Gläubiger mehrmals Vorschläge unterbreitet, die einen Kapitalschnitt von 75%, später 65% vorsahen. Sie stießen zunächst besonders bei den ausländischen Gläubigern, die mehr als 55% des Schuldenvolumens reklamieren, allgemein auf Ablehnung und trübten auch Argentiniens Verhältnis mit dem IWF. Durch mehrere diplomatische Missionen gelang es jedoch Argentinien, die meisten Gläubigergruppen zu überzeugen, Widerstand gab es bis zum Ende noch von den deutschen und vor allem von den italienischen Gläubigern.

Die Währung Argentiniens wurde nach dem Staatsbankrott gegenüber dem Dollar extrem abgewertet. Aber: „Das Wachstum in Argentinien blieb seit Mitte des Jahres 2003 stetig hoch. Dieses Wirtschaftswachstum kann vor allem durch die positiven Erfolge der Abwertung begründet werden.“

Abwertung = Wirtschaftswachsum. Alles klar soweit? Puls und Atmung noch normal?

Wenn Griechenland den Staatsbankrott erklärte, würde der Kurs des Euro gegenüber der wieder eingeführten Drachme extrem ansteigen – wie damals der Kurs des Dollar gegenüber dem argentinischen Peso.

Ich darf mich noch einmal selbst zitieren: Nach einem Austritt Griechenlands oder dem Zerfall der Union würde das deutsche Kapital weit weniger Profite machen, da die Landeswährungen abgewertet würden. Es wäre genauso wie das Verhältnis zwischen Dollar und Euro. Ein schwacher Euro ist gut für den Export. Das heißt: Die deutschen Kapitalisten müssen alles dafür tun, dass Exporte des Ausland nach Deutschland nicht billiger werden.“

Das, was ich hier schreibe, kommt zwar so nicht in den Mainstream-Medien vor, die Kapitalisten wissen das aber. So doof sind die nicht, dass sie nicht kapiert hätten, wie das alles endet.

Wie denn? fragen die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser. Es ist irgendwie wie immer: Marx hatte Recht, je ein Kapitalist schlägt viele tot, je ein Zentralbankfinanzkapitalist schlägt auch viele kleine Finanzkapitalisten tot, es wird – wie in Argentinien – eine gigantische Vernichtung von Volksvermögen geben und gleichzeitig eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Kapitalismus, also known as „freie soziale Marktwirtschaft“ – wie wir sie alle lieben und verehren.TM

* Burks.de – Pflichtblatt für Kapitalismus-Kenner

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Besser wählen für Auslandsdeutsche

Das Bundesverfassungsgericht hat das Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche für verfassungswidrig erklärt. Man muss sich langsam fragen, welche Gesetze noch verfassungskonform sind?

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Caracas Backstage

caracas

Der Blick aus dem Zimmer meiner Herberge (ich verweigere mich hier dem Begriff „Hotel“) in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela.

Ich habe versucht herauszufinden, wo das war – damals zehn Minuten zu laufen bis zum Busbahnhof, vom dem aus die Busse in den Westen des Landes abfuhren. Der heutige Terminal la Bandera kann es aber eigentlich nicht sein.

Ich habe ein wenig recherchiert: Ich bin damals die Avenida Lecuna nach Westen marschiert, nachdem mich ein Collectivo vom Flughafen irgendwo in der Nähe des Hilton abgesetzt hatte. Der Busbahnhof, auf dem ich dann mitten in der Nacht einen Bus nach Coro nahm, hieß Terminal des Pasageros de Nuevo Circo. Offenbar fahren die Überland-Busse heute nicht mehr dort ab.

Ich meine, die Pension wäre in der Avenida Sur 9 gewesen: Die Strasse war schmal, und es gab einige billge Cafés und Spelunken, in denen nachts Nutten und finstere Gestalten verkehrten. Das Foto habe ich am letzten Tag kurz vor meiner Abreise am 4.3.1998 gemacht.

