Finnische Sonderbehandlungen bei Kreditfazilitäten

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Ich weiß nicht, ob bei Spiegel Online überhaupt jemand die Artikel gegenliest – offenbar nicht. Oder nur eine Software. Heute heißt es:

Finnland gehört zu den Geldgebern in der Währungsunion und hat in den vergangenen Monaten mehrfach eine Sonderbehandlung durchgesetzt. Im Falle Spaniens und Griechenlands forderte und bekam Helsinki ein Pfand als Gegenleistung für die Hilfskredite. Auch den Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB), Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen, lehnt Finnland ab.

Das kommt davon, wenn man Worte mit -ung erlaubt: Dann fällt auch Nazi-Jargon wie „Sonderbehandlung“ nicht weiter auf.

Abgesehen von diesem Deutsch des Grauens muss auch der Inhalt übersetzt werden. Journalismus bedeutet bekanntlich: Bürokratensprech, Politiker-Jargon, Werbefuzzy-Gefasel und suggestive Propaganda-Sprechblasen für’s gemeine Volk verständlich zu formulieren.

Finnland (und nicht die Hauptstadt Helsinki, ihr Passnasen!) bekam also ein Pfand für seine Kredite? Welcher Art? Drei Millionen Teddy-Bären? Oder einen Schuldschein des Sparkassenverbands von Lagos, Nigeria?

Dann schauen wir mal, was der deutsche Qualitätsjounalismus zu bieten hat. Die FAZ meldet am 25.08.2011: „Finnland bekommt kein Pfand von Griechenland“. „Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird im Hinblick auf die Sondervereinbarung mit dem Satz zitiert: ‚Das ist vom Tisch.'“

Ach ja? Erschwerend für unsere Übersetzung ins Deutsche kommt hinzu, dass die hiesige Journaille meint, das Neusprech aus den Propagandaministerien unkritisch übernehmen zu müssen: Was zum Henker ist ein „Hilfspaket“, wenn es nur darum geht, dass die Steuerzahler die Profirate der exportierenden Unternehmen und auch noch das Geld absichern sollen, was die Banken beim Roulett auf dem Finanzmarkt verzockt haben? Wer hilft hier wem – und womit?

Ihr denkt wohl, wenn man irgendetwas mit „Helfen“ vor ein Wort setzt, dann würde es gleich besser? Die USA halfen chilenischen Putschisten, Salvador Allende umzubringen. Die Waffen-SS sendete Hilfsmannschaften ins Konzentrationslager. Der Kolonialismus half Afrika, sich in Richtung Kapitalismus weiterzuentwickeln. Oder so ähnlich.

Die Deutschen Mittelstands-Nachrichten am 20.02.2012: „Gut verhandelt: Finnen erhalten Pfand von Griechenland“. RP Online am 16.08.2011: „Das finnische Finanzministerium teilte mit, beide Regierungen hätten sich darauf geeinigt, dass Athen in Finnland eine Summe hinterlege, die zusammen mit den damit erzielten Zinsen langfristig den Griechenland geliehenen Mittel entspreche. (…) Das Pfand schließe keine realen Garantien wie Immobilien ein, erklärte Venizelos. (…) Das finnische Finanzministerium erklärte, sobald Griechenland seinen Verpflichtungen gegenüber dem Rettungsfonds EFSF nachgekommen sei, werde es sein Pfand zuzüglich der bis dahin angefallenen Zinsen zurückerhalten.“

Da das ja nie passieren wird, fragen wir uns: Was mussten die Griechen den Finnen geben, damit die den griechischen Banken Geld liehen, was diese auch nicht zurückzahlen werden? Die DMN am 05.10.2011: „Griechenland werde Finnland Staatsanleihen im Wert von 880 Millionen Euro als Sicherheit geben“.

Ach ja? Dann kann ja nichts mehr schief gehen. Griechenlands Staatsanleihen sind ja bekanntlich sicher.

Die finnische Regierung möchte also auch nicht, dass die Europäischen Zentralbank (EZB) Staatsanleihen – also known as „Schuldtitel“ also known as „Wertpapiere“ – kauft. Mit guten Grund: Das ist der EZB verboten. Wir lesen gemeinsam den „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“, Artikel 123:
Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als „nationale Zentralbanken“ bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.

Journalisten, die ihren Beruf ansatzweise ernst nehmen, müssten den wohlwollenden Lesern und geneigten Lesern zunächst erklären, warum die EZB etwas macht, was ihr verboten ist und warum sich niemand beschwert? Aber das interessiert ja eh niemanden.

Das Thema des Tages war der so genannte „Bruch der Eurozone“. Dann sammeln wir mal Fakten.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) meldet: „Die aktuelle Umfrage, die DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier heute in Berlin vorstellte, zeigt zudem, dass die deutsche Exportwirtschaft ihre Stellung im Welthandel im kommenden Jahr ausbauen wird: ‚Die Position eins bleibt mit China fest besetzt, im Kampf um Platz zwei setzt sich Deutschland aber gegen die USA durch und holt sich den Vizeweltmeistertitel zurück‘, fasste Treier die Erwartungen zusammen.“ Spiegel Online hingeben an demselben Tag: „Die drohende Rezession in der Euro-Zone schadet der deutschen Exportwirtschaft. Laut einer Prognose des Industrie- und Handelskammertags werden die Ausfuhren 2012 nur um vier Prozent zulegen – halb so viel wie im Vorjahr.“

Wie bescheuert muss man eigentlich sein, um die Leser so zu verarschen? Es droht etwas, wenn sich der Anstieg des Exports sich verringert? In verständlichem Deutsch: Das deutsche Kapital exportiert immer mehr, nur etwas weniger?! Und müssen „wir“ uns jetzt Sorgen machen um den tendenziellen Fall der Profirate?

Die deutschen Importe dürften 2013 erstmals die Umsatzmarke von einer Billion Euro knacken, die von den Exporten bereits 2011 durchbrochen wurde. ‚Die nicht zuletzt wegen der soliden Binnenwirtschaft und des stabilen Arbeitsmarktes robuste wirtschaftliche Lage hierzulande erweist sich als Anker für Europa‘, so der DIHK.

Yeah. Quod erat demonstrandum. Es gibt offenbar gar keine Krise, weder eine Euro- noch eine „Schuldenkrise“. Alles solide und stabil.

Ich darf mich noch einmal selbst zitieren: Nach einem Austritt Griechenlands oder dem Zerfall der Union würde das deutsche Kapital weit weniger Profite machen, da die Landeswährungen abgewertet würden. Es wäre genauso wie das Verhältnis zwischen Dollar und Euro. Ein schwacher Euro ist gut für den Export. Das heißt: Die deutschen Kapitalisten müssen alles dafür tun, dass Exporte des Ausland nach Deutschland nicht billiger werden.“

Aber bevor wir jetzt weiterdiskutieren, sollten wir alle gemeinsam Nobuo Okishio und Michael Heinrich lesen, studieren und ihre Weisheiten in unserem Herzen bewegen. Oder, wie jemand einmal sagte: „Die Umstände ändern sich ständig, und wenn unsere Gedanken stets der neuen Lage entsprechen sollen, müssen wir studieren.“