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Fratzenbuch, reloaded

Futurzone.at im Interview mit dem Datenschützer Thilo Weichert: „In Hinblick auf das deutsche und europäische Datenschutzrecht müssen wir das Geschäftsmodell von Facebook als illegal bezeichnen. Das Konzept ist: rechtswidrig personenbezogene Daten zu erheben, diese umfassend auszuwerten und zur Grundlage für den Verkauf von zielgerichteter Werbung zu nutzen, um damit gewaltige Summen Geld zu verdienen.

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Girlfriends

Grenada

Gesehen und fotografiert in Grenada (Kleine Antillen), Gran Anse Beach, während der leider fast vergessenen Revolution 1982.

13 March 1979,
Radio Free Grenada,
Maurice Bishop,
Address to the Nation
Brothers and Sisters,
This is Maurice Bishop speaking.
At 4.15 am this morning, the People’s Revolutionary Army seized control of the army barracks at True Blue. The barracks were burned to the ground. After half-an-hour struggle, the forces of Gairy’s army were completely defeated, and surrendered.

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Bernd Schlömer: Ein Stückweit Politik

Feynsinn beschreibt Bernd „ein Stückweit“ Schlömer (aus unbekannten – vermutlich gruppendynamischen – Gründen Vorsitzender der Piratenpartei) zutreffend. Schlömer ist aber nicht „die Piraten“.

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Schafe auf dem Gendarmenmarkt

richardplatz

Ich habe mich schon immer gefragt, was eigentlich der Reiz am Reisen in Gruppen sein soll. Und dann noch im Zeitalter des Internet, wo sich jeder vorab mit der Suchmaschine des Vertrauens und mit Google Street View – was große Städte angeht – mit Informationen vollstopfen kann? Ich wüsste nicht, was mir ein „Fremdenführer“ auf dem Gendarmenmarkt in Berlin noch erzählen könnte. Zum Glück muss ich dort nicht mitten in der Schafherde stehen und mir von einem selbst ernannten guten Hirten etwas vorfaseln lassen. Ich gebe lieber den Wolf, erschrecke die Schafsnasen und beiße ab und zu in Waden, damit Leben in die Bude kommt.

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Sicherheit beim Smartphonen, almost not found

smartphone

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Rixdorf, Richardplatz

richardplatz

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Campesinos

valle de colca

Dieses Foto peruanischer Bauern habe ich 1984 in den Anden in der Nähe von Chivay gemacht.

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Bogota Backstage

Bogota

Bogota, die Haupstadt Kolumbiens, kurz nach Sonnenaufgang – das Foto habe ich 1979 gemacht. Ich fühlte mich recht unsicher und hatte die Kamera immer gut versteckt in der Hosentasche.

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Komfortklasse

bus

Diesen Bus habe ich 1979 in San Agustín in den kolumbianischen Anden fotografiert.

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Iluminación

Puerto Barrios

Das Foto habe ich 1982 in Puerto Barrios in Guatemala aufgenommen.

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Unter Schnellballsystemikern und Couponschneidern

Umverteilen?! Das scheint zur Zeit das Modewort zu sein bei den Ökonomie-Quacksalbern, Kapitalismus-Apologetikern und anderen Wirtschafts-Astrologen, von Spiegel online bis zur taz. Kein ernst zu nehmender Linker würde jemals auf die Idee kommen, etwas „umverteilen“ zu wollen. Karl Marx ist nicht Robin Hood und wollte es nie sein: Wer umverteilen will, kritisiert den Kapitalismus mit den kleinstmöglichen Mitteln. Die Idee der Umverteilung gebiert automatisch die Zwillinge „gerechter Lohn“ und „fairer Preis“ – Dinge, die etwa so logisch und rational sind wie ein weiblicher Papst oder vegetarisches Gulasch.

Die „Tagesschau“ verblödete die Rezipienten jüngst mit der Überschrift „Euro-Schulden-Krise.“ Der Euro kriselt aber gar nicht, und wer hat hier bei wem Schulden – und warum? Dazu müssen wir uns heute leider damit beschäftigen, wie Banken im Kapitalismus funktionieren. Das hört sich dröge an, und der Text ist auch länger als 140 Zeichen, aber die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser sollten nach der Lektüre mehr über das System wissen, das wir alle lieben und verehrenTM und das es auch noch kurz vor der Apokalpyse genau so wie heute geben wird.

Stellen wir uns ganz dumm und einen Staat vor, der einen Haufen Schulden hat. Die Gläubiger haben also diesem Staat etwas geliehen – Geld, für das der Staat Zinsen zahlen muss (sonst würde ihm ja niemand etwas leihen). Man nennt das Anleihen oder auch Obligationen – also eine Art Schuldschein, dessen Wert dem Gäubiger nach einer festgelegten Frist zurückgezahlt werden muss.

Stellen wir uns weiter vor, dieser Staat hätte mit dem geliehenen Geld nicht irgendetwas getan, damit er so viel mehr einnimmt, um seine Schulden – und die Zinsen – zurückzahlen zu können. Ganz im Gegenteil: Seine Einnahmen (etwa aus Steuern) hätten sich weiter verringert. Es ist also nichts da, um die Anleihen zurückzuzahlen, und es muss noch mehr her.

Wie löst man das Problem? Ganz einfach: Der Staat leiht sich noch mehr Geld, mit anderen Worten: Er gibt noch mehr Staatsanleihen aus. So kann man eine ganze Weile wirtschaften.

Irgendwann aber kommen Herr Charles Ponzi und die Mathematik ins Spiel. Diese Methode, an Geld und immer mehr Geld zu kommen, nennt man „Schneeballsystem“. Die Zahl derjenigen, die dem Staat Geld leihen können und auch deren Geldmenge ist nicht eine liegene Acht, sondern endlich. Deshalb bricht alles irgendwann zusammen, und die Letzten beißen die Hunde.

Bei den Euro-Staatsanleihen oder „Euro Bonds“ kommt noch etwas hinzu. Die Banken, die dem Staat Geld leihen, haben ein Privileg: Ihre „Schuldscheine“ oder die „Staats-Obligationen“ sind notenbankfähig, das heisst: Sie können diese Euro Bonds bei der Europäischen Zentralbank (EZB) als „Sicherheit“ hinterlegen. Sie kriegen also immer Geld, weil letztlich die EZB für die Schulder der Staaten den Kopf hinhalten muss. Das nennt man ein Repo-Geschäft; es funktioniert ungefähr so wie eine Vollkasko-Versicherung.

Jeder Mensch, den die Evolution mit einem Gehirn ausgestattet hat, fragt sich natürlich: Warum muss der Staat, wenn er sich Geld leihen will, den Umweg über die Banken gehen und kann sich nicht direkt Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen – wenn es doch im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft? Ganz einfach: Das ist laut Artikel 123 („Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“) verboten. Die Deutschen wollten es so. Im Piraten-Wiki heisst es ganz richtig: „Art. 123(1) ist ein Ermächtigungsgesetz für die Banken. Es macht den Staat in einseitiger Weise vom Wohlwollen der Banken und der Anleihemärkte abhängig.“

Werner Heine, Ex-Redakteur der konkret, schreibt:
Das war der Gründungsfehler der Währungsunion: Weil die Deutschen Angst vor der haushaltspolitischen Unzuverlässigkeit der Partnerländer hatten, setzten sie durch, daß die gemeinsame Zentralbank keine direkte Staatsfinanzierung betreiben können sollte. Deshalb stellt die EZB das benötigte Kreditvolumen ausgewählten Banken in Europa zur Verfügung, die es dann an die einzelnen Länder weiterreicen, zu einem Zinssatz, der sich in einem Versteigerungsverfahren ergbt: Die kreditsuchenden Staaten bieten ihre Anleihepakete [ihre Schulden, B.S.] den Banken an und verlaufen zum günstigsten offerierten Zinssatz. (Werner Heine: „Paradise now? Über den Charakter der gegenwärtigen Krise“, in: in: Hermann L. Gremliza (Hg.): „No way out? 14 Versuche, die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu verstehen“, S. 67)

Das nennt man „Notenbankzinssatz“, ein zusätzliches Geldgeschenk an die Banken. Das Ergebnis: Deutschland verkauft seine Anleihen, auch bekannt als Staatsschulden, zu günstigen Zinsen, die Griechen werden sie gar nicht mehr los. Griechenland darf also keine Kettenbriefe mehr verschicken und am Schnellballsystem des Schuldenmachens nicht mehr teilnehmen.

Die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser werden sich besorgt fragen: Können sich denn die nationalen Banken unbegrenzt lange Geld leihen und in beliebiger Höhe? Nein, es gibt so genannte „Eigenkapitalregeln“- also ein bestimmtes Verhältnis zwischem „eigenem“ und „ausgeliehenem“ Geld. Bis 2009 war es anders: Nach der damals gültigen „Richtlinie über Eigenkapitalanforderungen“ (auch „Basel II“ genannt) brauchten die Banken gar kein eigenes Geld, sondern durften dem Staat munter leihen, was sie wollten und dafür die Zinsen einstreichen.

Wohlstand

Das ist natürlich nicht etwas, was man als „seriös“ bezeichnen würde. Sogar die verbohrtesten bürgerlichen „Volks“wirtschaftler und Apologeten der so genannten „Freien Marktwirtschaft“ ahnten, dass man für den Fall der Fälle – den Staatsbankrott – etwas vorsorgen musste. Also schönheitsoperierte und „reformierte“ man ein bisschen hin und her und nannte das Ergebnis „Basel III„, im affirmativen Bürokraten-Nominalstil „Verbesserung der Risikodeckung“.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung formuliert in ihrer Studie „Anspruch und Wirklichkeit der Finanzmarktreform“ unfreiwillig komisch:
Neben der Forderung nach höheren Eigenkapitalanforderungen für systemrelevante Finanzinstitute vereinbarte die G20 in ihrer Pittsburgh-Erklärung, dass systemrelevante Finanzinstitute für den Fall einer Pleite Pläne zur geordneten Abwicklung vorhalten müssen.

„Systemrelevante“ Finanzinstitute: Besser hätte das Anshu Jain auch nicht sagen können. Um mal Klartext zu reden: Das sind diejenigen Banken, die am so genannten „Primary-Dealer-System“ teilnehmen. Diese Finanzunternehmen müssen dem Staat eine bestimmte Menge seiner Schulden – also known as Staatsanleihen abkaufen – und das nach einem vorher festgelegten Zinssatz. Nicht sehr „frei marktwirtschaftlich“, möchte man einwerfen. Zu recht, denn der Staat sorgt zwangsweise für eine Mindestnachfrage für den Kauf seiner Schulden. Da aber die Banken an den Zinsen satt verdienen und wegen der Vollkasko-Versicherung bei der EZB meckern sie nicht allzusehr.

Jetzt haben die europäischen Banken aber ein Problem: Woher sollen sie denn das geforderte eigene Geld – im Volkswirtschaftssprech „Eigenkapital“ – nehmen? Es handelt sich bei der „Eigenkapitallücke“ immerhin geschätzt um schlappe eine Billion Euro!

Nach Basel III schwand zudem das Motiv, immer mehr und immer öfter Staatsschulden aufzukaufen, da die Banken eine Gegenleistung in Form von Eigenkapital bringen müssten. Nach Adam Riese oder wem auch immer traf ein erhöhtes Angebot aufzukaufender Staatsschulden auf eine verminderte Nachfrage. Die Anleihekurse für Euro-Bonds sinken also.

Wir wären nicht im Kapitalismus, wenn jetzt noch zusätzlich ein bisschen mit heißer Luft gepokert und gewettet würde: Es gibt einen Unterschied zwischen Zins und Rendite bei Staatsanleihen. Die Zinsen, die der Staat den Banken zahlt – der so genannte Coupon– , sind festgelegt, bis die Schulden zurückgezahlt werden (am Sankt Nimmerleinstag). Die Rendite ist der aktuelle Wert der „Schuldscheine“ am Finanzmarkt. Ich könnte also darauf wetten, dass die Zinsen, die Staaten für das Geld zahlen müssen, die ihnen die Banken geliehen haben, steigen oder fallen, und damit Geld verdienen. Das ist ungefähr so sinnvoll wie eine Abgabe an die GEMA, wenn man „Ihr Kinderlein kommet“ auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt singt.

Wenn uns jemand in die Geschäftsbücher der Banken schauen ließe und wenn es in den Mainstream-Medien Deutschlands Journalisten gäbe, die von Ökonomie mehr verstünden als ein beliebiger Klippschüler, dann würde die Öffentlichkeit aufhorchen. Würden die Banken „die in ihrem Besitz befindlichen Papiere zu ihrem derzeitigen Marktwert bilanzieren müssen (wozu sie nur gezwungen sind, wenn sie vorzeitig verkaufen) wären sie alle pleite.“ (Stefan Frank: „Von Ponzi bis Pilatus“, in konkret 8/2012)

Jetzt bekommt das hübsch zweideutige Wort „systemrelevant“ einen ganz eigenen, typisch kapitalistischen Geschmack: Ginge der Staat pleite, wären auch die „systemrelevanten“ Banken bankrott. Wer hätte das gedacht!

Wohlstand

Wir nähern uns mit großen intellektuellen Schritten der aktuellen Krise der europäischen Staatsfinanzen (die aber nur eine Teilmenge der systemischen Überakkumulationskrise seit 2007 ist – doch dazu ein anderes Mal).

Deutschland ist bekanntlich der größte Exporteur in Europa. Was geschähe, wenn zum Beispiel Griechenland aus der Europäischen Union austräte und die Drachme wieder einführte? Die Zeit, die des Linksextremismus ganz unverdächtig und dem Marxschen Gedankengut abhold ist, schreibt im Januar 2012:
Laut dem gerade veröffentlichten Rüstungsexportbericht 2010 sind die Griechen nach den Portugiesen – auch ein Staat kurz vor der Pleite – die größten Abnehmer deutscher Kriegswaffen. Spanische und griechische Zeitungen verbreiteten gar das Gerücht, Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hätten Griechenlands Ex-Premier Giorgos Papandreou noch Ende Oktober am Rande eines Gipfeltreffens daran erinnert, bestehende Rüstungsaufträge zu erfüllen oder gar neue abzuschließen.

Nach einem Austritt Griechenlands oder dem Zerfall der Union würde das deutsche Kapital weit weniger Profite machen, da die Landeswährungen abgewertet würden. Es wäre genauso wie das Verhältnis zwischen Dollar und Euro. Ein schwacher Euro ist gut für den Export: „European companies are rubbing their hands at the sales boost they should get from the euro’s 10% decline against the greenback in recent weeks“.

Das heißt: Die deutschen Kapitalisten müssen alles dafür tun, dass Exporte des Ausland nach Deutschland nicht billiger werden. Ein vernünftig denkender deutscher Kapitalist muss die Europäische Union und den Euro auf jeden Preis erhalten wollen. Merkel handelt dementsprechend – sie verhält sich zum Kapital etwa wie Mappus zu Morgan Stanley. Es ist vergleichbar, nur ein paar Nummern größer. Ob das funktieren kann, kriegen wir später.

Das Wort zum Sonntag ist viel zu lang geworden. Vielleicht sollte ich morgen doch wieder Fotos posten, irgendetwas aus dem Dschungel und dem dortigen unerbittlichen Kampf ums Dasein und ums Überleben.

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Weisse Ruder-Power

„Frühere Kenntnis über die angebliche Beziehung Drygallas wies Sellering [Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident] zurück. Von den Verbindungen der Ruderin sei er überrascht ‚wie alle anderen auch'“.

Überrascht? Was für ein Schwätzer. Alles zu Nadja Drygalla (inklusive Fotos) findet man auf Indymedia.

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Journalisten in den Hühnerstall oder: Massentierhaltung als PR-Event

Carta.info: „Wenn Journalistenverbandsfunktionäre über das Wesen des Journalismus reden, dann stellen sie gern hehre Grundsätze auf, etwa zur strikten Trennung von PR und Journalismus. In der Praxis wird das schon mal vermischt.“

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Das Nibelungenlied

Feudale Identität und epische Form im Nibelungenlied. Untersuchunqen.
Wissenschaftliche Hausarbeit von Burkhard Schröder, Berlin 1979, 148 Seiten, 66,3 MB, pdf)

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Wir sind alle reich

„Die Menschen haben mehr Geld“. Derartige Sätze versteht man bei Spiegel online offenbar als „journalistische“ Recherche.

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